Welche Konsequenzen hat Beate Zschäpes Einlassung? Außerdem in der Presseschau: Bundesrepublik am EuGH verklagt, NPD-Anwalt im Porträt und unglückliche Worte von der Richterbank.
Thema des Tages
OLG München – NSU: Nach der Einlassung Beate Zschäpes untersucht die SZ (Heribert Prantl), welche Konsequenzen ihre Erklärung auf den Fortgang des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München haben könnte. Die stattgefundene Verteidigererklärung sei zwar anerkannt, die von den neuen Vertretern der Hauptangeklagten vorgeschlagene schriftliche Beantwortung von Fragen habe es dagegen "in einem deutschen Gerichtsverfahren noch nie gegeben". Nachdem Zschäpe zumindest eine psychische Beihilfe zu den verhandelten Mordtaten eingestanden habe, dürfte es der Staatsanwaltschaft im weiteren Verfahren darum gehen, Hilfstätigkeiten entsprechend der Anklage "zur klassischen Mittäterschaft" zu addieren. Dieses Unterfangen sei nach der Einlassung "nicht schwerer geworden als bisher".
Ein weiterer Beitrag der SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz) fasst sich aus der Einlassung ergebende Fragen zusammen. Beachtlich sei etwa, dass für eine terroristische Vereinigung mindestens drei Mitglieder nötig seien. Eine vergleichbare Analyse bringt die taz (Konrad Litschko). Besonders fragwürdig sei Zschäpes Behauptung, die rassistischen Motive ihrer Mitbewohner nach Entdeckung von deren Taten verurteilt haben zu wollen. Dies widerspreche bisherigen Zeugenaussagen zur politischen Einstellung Zschäpes vor dem Untertauchen des Trios. Dies gelte gleichermaßen für das gezeichnete Bild einer den Wünschen ihrer männlichen Begleiter untergeordneten Frau.
Der Doktorand Maximilian Pichl (verfassungsblog.de) erkennt gerade dieses Muster als Paradebeispiel für "Verteidigungsstrategien von rechten Gewalttätern und -täterinnen, ihre Handlungen zu entpolitisieren". Das Abstreiten politischer Motive für Taten werde dabei durch das unterlassene Erkennen politischer Implikationen von Gewaltdelikten durch Ermittlungsbehörden ergänzt. Diese versagten nicht nur, sondern begriffen nach wie vor "rechten Terror und Gewalt nicht als Angriff auf den Staat" und die demokratische Gesellschaft wie auch durch die mangelhafte Verfolgung von Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte belegt werde.
Rechtspolitik
Geheimdienstkontrolle: In einem Gastbeitrag für die SZ fordert Wolfgang Neskovic, ehemaliger Bundesrichter, ein Sonderstrafrecht für die Geheimdienstkontrolle. Nur durch strafbewehrte Sanktionen etwa gegenüber falscher oder irreführender Informationen der zur Kontrolle berufenen Parlamentarier könne die Effektivität dieser Kontrolltätigkeit sichergestellt werden. Anderenfalls stünde es Geheimdiensten weiterhin frei, unüberprüfbare "Erfolgsmeldungen" bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren zu produzieren.
Digitale Grundrechte: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Leuschner (verfasssungsblog.de) spricht sich für eine "Charta der Grundrechte für die digitale Zeit" aus und legt dar, dass für deren Kodifizierung die zur Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta verwendete Konventsmethode Modell stehen könnte.
Diskriminierung: Eine von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtete Kommission hat nach Abschluss ihrer Arbeit nun gefordert, medizinisch nicht zwingende Eingriffe zur Verdeutlichung des Geschlechts bei Kindern zu verbieten. Auch sollte eine neben männlich und weiblich neue personenstandsrechtliche Kategorie eingeführt werden und bei Geschlechtswechseln Transsexueller die Änderung des Vornamens erleichtert werden. Die FAZ (Johannes Leithäuser) berichtet.
Die Durchsetzung des grundgesetzlichen Diskriminierungsverbotes bleibt eine ständige Aufgabe, kommentiert Reinhard Müller (FAZ). Fraglich sei dagegen, "ob jedes Empfinden auch Eingang in das Recht finden muss". Nicht "für jede Identitätsfrage" müsse es "in offiziellen Registern einen eigenen Eintrag geben".
Lohngleichstellung: Den von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorgestellten Entwurf eines Lohngleichstellungsgesetzes kommentiert Maximilian Weingartner (FAZ) ablehnend. Der größere Teil geschlechtsspezifischer Gehaltsunterschiede sei auf Berufswahl und schwangerschaftsbedingte Arbeitspausen zurückzuführen. Hinsichtlich der übrig bleibenden Lücke sei ein gesetzlicher Eingriff nicht gerechtfertigt. Vielmehr müssten Frauen "lernen, besser zu verhandeln".
Kindgerechte Justiz: lto.de (Marcel Schneider) berichtet zu einer vom Deutschen Institut für Menschenrechte jetzt veröffentlichte Studie "Kindgerechte Justiz – Wie der Zugang zum Recht für Kinder und Jugendliche verbessert werden kann". In Befragungen junger Menschen, die an straf- oder familienrechtlichen Verfahren beteiligt waren, hätten sich zahlreiche kritikwürdige Aspekte ergeben. Die Studienautoren fordern deshalb den verbindlichen Einsatz speziell qualifizierter Betreuer und stellen an Richter die Forderung, Vernehmungen altersgerecht anzupassen.
Gewährleistungsrecht: Die am Mittwoch von der EU-Kommission vorgestellten Pläne zu einer umfassenden Harmonisierung kaufrechtlicher Gewährleistung unterzieht Rechtsanwältin Bärbel Milsch auf lto.de einer kritischen Würdigung. So sei etwa fraglich, ob durch die beabsichtigte Ausweitung der Frist, innerhalb derer sich Käufer beim Vorliegen eines Mangels auf eine Beweislastumkehr berufen können, tatsächlich verbraucherfreundlich sei. Denn betroffene Online-Händler müssten das Risiko vermehrter Reklamationen bei der Preisgestaltung berücksichtigen.
Steuererklärungen: Nach entsprechendem Beschluss der Bundesregierung stellt nun auch Rechtsprofessor Dennis Klein auf lto.de Einzelheiten zur geplanten Digitalisierung der Steuerverwaltung vor. Bei aller Fehleranfälligkeit bei der elektronischen Datenübermittlung sei dem Entwurf "zugute zu halten, dass er realistischer und ehrlicher als die jetzige Verfahrensweise ist", weil die erhoffte Personalentlastung in den Finanzämtern dringend Not tue. Technische Änderungen bewirkten jedoch keine "Modernisierung im Sinne einer Steuerreform".
Justiz
EuGH – Störerhaftung: Nun schreibt auch die SZ (Elisabeth Dostert) über den am Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit zur Vereinbarkeit deutscher Haftungsregelungen für WLAN-Anbieter mit EU-Recht. Der Beitrag stellt vor allem den Kläger Tobias McFadden vor. Der Antrag des Generalanwalts ist für den 16. März terminiert.
EuGH – Kältemittel: Weil die Bundesrepublik dem Daimler-Konzern nicht fristgerecht die Verwendung eines klimaschutztechnisch bedenklichen Kältemittels untersagte, wird sie nun von der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Die Berichte von FAZ (Hendrick Kafsack/Susanne Preuß) und SZ (Max Hägler/Alexander Mühlauer) konzentrieren sich auf die unterschiedlichen Auffassungen zu den Wirkungen der betreffenden Chemikalien.
EuGH – Führerscheine: Eine weitere beim Europäischen Gerichtshof anhängig gemachte Klage der EU-Kommission gegen mehrere Mitgliedsstaaten, unter ihnen Deutschland, betrifft die unterbliebene Gültigkeitsbegrenzung von LKW-Führerscheinen. focus.de berichtet.
BVerfG – NPD-Verbot: zeit.de (Astrid Geisler/Tilman Steffen) widmet Peter Richter, Prozessbevollmächtigter der NPD im anstehenden Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, ein ausführliches Porträt. Der junge Anwalt mit Prädikatsexamen und stellvertretende NPD-Vorsitzende im Saarland verstehe es, durch "dreiste Winkelzüge" die Antragsteller in Aufregung zu halten. So habe nach seiner Darstellung ein Blechschaden, den Verfassungsschützer am Fahrzeug seiner Mutter verursachten, den Beleg geliefert, dass der Staat ihn selbst und die von ihm vertretene Partei nach wie vor ausspähe. Daneben gelte Richter "auch außerhalb der rechten Szene inzwischen als ernstzunehmender Gegner und guter Jurist".
BGH zu Rotbäckchensaft: Der Hersteller eines Rotbäckchensafts darf sein Produkt auch weiterhin mit der Botschaft "Lernstark. Mit Eisen zur Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit" bewerben. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs entspricht diese Behauptung zumindest dem Sinn nach einer EU-Verordnung zu spezifischen Angaben zu Inhaltsstoffen. Die SZ (Wolfgang Janisch/Christina Berndt) stellt die Entscheidung und weitere oft umstrittene sogenannten Health Claims bei Nahrungsmitteln vor.
BayVGH zu MPU-Anordnung: Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung, im Volksmund Idioten- oder auch Depperltest genannt, ist zumindest im Freistaat Bayern nach einer Entscheidung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs immer dann angezeigt, wenn der Betroffene zu einem alkoholbedingten Führerscheinentzug verurteilt wurde. Die bisherige Rechtsprechung, nach der die Anordnung bei einem festgestellten Blutalkoholwert von bis zu 1,6 nicht für nötig erachtet, wurde damit ausdrücklich aufgehoben, berichtet die SZ (Ekkehard Müller-Jentsch). Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde ebenso ausdrücklich zugelassen.
LG Stuttgart – Wendelin Wiedeking: Im Verfahren zu vermeintlichen Marktmanipulationen durch die damaligen Porsche-Vorstände Wendelin Wiedeking und Holger Härter vor dem Landgericht Stuttgart hat der Vorsitzende Richter eine Einschätzung des bisherigen Prozessverlaufs abgegeben. Nach Bericht der FAZ (Susanne Preuß) sei es demnach schwierig, bei den fraglichen damaligen Mitteilungen "eine Täuschungsabsicht sicher festzustellen".
LG Arnsberg – Stalking: Eine Berufungsverhandlung gegen eine 72 Jahre alte Stalkerin eines Pfarrers vor dem Landgericht Arnsberg brachte am gestrigen Donnerstag nicht die erwartete Entscheidung. Anders als noch in der Vorinstanz habe eines von mehreren psychologischen Gutachten der Angeklagten nun auch deren eingeschränkte Steuerungs- und Schuldfähigkeit ergeben, schreibt die FAZ (Reiner Burger). Der von den oft obszönen Annäherungsversuchen der Rentnerin geplagte Pfarrer werde sich demnach wohl weiter mit der Situation abfinden müssen. Ein Urteil ist für den kommenden Mittwoch geplant.
LG München zu Facebook-Hetze: Vor dem Landgericht München ist eine Facebook-Nutzerin mit dem Versuch gescheitert, der Bild-Zeitung die Veröffentlichung ihres Bildes im Zusammenhang mit einem fremdenfeindlichen Posts verbieten zu lassen. Dieser sei nach Ansicht des Gerichts schließlich selbst öffentlich, so bild.de (A.-K. Gerke).
VG Köln zu Feiertagsruhe: Das behördliche Verbot einer am Karfreitag geplanten muslimischen Beschneidungsfeier ist nach Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln rechtmäßig. Der besondere Schutz des Karfreitags durch das nordrhein-westfälische Feiertagsgesetz entspreche seinem Charakter als "einer der höchsten christlichen Feiertage", gibt die FAZ (Helene Bubrowski) das Gericht wieder. Zudem sei er anders als die geplante Feier kalendergebunden. Auch lto.de berichtet.
Immunität von Parlamentariern: Aus Anlass eines Berichts zur Aufhebung der Immunität des Präsidenten der bremischen Bürgerschaft, Christian Weber (SPD), wegen des Vorwurfs der Fahrerflucht stellt die taz-Nord (Henning Bleyl) Überlegungen von Parlamentariern dar, die Immunitätsaufhebung ihrerseits abzuschaffen. Entgegen dem ursprünglichen Zweck eines Schutzes für Volksvertreter bewirke die regelmäßig öffentlichkeitswirksame Aufhebung eine besondere Prangerwirkung auch in solchen Fällen, in denen Ermittlungen schließlich eingestellt werden.
In einem separaten Kommentar begrüßt Henning Bleyl (taz-Nord) die Idee und verweist auf eine in Hamburg gezogene Konsequenz. Dort gelte Immunität "nicht a priori", vielmehr als "Kann-Regelung". Nur bei echtem Bedarf und entsprechendem Antrag würden Abgeordnete Schutz genießen und also "nicht jeder Blechschaden" zu einer "Staatsaffäre".
Hartmuth Horstkotte: In einem Nachruf würdigt der Tsp (Jost Müller-Neuhof) den im November verstorbenen früheren Bundesrichter Hartmuth Horstkotte, der in den 1960er Jahren als Leiter der Strafrechtsabteilung beim Bundesjustizministerium die Große Strafrechtsreform maßgeblich mitgeprägt hatte.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: In einem englischsprachigen Beitrag analysiert Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz (verfassungsblog.de) die jüngsten Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts zur umstrittenen Ernennung von Verfassungsrichtern.
In einem Kommentar bezeichnet Florian Hassel (SZ) das Vorgehen des "faktischen Führers" der polnischen Regierung, Jaroslaw Kaczynski, als "konsequenten Rechtsbruch". Zwar habe auch die alte Regierung bei der Richterernennung zu "unlauteren Mitteln" gegriffen. Hiergegen vorzugehen, sei ureigenste Aufgabe des Gerichts, der es auch nachgekommen sei. Kaczynski jedoch lasse "seine Mitarbeiter bis hinauf zu Präsident Duda Urteile des Verfassungsgerichts offen missachten".
USA – Uber: Im Rechtsstreit zur Anerkennung von Fahrern des Transportunternehmens Uber als Angestellte hat das Unternehmen eine vorläufige Niederlage erlitten. Wie spiegel.de berichtet, hat ein US-Gericht entschieden, dass sich der Klage auch solche Fahrer anschließen könnten, die vertraglich mit Uber die Durchführung von Schiedsverfahren vereinbart hätten.
Sonstiges
Mietrecht: Die SZ (Stephanie Schmidt) klärt in einem ausführlichen Beitrag über die Rechtsverhältnisse nach dem Tod eines Wohnungsmieters auf. Zum gleichen Thema befragt die Zeitung (Stephanie Schmidt) Rechtsanwalt Alexander Schmitz-Elsen.
Das Letzte zum Schluss
Wortgewandt: Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Affirmative Action, der sogenannten positiven Diskriminierung, nach der Angehörige ethnischer Minderheiten in den USA bei der Studienplatzvergabe bevorzugt berücksichtigt werden, beschäftigt das Oberste Gericht des Landes bereits zum zweiten Mal. In der mündlichen Verhandlung zur Klage einer weißen, abgelehnten Bewerberin erweckte dabei die Wortwahl von Richter Antonin Scalia die Empörung von Zuschauern. Der als führender Vertreter der Konservativen geltende Richter meinte, dass es für viele Afroamerikaner "womöglich sogar vorteilhaft" wäre, "wenn sie nicht auf die besten Universitäten des Landes gehen", so spiegel.de. Denn: "an weniger angesehenen Hochschulen könnten viele vielleicht besser mithalten".
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Dezember 2015: Konsequenzen aus Einlassung / NPD-Anwalt / MPU-Anordnung in Bayern . In: Legal Tribune Online, 11.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17829/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
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