Die juristische Presseschau vom 11. Dezember 2015: Kon­se­qu­enzen aus Ein­las­sung / NPD-Anwalt / MPU-Anord­nung in Bayern

11.12.2015

Welche Konsequenzen hat Beate Zschäpes Einlassung? Außerdem in der Presseschau: Bundesrepublik am EuGH verklagt, NPD-Anwalt im Porträt und unglückliche Worte von der Richterbank.

Thema des Tages

OLG München – NSU: Nach der Einlassung Beate Zschäpes untersucht die SZ (Heribert Prantl), welche Konsequenzen ihre Erklärung auf den Fortgang des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München haben könnte. Die stattgefundene Verteidigererklärung sei zwar anerkannt, die von den neuen Vertretern der Hauptangeklagten vorgeschlagene schriftliche Beantwortung von Fragen habe es dagegen "in einem deutschen Gerichtsverfahren noch nie gegeben". Nachdem Zschäpe zumindest eine psychische Beihilfe zu den verhandelten Mordtaten eingestanden habe, dürfte es der Staatsanwaltschaft im weiteren Verfahren darum gehen, Hilfstätigkeiten entsprechend der Anklage "zur klassischen Mittäterschaft" zu addieren. Dieses Unterfangen sei nach der Einlassung "nicht schwerer geworden als bisher".

Ein weiterer Beitrag der SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz) fasst sich aus der Einlassung ergebende Fragen zusammen. Beachtlich sei etwa, dass für eine terroristische Vereinigung mindestens drei Mitglieder nötig seien. Eine vergleichbare Analyse bringt die taz (Konrad Litschko). Besonders fragwürdig sei Zschäpes Behauptung, die rassistischen Motive ihrer Mitbewohner nach Entdeckung von deren Taten verurteilt haben zu wollen. Dies widerspreche bisherigen Zeugenaussagen zur politischen Einstellung Zschäpes vor dem Untertauchen des Trios. Dies gelte gleichermaßen für das gezeichnete Bild einer den Wünschen ihrer männlichen Begleiter untergeordneten Frau.

Der Doktorand Maximilian Pichl (verfassungsblog.de) erkennt gerade dieses Muster als Paradebeispiel für "Verteidigungsstrategien von rechten Gewalttätern und -täterinnen, ihre Handlungen zu entpolitisieren". Das Abstreiten politischer Motive für Taten werde dabei durch das unterlassene Erkennen politischer Implikationen von Gewaltdelikten durch Ermittlungsbehörden ergänzt. Diese versagten nicht nur, sondern begriffen nach wie vor "rechten Terror und Gewalt nicht als Angriff auf den Staat" und die demokratische Gesellschaft wie auch durch die mangelhafte Verfolgung von Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte belegt werde.

Rechtspolitik

Geheimdienstkontrolle: In einem Gastbeitrag für die SZ fordert Wolfgang Neskovic, ehemaliger Bundesrichter, ein Sonderstrafrecht für die Geheimdienstkontrolle. Nur durch strafbewehrte Sanktionen etwa gegenüber falscher oder irreführender Informationen der zur Kontrolle berufenen Parlamentarier könne die Effektivität dieser Kontrolltätigkeit sichergestellt werden. Anderenfalls stünde es Geheimdiensten weiterhin frei, unüberprüfbare "Erfolgsmeldungen" bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren zu produzieren.

Digitale Grundrechte: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Leuschner (verfasssungsblog.de) spricht sich für eine "Charta der Grundrechte für die digitale Zeit" aus und legt dar, dass für deren Kodifizierung die zur Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta verwendete Konventsmethode Modell stehen könnte.

Diskriminierung: Eine von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtete Kommission hat nach Abschluss ihrer Arbeit nun gefordert, medizinisch nicht zwingende Eingriffe zur Verdeutlichung des Geschlechts bei Kindern zu verbieten. Auch sollte eine neben männlich und weiblich neue personenstandsrechtliche Kategorie eingeführt werden und bei Geschlechtswechseln Transsexueller die Änderung des Vornamens erleichtert werden. Die FAZ (Johannes Leithäuser) berichtet.

Die Durchsetzung des grundgesetzlichen Diskriminierungsverbotes bleibt eine ständige Aufgabe, kommentiert Reinhard Müller (FAZ). Fraglich sei dagegen, "ob jedes Empfinden auch Eingang in das Recht finden muss". Nicht "für jede Identitätsfrage" müsse es "in offiziellen Registern einen eigenen Eintrag geben".

Lohngleichstellung: Den von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorgestellten Entwurf eines Lohngleichstellungsgesetzes kommentiert Maximilian Weingartner (FAZ) ablehnend. Der größere Teil geschlechtsspezifischer Gehaltsunterschiede sei auf Berufswahl und schwangerschaftsbedingte Arbeitspausen zurückzuführen. Hinsichtlich der übrig bleibenden Lücke sei ein gesetzlicher Eingriff nicht gerechtfertigt. Vielmehr müssten Frauen "lernen, besser zu verhandeln".

Kindgerechte Justiz: lto.de (Marcel Schneider) berichtet zu einer vom Deutschen Institut für Menschenrechte jetzt veröffentlichte Studie "Kindgerechte Justiz – Wie der Zugang zum Recht für Kinder und Jugendliche verbessert werden kann". In Befragungen junger Menschen, die an straf- oder familienrechtlichen Verfahren beteiligt waren, hätten sich zahlreiche kritikwürdige Aspekte ergeben. Die Studienautoren fordern deshalb den verbindlichen Einsatz speziell qualifizierter Betreuer und stellen an Richter die Forderung, Vernehmungen altersgerecht anzupassen.

Gewährleistungsrecht: Die am Mittwoch von der EU-Kommission vorgestellten Pläne zu einer umfassenden Harmonisierung kaufrechtlicher Gewährleistung unterzieht Rechtsanwältin Bärbel Milsch auf lto.de einer kritischen Würdigung. So sei etwa fraglich, ob durch die beabsichtigte Ausweitung der Frist, innerhalb derer sich Käufer beim Vorliegen eines Mangels auf eine Beweislastumkehr berufen können, tatsächlich verbraucherfreundlich sei. Denn betroffene Online-Händler müssten das Risiko vermehrter Reklamationen bei der Preisgestaltung berücksichtigen.

Steuererklärungen: Nach entsprechendem Beschluss der Bundesregierung stellt nun auch Rechtsprofessor Dennis Klein auf lto.de Einzelheiten zur geplanten Digitalisierung der Steuerverwaltung vor. Bei aller Fehleranfälligkeit bei der elektronischen Datenübermittlung sei dem Entwurf "zugute zu halten, dass er realistischer und ehrlicher als die jetzige Verfahrensweise ist", weil die erhoffte Personalentlastung in den Finanzämtern dringend Not tue. Technische Änderungen bewirkten jedoch keine "Modernisierung im Sinne einer Steuerreform".

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Dezember 2015: Konsequenzen aus Einlassung / NPD-Anwalt / MPU-Anordnung in Bayern . In: Legal Tribune Online, 11.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17829/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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