Verhandlungen über den Haushalt 2024: Ukraine-Hilfe als Folge einer Not­lage?

von Dr. Christian Rath

11.12.2023

Die Ampel-Koalition könnte für den Haushalt 2024 eine neue Notfall-Begründung beschließen. Doch die CDU/CSU droht schon mit einer neuen Klage. Absolute rechtliche Sicherheit – wie von der FDP gefordert – wird es dabei nicht geben.

Die SPD ist entschlossen, auch 2024 die Schuldenbremse auszusetzen, und verhandelt darüber derzeit mit den Ampel-Partnern, insbesondere mit der FDP. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist zuversichtlich, dass es noch in dieser Woche eine haushaltspolitische Einigung gibt.

Doch schon jetzt droht die CDU/CSU mit einer neuen Verfassungsklage. "Wenn die Koalition den Haushalt 2024 ebenfalls mit Lösen der Schuldenbremse und Ausrufung eines Notstandes kitten möchte, dann müssten wir aus meiner Sicht dagegen klagen. Denn das ist evident verfassungswidrig", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei. Eine Notlage sei "auf den ersten Blick nicht ersichtlich, weil alle Gründe, die bisher genannt werden, keine neuen sind", ergänzte Fraktionsvize Jens Spahn.

Ukraine-Krieg als außerordentliche Notlage

Die SPD hat auf ihrem Parteitag am Wochenende beschlossen, dass der Bundestag die Schuldenbremse 2024 für Folgekosten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine aussetzen soll. Es geht dabei insbesondere um Militärhilfe und humanitäre Hilfe für die Ukraine und die Versorgung von geflüchteten Ukrainer:innen in Deutschland – insgesamt über 20 Milliarden Euro.

Die SPD hofft, dass sich die FDP dieser Begründung nicht entziehen kann. FDP-Chef Christian Lindner erklärte am Wochenende zwar, dass an der Unterstützung für die Ukraine auf keinen Fall gespart werden soll. Damit hat er aber noch keineswegs zugestimmt, mit der Ukrainehilfe die Aussetzung der Schuldenbremse 2024 zu begründen.

Verfassungsrechtlich dürfte klar sein, dass der russische Überfall auf die Ukraine eine außergewöhnliche Notsituation gemäß Art. 115 Abs. 2 S. 6 Grundgesetz (GG) erzeugte. Dass der Überfall bereits 2022 erfolgte, ist kein generelles Hindernis. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil vom 15. November zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) bei Krisen mit länger fortdauernden Folgen ausdrücklich "jährlich wiederholte" Notlagen-Feststellungen erlaubt (Az. 2 BvF 1/22).

Kausalität zwischen Notlage und Schulden

Doch die Feststellung einer Notlage allein genügt nicht, der Neuverschuldungsbedarf muss zudem kausal durch die Notlage veranlasst sein, auch in der veranschlagten Höhe. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Schuldenbremse gemäß Art. 115 GG hat das BVerfG in seinem Urteil vom November neu eingeführt.

Hier fällt auf, dass im Nachtragshaushalt 2023, der am kommenden Donnerstag beschlossen werden soll, zwar ebenfalls der Ukraine-Krieg als Notlage benannt wird, sich die Ausgaben aber auf den dadurch ausgelösten Energiepreisschock und die schweren Folgen für Wirtschaft und Verbraucher:innen bezogen. Dagegen wurden die Ukrainehilfe und die Flüchtlingskosten 2023 aus dem regulären Haushalt bezahlt. Grund für diese Notlagenbegründung war, dass sie erst nach dem BVerfG-Urteil erforderlich wurde. Die Kredite für die Energiepreisbremse wurden zwar 2023 aufgenommen, aber zunächst bereits 2022 verbucht. Nach dem BVerfG-Urteil mussten sie nun ebenfalls 2023 verbucht werden, weshalb die Schuldenbremse doch nicht eingehalten werden konnte.

Ob die Energiepreiskrise auch 2024 noch eine haushaltsrechtliche Notlage verursacht, ist unter Ökonom:innen und Jurist:innen sehr umstritten. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Kanzler Scholz erst gar nicht versucht, die FDP hiervon zu überzeugen. Die Liberalen wollen keine neue Energiepreisbremse – und erst recht wollen sie diese nicht mit Schulden finanzieren.

Dagegen ist der Bedarf der Ukraine an militärischer und humanitärer Hilfe 2024 ungebrochen. Das sieht auch die FDP nicht anders, im Gegenteil. Sie findet die Sozialdemokrat:innen eher zu zögerlich. Politisch liegt es also nahe, die Aussetzung der Schuldenbremse 2024 damit zu begründen.

Doch wie ist es verfassungsrechtlich zu bewerten, dass die Ukrainehilfe 2023 nicht zur Begründung einer Haushaltsnotlage genutzt wurde, 2024 dann aber plötzlich doch? Ist dieser Begründungsansatz damit verwirkt? Wohl kaum: Es kann nicht gegen diese Notlagenbegründung sprechen, dass sie 2023 nach der ursprünglichen Planung der Bundesregierung nicht erforderlich gewesen wäre. Es gibt schließlich keine Pflicht notlageninduzierte Ausgaben mit Schulden zu finanzieren.

Keine generelle Sicherheit

Für die FDP erklärte am Sonntag Verkehrsminister Volker Wissing, man wolle einen "zu hundert Prozent verfassungsfesten" Haushalt 2024 aufstellen. Absolute Sicherheit ist aber kaum zu gewährleisten, weil das BVerfG noch nicht alle Fragen im Zusammenhang mit der 2009 eingeführten Schuldenbremse geklärt hat.

So ist noch offen, wie lange die Wirkungen einer Notlage noch zum Überschreiten der Schuldenbremse berechtigen und ab wann sie zur neuen Normalität gehören. Vermutlich wird es hier auch keine eindeutigen und verlässlichen Grenzen geben. Das räumte bei einer Anhörung des Haushaltsausschusses vorige Woche auch Rechtsprofessor Alexander Thiele ein, der die Bundesregierung im KTF-Verfahren vertreten hatte. "Die langsam auslaufende Krise ist ein Problem. Im Moment des Krisenausbruchs ist alles klar, doch dann diffundiert die Krise in eine normale konjunkturelle Entwicklung hinein".

Es ist aber unwahrscheinlich, dass das BVerfG Haushaltsausgaben, die durch den Ukraine-Krieg veranlasst wurden, schon zwei Jahre später als haushalterischen Normalfall einstufen wird. Wenn das BVerfG mehrjährig wiederholte Krisenfeststellungen erlaubt, dann sind zwei Jahre eindeutig noch am unteren Rand des zulässigen Rahmens.

Wird die Union klagen?

Jedenfalls hofft die SPD, dass die Union nicht gegen die Finanzierung der Ukraine-Hilfen klagen wird, weil sie diese ja ebenfalls befürwortet. Zudem dürfte sich die CDU/CSU zwei Mal überlegen, ob sie gegen eine Notlagenfeststellung 2024 erneut nach Karlsruhe zieht. Denn das BVerfG ist kein schnelles Gericht. Ein Urteil würde vermutlich erst dann verkündet, wenn die Union bereits wieder den Kanzler stellen will. Sie würde sich im Erfolgsfall also selbst das Leben schwer machen.

Außerdem wollen mehrere CDU-regierte Bundesländer wie Schleswig-Holstein oder Sachsen-Anhalt im Jahr 2024 ebenfalls eine Notlage erklären, um entsprechend mehr Schulden aufnehmen zu können. Diese Länder wären sicher nicht glücklich, wenn ihnen die Unions-Bundestagsfraktion mit einer Klage argumentativ in den Rücken fällt.

Falls die CDU/CSU-Fraktion nicht klagt, könnte nicht einfach die AfD an ihre Stelle treten. Für eine abstrakte Normenkontrolle sind 25 Prozent der Bundestags-Abgeordneten erforderlich. Davon ist die AfD derzeit noch weit entfernt.

Zitiervorschlag

Verhandlungen über den Haushalt 2024: Ukraine-Hilfe als Folge einer Notlage? . In: Legal Tribune Online, 11.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53389/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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