Kopftuchverbote an Gerichten?: Der Anschein einer Reli­gion

von Dr. Christian Rath

15.11.2016

2/2: Im Reich der Spekulation

Das Problem entsteht für Wolf aber plötzlich dann, wenn die muslimische Richterin wegen ihres Kopftuchs als Muslimin erkennbar ist. Dann stehe für objektive Beobachter die Neutralität des Gerichts in Zweifel. Das kann nicht überzeugen. Das Kopftuch der Richterin erweckt zunächst nur den einen Anschein, dass die Richterin eine strenggläubige Muslima ist.

Mehr nicht. Weder ist ein Kopftuch ein Indiz für persönliche Vorurteile im konkreten Fall noch für persönliche Interessen. Warum soll eine erkennbar muslimische Richterin nicht genauso gut neutral sein können wie eine nicht erkennbar muslimische Richterin? Wolf kann sich dabei auch nicht auf den objektiven Empfängerhorizont berufen. Denn dieser stellt auf "verständige" Beobachter ab und nicht auf vorurteilsbeladene Personen.

Man kann auch nicht sagen, dass kopftuch-tragende Juristinnen per se ein anderes Berufsverständnis hätten als muslimisiche Richterinnen ohne Kopftuch. Tatsächliche Feststellungen dieser Art sind unbekannt. Auch hier ginge es um bloße Vorurteile, die im demokratischen Rechtsstaat nicht Grundlage von Grundrechtseingriffen sein können. Allenfalls kann man von einer muslimischen Richterin, die Kopftuch trägt, etwas konservativere Ansichten erwarten als von einer muslimischen Richterin ohne Kopftuch. Hier bewegt man sich aber tief im Reich der Spekulation.

Außerdem sind Indizien für konservative Ansichten einer Richterin sicher kein Ausschlussgrund, sonst müsste man auch Perlenohrringe und altmodische Frisuren verbieten.

Der Unterschied liegt in der Zumutbarkeit

Wie das Kopftuch als äußerlich sichtbares Symbol und Kleidungsstück einzustufen ist, zeigt ein doppelter Vergleich. Auf der einen Seite kann von einem sozialdemokratischen Richter zu Recht verlangt werden, während der Verhandlung keinen SPD-Sticker am Revers zu tragen. Wer das Bedürfnis hat, während einer Gerichtsverhandlung seine Parteimitgliedschaft auszustellen, kann in der Tat die Besorgnis erwecken, dass ihm anderes wichtiger ist als eine neutrale Entscheidung des konkreten Falls. Auf der anderen Seite kann von einem weiblichen oder männlichen Richter nicht erwartet werden, dass er oder sie äußerlich nicht als weiblich oder männlich erkennbar ist. Und das gilt auch dann, wenn es für die Prozessbeteiligten - etwa in einem Sorgerechtsstreit - durchaus von Interesse ist, ob das Gericht weiblich oder männlich besetzt ist.

Der Unterschied liegt in der Zumutbarkeit: Dem Parteimitglied ist es zumutbar, als Richter auf den Partei-Sticker zu verzichten. Dem Mann oder der Frau ist es nicht zumutbar, sein oder ihr Geschlecht zu verleugnen, um eine maximale äußerliche Neutralität der Justiz darzustellen. Die Kopftuch tragende Richterin liegt auf den ersten Blick näher am Parteimitglied. Denn sie könnte ihr Kopftuch technisch genauso einfach ablegen wie der Sozialdemokrat seinen Sticker. Wenn sie allerdings mit dem Kopftuch einem als persönlich verpflichtend verstandenen religiösen Gebot folgt, dann ist sie hier durch die Religionsfreiheit besonders geschützt. Aus normativen Gründen kann von ihr deshalb genauso wenig verlangt werden, auf das Kopftuch zu verzichten, wie von der Richterin oder vom Richter auf äußerlich erkennbare Zuordnung zu einem Geschlecht.

Es ist auch nur scheinbar großzügig, wenn Wolf der muslimischen Richterin zugesteht, sie könne das Kopftuch ja im Dienstzimmer oder in der Bibliothek durchaus tragen. Sie müsse nur im Sitzungssaaal und bei Zeugenvernehmungen darauf verzichten. Natürlich weiß auch Wolf, dass eine religiöse Kleidungsvorschrift nicht einfach punktuell verzichtbar ist. Wer glaubt, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen zu müssen, wird dies gerade in Situationen mit Bürgerkontakt als verbindlich empfinden.

Die vorgeschlagene Regel hätte also doch die massive Konsequenz, dass Kopftuch tragende Juristinnen in Baden-Württemberg grundsätzlich nicht Richterin oder Staatsanwältin werden könnten.

Scheinbare Gleichbehandlung hindert Diskriminierung nicht

Immerhin ist anzuerkennen, dass sich Wolf zumindest formal um Gleichbehandlung der Religionen bemüht. Selbstverständlich ist dies leider nicht. So hängt in Bayern nach wie vor in fast jedem Gerichtssaal ein Kruzifix. Hier macht sich der Staat (und nicht die Gerichtsperson) gemein mit der Mehrheitsreligion. Und gleichzeitig wird muslimischen Referendarinnen das Tragen des Kopftuchs im Gerichtssaal verboten. Solche Schizophrenie bleibt Wolf erspart, da an baden-württembergischen Gerichtsmauern nach offiziellen Angaben schon heute keine Kreuze mehr hängen.

Die scheinbare Gleichbehandlung aller Religionen kann aber die mittelbare Diskriminierung der Kopftuch tragenden Musliminnen nur schwer verdecken. Christen haben nun mal keine ostentativ-sichtbaren Kleidungsstücke, die für sie (oder für besonders Strenggläubige) verpflichtend sind. Und selbst wenn es noch andere Minderheitsreligionen mit ähnlichen religiösen Kleidungsgeboten gibt, etwa Juden mit Kippa oder Sikhs mit Turban, so ändert dies nichts an der mittelbaren Benachteiligung der Musliminnen gegenüber der Mehrheitsreligion und den Konfessionslosen.

Und genau darum dürfte es Wolf ja auch gehen. In einer Zeit, in der die humanitäre Flüchtlingspolitik der Kanzlerin weite Teile der Union und ihrer Wähler irritiert hat, will der ehemalige baden-württembergische CDU-Fraktionsvorsitzende ein Signal setzen, dass Integration "nach unseren Regeln" stattfindet. Dagegen wäre auch gar nichts zu sagen, denn die Regeln des liberalen Verfassungsstaates sind gute Grundlagen in einer sich ausdifferenzierenden Bevölkerung. Bedenklich ist eher, dass hier gezielt neue Regeln geschaffen werden, die manche aus religiösen Gründen ersichtlich nicht erfüllen können. Es geht Wolf deshalb nicht um Integration, sondern um Ausgrenzung. Dass er dabei "unsere Regeln" missachtet, etwa die Religionsfreiheit, macht seinen Vorstoß umso bedenklicher.

Fazit: Die bestehenden Vorschriften zur Sicherung der Unabhängigkeit des Gerichts genügen völlig. Die Besorgnis der Befangenheit muss im Einzelfall begründet werden. Keine Gruppe darf unter die Generalsorge mangelnder Neutralität gestellt werden.

Dr. Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent u.a. der taz, der Badischen Zeitung und des Kölner Stadtanzeigers.

Zitiervorschlag

Christian Rath, Kopftuchverbote an Gerichten?: Der Anschein einer Religion . In: Legal Tribune Online, 15.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21162/ (abgerufen am: 13.05.2024 )

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