Taschengeld für Asylbewerber: Weniger geht nimmer

von Tanja Podolski

19.08.2015

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) macht Schlagzeilen mit der Forderung, das Taschengeld für Asylbewerber zu kürzen - vor allem für jene vom Balkan. Doch das wird wohl nichts.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) argumentiert, dass die Geldzahlungen falsche Anreize setzten und nur Menschen aus der Region ins Land lockten. Juristen sind mehr als skeptisch. "Diese Forderung ist rechtlich nicht haltbar", sagt die Kölner Asylrechtlerin Eva Steffen. Sie hatte 2012 mehrere Flüchtlinge im Streit über das Asylbewerberleistungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vertreten.

Karlsruhe hatte damals entschieden, dass die Leistungen für Asylbewerber in Deutschland zu niedrig waren und gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstießen. Maßgeblich für die Berechnung seien die Verhältnisse in Deutschland - und nicht das Existenzniveau des Herkunftslandes. Das BVerfG (Urt. v. 18.07.2012, Az: 1 BvL 10/10) war seinerzeit in seiner Begründung sehr deutlich: "Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten."

Taschengeld ist Ausdruck der Menschenwürde

Die Richter gaben damals auch einen anderen wichtigen Hinweis: Migrationspolitische Erwägungen - also die Leistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen zu vermeiden - könnten kein Absenken des Leistungsstandards unter das Existenzminimum rechtfertigen. Sie bezogen sich in ihrer Begründung auch auf ein bereits zuvor gesprochenes Urteil zu Hartz IV (Urt. v. 09.02.2010, Az: 1 BvL 1/09), mit dem das Bedarfsbemessungssystem als unzulänglich kritisiert worden war.  "Ein solches fehlt bei dem 1992 als Asylkompromiss zustande gekommene Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in seiner alten Fassung ganz", sagt Steffen.

Mit dem AsylbLG sei seinerzeit ein eigenes Leistungsgesetz für eine bestimmte Personengruppe von Ausländern geschaffen worden mit dem Ziel, Kosten zu sparen und Leistungen deutlich zu senken, um keinen Anreiz zu schaffen, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen. Die Berechnung dieser Leistungen habe auf einer bloßen Schätzung basiert. Eigene auf den Bedarf der Leistungsberechtigten zugeschnittene Ermittlungen und Prüfungen habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. 

"Damit stand schon 2010 fest, dass das AsylbLG, in dem auch das Taschengeld für Asylbewerber geregelt ist, verfassungswidrig ist", sagt Steffen. In der alten Regelung sei es noch deutlich um Abschreckung der Flüchtlinge und Kostenersparnis gegangen. Seit März 2015 gilt nun eine neue Fassung.

"In der Neufassung hat der Gesetzgeber das Existenzminimum für die nach dem AsylbLG leistungsberechtigten Personen festgelegt", erklärt die Kölner Anwältin. "Es sind hiernach bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen zur Sicherung des physischen Existenzminimums vorrangig Geld- statt Sachleistungen zu gewähren. Der Barbetrag, sprich das Taschengeld, für den soziokulturellen Bedarf, d.h. die Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben, ist als Geldleistung zu gewähren." Dies sei ebenfalls Ausdruck des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, so Steffen.

Asylrechtlerin: "kein unterschiedliches Existenzminimum"

Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, unterschiedliche Bedürfnisse bei unterschiedlichen Personengruppen festzustellen. "Für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (...) ist entscheidend, ob sich der Rechtsanspruch auf existenzsichernde Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lässt". Werden hinsichtlich bestimmter Personengruppen unterschiedliche Methoden zugrunde gelegt, müsse dies allerdings sachlich zu rechtfertigen sein, gab das BVerfG vor.

Genau diesen unterschiedlichen Bedarf beim Existenzminimum konnte der Gesetzgeber allerdings nicht feststellen - das Ergebnis findet sich wiederum im AsylbLG: Die Leistungen sind weitgehend denen von Hartz-IV-Empfängern angepasst. "Denn es gibt grundsätzlich keinen unterschiedlichen Lebensbedarf für Deutsche und Asylbewerber oder unterschiedliche Flüchtlingsgruppen", so Steffen. 

Nur, wenn der Aufenthalt in Deutschland nachweislich kurz und vorübergehend sei– wovon der Gesetzgeber bei einer maximalen Aufenthaltsdauer von 15 Monaten ausgeht - , soll ein anderer Bedarf bestehen. In dieser Zeit, so die Argumentation, sei der Bedarf z.B. an Ausgaben für Hausrat geringer, weil bei Ankunft der Flüchtlinge eine Grundausstattung gewährt werde. "Eine weitere Kürzung erfolgt etwa bei den Kosten für die Beschaffung eines Personalausweises , da diese bei den Flüchtlingen nicht anfallen", erklärt Steffen. Die abweichende Bemessung des Existenzminimums in einem gesonderten Leistungsregime hätl sie weiterhin für nicht gerechtfertigt. "Der Bedarf weicht nicht ab, sondern wird  lediglich anderweitig gedeckt. Und im Vergleich – wie z.B. bei den Ausgaben für die Passbeschaffung - fallen oft sogar höhere Ausgabenpositionen an". 

Fest stehe jedenfalls, dass der Barbetrag, wie das Taschengeld mit der Neufassung offiziell genannt wird, nicht mehr kürzbar ist, sonst hätte der Gesetzgeber das in den Jahren, die er für die Novellierung brauchte, getan. Vielleicht hat auch deshalb Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sich ebenfalls für eine Prüfung der Leistungen ausgesprochen. Er plädiert aber explizit nicht für eine Kürzung, sondern dafür, länger vorrangig Sachleistungen statt Bargeld zu gewähren. Ob das die alte Abschreckungspolitik wieder bringt? Ferdinand Kirchhof, schon damals Vizepräsident des BVerfG, jedenfalls hatte schon damals die Diskussion um die Leistungen für Asylsuchende scharf kritisiert: "Ein bisschen Hunger, dann gehen die schon, das kann doch nicht sein!".

tap/LTO-Redaktion mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Taschengeld für Asylbewerber: Weniger geht nimmer . In: Legal Tribune Online, 19.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16632/ (abgerufen am: 08.05.2024 )

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