Die juristische Presseschau vom 08. April 2015: Menschenunwürdige Suizidprävention – Asylrichter ab dem ersten Tag – Folter in Italien

08.04.2015

Die auch im Fall Middelhoff angewandte Methode der Suizidprävention erntet scharfe Kritik. Außerdem in der Presseschau: Sachsen will Proberichter ab dem ersten Tag als Einzelrichter in Asylsachen einsetzen, der geplante EU-Betriebsgeheimnisschutz erntet Kritik als Wistleblowergefährdung, die mögliche Erweiterung der Rechtsfolgenlösung geht zum BGH, moralische Reparationsverpflichtung und etwas Polemisches zum Schmökern.

Thema des Tages

Middelhoff – Menschenunwürdige Suizidprävention? Über einen Monat wurde im Haftraum von Thomas Middelhoff alle 15 Minuten das Licht angeschaltet, Tag und Nacht, nun ist er schwer erkrankt. Mit Suizidprävention begründet die Haftanstalt die Maßnahme, von Schlafentzug und Guantanamo sprechen Middelhoffs Anwälte. Es berichten unter anderem die Welt (Thomas Vitzthum), die SZ (Hans Leyendecker/Uwe Ritzer) und zeit.de auch zu den Hintergründen und Einzelheiten im Fall Middelhoff. Die Kontrollmaßnahme zur Suizidprävention ist nicht unüblich und erntet nun Kritik. Die Grünenpolitikerin Renate Künast spricht laut spiegel.de (amz) von Menschenrechtsverletzung.

Udo Vetter (lawblog.de) meint, eine solche Art von Suizidprävention unterscheide sich von der Folter nur durch den fehlenden Vorsatz zur Quälerei, der dem Betroffenen aber regelmäßig egal sei. Heribert Prantl (SZ) mahnt, dass "Fürsorge nicht zu Schikane" werden dürfe und Rechtsanwalt Carsten C. Hoenig (kanzlei-hoenig.de) erinnert an weitere Fälle, wie einen im März vom Oberlandesgericht Hamm aufgehobenen Beschluss des Landgerichts Aachen, in dem dieses die ebenfalls 15-minütig stattfindende Kontrolle eines männlichen Gefangenen auch durch weibliche Bedienstete selbst in Momenten, in welchen der Gefangene nackt war, nicht für problematisch hielt.

Middelhoff sei nun wieder in die Uniklinik verlegt, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, und seine Anwälte hätten erneut Haftprüfung beantragt, meldet auch die FAZ (Joachim Jahn).

Rechtpolitik

Asylrichter ab dem ersten Tag: Nach einem im Bundesrat eingereichten Gesetzentwurf Sachsens sollen Proberichter ab dem ersten Tag als Einzelrichter auch über Asylsachen entscheiden dürfen – bisher erst nach sechs Monaten. Das berichtet lto.de mit ablehnenden und befürwortenden Stimmen dazu.

Vorratsdatenspeicherung: Die SZ (Tanjev Schultz) setzt sich mit dem von SPD-Chef Sigmar Gabriel vorgebrachten Argument für die Vorratsdatenspeicherung – sie hätte NSU-Morde verhindern können – auseinander. An fehlenden Daten hätten die Ermittler nicht gelitten, es seien vielmehr schon Spuren die sich aus den vorhandenen Daten ergeben hätten nicht verfolgt worden. Allenfalls nach Entdeckung des NSU hätte eine Vorratsdatenspeicherung zu Kontaktpersonen führen können, denn sie helfe eben nur, wenn ein Ende der Verbindung bereits bekannt sei.

Erbschaftsteuerreform: Die taz (Ulrich Schulte) legt den Vorschlag des Finanzministeriums zur Erbschaftsteuerreform genauer dar, um so aufzuzeigen, dass der Vorwurf einer zu starken Belastung des Mittelstandes bei der geplanten Regelung nicht zutrifft. Richter am Bundesfinanzhof Jürgen Brandt stellt in der FAZ die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kurz dar und begrüßt den Vorschlag als minimal invasive Umsetzung dieser Vorgaben. Demgegenüber würden andere Vorschläge wieder zur Frage der Verfassungskonformität führen.

Lockerung der AGB-Kontrolle im Mietrecht? Nach Informationen der FAZ (Joachim Jahn) soll mit dem nächsten Reformpaket zum Mietrecht – dessen Verabschiedung im kommenden Jahr zu erwarten sei – auch über eine gesetzgeberische Antwort auf die rigiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Schönheitsreparaturklauseln gesprochen werden. Diese hätten ihren Ursprung nicht in Mieterfreundlichkeit sondern in strenger AGB-Kontrolle durch den BGH, für welche schon länger nach gesetzgeberischer Lockerung - jedenfalls für Geschäfte zwischen Unternehmen - verlangt werde und nun, im Mietrecht, auch gegenüber Verbrauchern. Der Artikel stellt außerdem die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und der BGH-Rechtsprechung derzeit geltenden Regeln zu Schönheitsreparaturen dar.

EU-Richtlinie zum Betriebsgeheimnisschutz: Aufgrund der vagen Definition des Betriebsgeheimnisses und der berechtigten Informationsveröffentlichung nur wenn es "nötig" ist, hält Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison im Interview mit taz.de (Svenja Bergt/Marlene Halser) die geplante EU-Richtlinie zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes von Betriebsgeheimnissen für eine Gefahr für Wistleblower. Diesen und viele weitere Kritikpunkte an der Richtlinie äußern auch die Unterzeichner des auf taz.de zu lesenden öffentlichen Briefes an die EU-Institutionen.

Autonomes Fahren: Das Handelsblatt (Daniel Delhaes/Markus Fasse) schreibt zu den rechtlichen Fragen und möglichen Antworten, die die technische Entwicklung des autonomen Fahrens mit sich bringt. Dabei geht es neben Fragen zu moralischen Kategorien für Auswahlentscheidungen bei unvermeidbarer Schädigung auch darum, ob die Ersetzung des Menschen durch die Technik nach derzeitigem Verfassungsrecht überhaupt zulässig ist.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 08. April 2015: Menschenunwürdige Suizidprävention – Asylrichter ab dem ersten Tag – Folter in Italien . In: Legal Tribune Online, 08.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15173/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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