Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. März 2015: Krux der Opferanwälte – Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafe – Rebellion gegen Sommerzeit

30.03.2015

Justiz

BVerfG zum Kopftuch: Laut WamS (Jochen Gaugele) stellt der Kopftuch-Beschluss nach Ansicht des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier eher eine "Ursache von Problemen" dar, statt eine Lösung voranzubringen. Die Entscheidung der Karlsruher Richter basierte, nach Papier, auf einer "problematischen Beurteilung und Gewichtung des Grundrechtsschutzes der Lehrkraft in Ausübung eines öffentlichen Amtes". Denn, wenn die Richter der Lehrerin die Berufung auf die Religionsfreiheit zugestehen, dann müsste der Staat sie vor entsprechenden Störungen schützen – dies bedeute allerdings, dass das Grundrecht auch vor einer konkreten Gefahr "nicht zurückstehen dürfe".

BGH zu Adoption nach Samenspende: Der Bundesgerichtshof erschwerte am vergangenen Freitag die Adoption von Kindern, welche durch eine Samenspende gezeugt wurden. Der Vater muss die Gelegenheit bekommen sich an dem Adoptionsverfahren zu beteiligen, selbst wenn er nicht der rechtliche Vater ist. Im vorliegenden Fall wollte die lesbische Lebenspartnerin der Mutter das durch "private" Samenspende gezeugte Kind adoptieren, das zuständige Amtsgericht lehnt den Adoptionsantrag ab, da die Frauen keine Zustimmung des Vaters vorlegten. Die Samstags-FAZ (Alexander Haneke) erläutert die Argumentation der Karlsruher Richter.

OVG Münster zu islamischer Beschneidungsfeier: Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Verbot der Stadt Köln, eine islamische Beschneidungsfeier an Karfreitag abzuhalten – das Fest habe "jedenfalls auch unterhaltenden Charakter" und widerspreche so dem "besonderen Wesen des Karfreitags". Der Beschwerdeführer Mehmet Doğan plane nun, laut Spiegel (Dietmar Hipp), im Hauptsacheverfahren "eine grundlegende Klärung" zu erwirken, auch eine Verfassungsbeschwerde käme in Frage – berufen wolle er sich auf seine Religionsfreiheit.

EuGH – Hartz IV: Die FAS (Corinna Budras) erläutert das Plädoyer des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof Melchior Wathelet zum Anspruch auf Sozialleistungen von EU-Ausländern und stellt die von ihm gebildeten drei Fallgruppen vor. Demnach hätten EU-Ausländer, die keine Arbeit suchen oder nur zur Arbeitssuche eingereist sind, keinen Anspruch auf Hartz IV – dieser bestehe nur, wenn sie bereits im Aufnahmeland gearbeitet haben. Die FAS hält fest, dass Wathelet zudem unausgesprochen eine vierte Gruppe eingeführt hat, denn einen Anspruch auf Sozialleistungen solle auch erlangen, wer wegen der Schulpflicht seiner Kinder im Land bleiben dürfe.

EGMR – Nachträgliche Sicherungsverwahrung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird sich mit der Frage befassen müssen, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung am Ende einer Jugendstrafe zulässig ist. Michael W., der wegen Mordes an der damals 12-Jährigen Vanessa eine Jugendstrafe verbüßt hatte, befindet sich derzeit in Sicherungsverwahrung – die Staatsanwaltschaft Augsburg hatte diese nachträglich beantragt. Dies halten W.'s Verteidiger für verfassungs- und menschenrechtswidrig. Der Spiegel (Julia Jüttnerspiegel.de-Zusammenfassung) legt den Fall und die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Sicherungsverwahrung dar.

BVerfG – NPD-Verbotsverfahren: Der Spiegel (Dietmar Hipp) befragt den Staatsrechtler und Vertreter des Bundesrats im NPD-Verbotsverfahren Christoph Möllers zu den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Nachweisen der Abschaltung von V-Leuten in den Führungsgremien der NPD. Möllers betont, dass die Vertreter der Länder die Nachweise fristgerecht erbringen können, räumt etwaige Probleme im Verbotsverfahren wegen des Einsatzes der V-Leute aus und hebt die Zulässigkeit der Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz hervor.

Die Juristen Horst Meier und Johannes Lichdi loben in der taz das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts – nur durch eindeutige Nachweise für die "Quellenfreiheit" der NPD-Führung könne ein "strenges justizförmiges Verfahren" garantiert werden. Sie erläutern ausführlich, welche Sachverhalte nachgewiesen werden müssen.

Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) zeigt auf, dass die Forderung des Bundesverfassungsgericht "kein schlechtes Zeichen für den weiteren Verfahrensgang" sein muss – vielmehr könne dies helfen das "Verbotsurteil wasserdicht zu machen". Auch andere Ausgänge des Verfahrens seien "begrüßenswert" – beispielsweise könnte ein Scheitern der Nachweiserbringung dazu anregen, über das "amtliche Spitzelwesen" zu reflektieren – "manchen Verfassungsfeind gäbe es wohl gar nicht ohne staatliche Alimentation".

Der Habilitand Stephan Pötters beschreibt auf juraexamen.info den aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren, die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Parteiverbot sowie das Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens im Jahre 2003. Er argumentiert, es sei sinnvoller die NPD "in der politischen Arena statt vor dem BVerfG zu bekämpfen" – einige Gründe sprächen für ein Scheitern des Verbots.

OLG Stuttgart – Haft für Islamisten: Im Verfahren gegen drei Islamisten hat das Oberlandesgericht Stuttgart am vergangenen Freitag den Hauptangeklagten, Ismail I., zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt. Seine beiden Mitangeklagten erhielten Haftstrafen von drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und neun Monaten wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Sie haben Ismail I. bei seinen Vorbereitungen zur Reise nach Syrien geholfen. Die Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt) informiert über die Argumentation des Gerichts und die Einlassungen des Hauptangeklagten.

StA Hamburg – Mosley Fotos: Die USA hat der Staatsanwaltschaft Hamburg die Rechtshilfe bei den Ermittlungen gegen das Unternehmen Google USA im Fall Mosley versagt – es läge kein Verdacht für ein strafrechtlich relevantes Verhalten der Suchmaschinenkonzerns vor. Der ehemalige FIA-Präsident Max Mosley hatte Strafanzeige erstattet, weil Google sich weigerte Fotos von privaten Sexpartys von vorneherein aus den Suchtreffern zu filtern. Dies meldet der Spiegel (Isabell Hülsen).

LG Duisburg – Loveparade: Der Strafverteidiger eines im Loveparade-Verfahren angeschuldigten Bauamtmitarbeiters, Michael Kaps, legte der Staatsanwaltschaft Duisburg ein neues Gutachten zum Loveparade-Unglück vor und beantragte das Hauptverfahren gegen seinen Mandaten nicht zu eröffnen. Das Gutachten des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Oberverwaltungsgericht Münster, Bernd Schulte, erklärt, dass die vom Bauamt genehmigte Nutzungsänderung nicht für die Unglücksstelle der Loveparade 2010 gegolten habe. Zudem verweise Schulte auch auf die Verantwortung der Polizei im Rahmen des Unglücks, berichtet der Spiegel (Jürgen Dahlkamp/Sven Röbelspiegel.de-Zusammenfassung).

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. März 2015: Krux der Opferanwälte – Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafe – Rebellion gegen Sommerzeit . In: Legal Tribune Online, 30.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15099/ (abgerufen am: 06.05.2024 )

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