"Kein rechtlich zwingendes Argument gefunden": Warum Bayern doch nicht gegen die Ehe für Alle vors BVerfG zieht

von Hasso Suliak

06.03.2018

Bayern wird keine Normenkontrollklage gegen die Ehe für Alle erheben. Gutachten hätten "kein rechtlich zwingendes Argument gefunden", dass sie gegen das GG verstößt. Die Bayern befürchteten aber wohl auch, dass der Schuss nach hinten losgeht. 

Die Bayerische Landesregierung wird nun doch keine Klage gegen die Ehe für alle vor dem Bundesverfassungsgericht (BverfG) einreichen. Nach jahrelanger Debatte hatte der  Bundestag mit großer Mehrheit im Juni 2017 Homosexuellen in Deutschland den Weg zur Ehe geebnet. Seit dem 1. Oktober 2017 können schwule und lesbische Paare wie heterosexuelle Paare heiraten, mit allen Rechten und Pflichten.

Mehrere CSU-Politiker hatten daraufhin immer wieder die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes behauptet und einen Gang nach Karlsruhe angekündigt. Auch Bundeskanzlerin Merkel hatte gegen das Gesetz gestimmt.  

Überzeugt, die juristische Prüfung durch das BVerfG besser zu unterlassen, wurde die CSU-Regierung nun durch zwei wissenschaftliche Gutachten, die sie selbst in Auftrag geben hatte. Sowohl das Gutachten der Göttinger Juraprofessorin Dagmar Coester-Waltjen als auch die Expertise des Augsburger Juraprofessors Ferdinand Wollenschläger waren dabei zum Ergebnis gekommen, dass eine Klage wohl in Karlsruhe keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

Die beauftragten Gutachter hätten nach Ansicht der Landesregierung "kein rechtlich zwingendes Argument gefunden, dass das Gesetz für die Ehe für alle gegen das Grundgesetz verstößt". Deshalb habe sich die Staatsregierung "mehrheitlich nach sorgfältiger Beratung sowohl der verfassungsrechtlichen als auch der verfassungs- und gesellschaftspolitischen Aspekte gegen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden", heißt in einer Erklärung von Dienstag. 

Gutachter: Gesetzgeber kann die Ehe für Alle öffnen

Die Gutachten treffen tatsächlich klare Aussagen: Laut Wollenschläger kann der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die Ehe einfach-gesetzlich für gleichgeschlechtliche Partnerschaften öffnen, ohne gegen Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu verstoßen". Das überkommene Strukturmerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit habe an Eindeutigkeit und Exklusivität verloren, die "zunehmende rechtliche und auch gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften die Bedeutung des historischen und tradierten Eheverständnisses für die Verfassungsinterpretation relativiert", heißt es in seinem Gutachten. Außerdem legten der Wortlaut von Art. 6, EU-/EMRK-grundrechtliche sowie rechtsvergleichende Perspektiven die Möglichkeit eines weiten Ehebegriffs nahe.

Weiter hätten vor allem die hinter dem besonderen Eheschutz stehenden Gründe (Charakter der Ehe als dauerhafte, umfassende und rechtlich verbindliche Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft; Familienbezug der Ehe) auch wegen der Rechtsprechung des BVerfG an Unterscheidungskraft gegenüber identisch verfassten gleichgeschlechtlichen Partnerschaften verloren. 

Gutachterin Dagmar Coester-Waltjen verweist in ihrem rechtsvergleichenden Gutachten darauf, dass gleichgeschlechtliche Ehen mittlerweile in 18 europäischen Rechtsordnungen zulässig seien, vor allem in westlichen EU-Staaten. Und soweit ersichtlich sei "bisher keine Gerichtsentscheidung ergangen, die ein Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Ehe einführt, für verfassungswidrig erklärt". Es gebe sogar Entscheidungen, "die eine Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare für verfassungsrechtlich erforderlich halten", betont sie, etwa in Kanada, Südafrika, den USA und Österreich. 

Die bayerische Kehrtwende und ihre Gründe

Die bayerisch Staatsregierung hält allerdings ausdrücklich "politisch an dem Leitbild der traditionellen Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau fest". Sie sei "Grundlage für Familien, in denen Kinder bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen". 

Gleichzeitig stellte die CSU-Regierung klar, dass sie "eine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften ausdrücklich" ablehne. Sie habe "von Anfang an deutlich gemacht, dass sich eine mögliche Klage nicht gegen gleichgeschlechtliche Lebenspartner richten würde, sondern ausschließlich zur Schaffung der notwendigen Rechtsklarheit durch Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen dienen sollte". Nach dem Ergebnis des Gutachtens sei diese Rechtsklarheit nun auch ohne Klage hergestellt. 

Unmittelbar nach der damaligen Bundestagsentscheidung hatten vor allem CSU-Politiker noch mit markigen Worten die Verfassungswidrigkeit der Ehe für Alle behauptet. So sagte der Justiziar der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, die Ehe für alle sei grundgesetzwidrig und bedürfe einer Verfassungsänderung: "Das BVerfG knüpft die Ehe an zwei Bedingungen", sagte der CSU-Politiker: "Sie ist eine dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft. Und sie ist darauf ausgerichtet, Kinder hervorzubringen. Das geht nur mit Mann und Frau."  Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte eine Verfassungsklage seiner Regierung ausdrücklich offen gelassen. Man habe erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, hieß es damals.

Dass die bayerische Landesreigerung sich nun anders entschieden hat, mag auch daran gelegen haben, dass man befürchtet, dass durch eine Entscheidung in Karlsruhe der Schuss nach hinten hätte losgehen können. "Das Gericht könnte sogar eine Klage zum Anlass nehmen, eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einführung der 'Ehe für alle' festzuschreiben", hatte es laut dpa in der ursprünglichen Kabinettsvorlage geheißen. 

SPD und Grüne: nicht nur zulässig, sondern geboten

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, der bei der damaligen Bundestagsdebatte eine besonders emotionale Rede gehalten hatte, sprach sich gegenüber LTO denn auch dafür aus, das Grundgesetz zu ändern. "Die bayerische Landesregierung hat sich komplett von der Lebenswirklichkeit entfernt, wenn man bedenkt, dass 83 Prozent unserer Bevölkerung die rechtliche Gleichstellung der Ehe für Schwule und Lesben befürworten", so Kahrs. Die bloße Überlegung einer Verfassungsbeschwerde aus Bayern zeige aber auch, dass die Diskussionen über die rechtliche Gleichstellung endgültig ein Ende haben müssten. "Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes muss deshalb unser Ziel sein."

Die queerpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Ulle Schauws und Sven Lehmann, sagten zu LTO: "Jetzt hat die CSU für 40.000 Euro noch mal schriftlich bekommen, was auch vorher klar war: Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Ehe für Alle sind unbegründet." Durch die Eheöffnung erfahre die Ehe keinen Bedeutungsverlust.

Auch Volker Beck, der sich seit langem für die Gleichstellung von Homosexuellen engagiert, zeigte sich zufrieden: "Die Gewährung der Eheschließungsfreiheit für gleichgeschlechtliche Paare ist verfassungsrechtlich nicht nur zulässig, sie ist verfassungsrechtlich geboten", sagte er zu LTO. Allerdings, so Beck, "hätte ein Urteil des BVerfG auch seinen Reiz gehabt".

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, "Kein rechtlich zwingendes Argument gefunden": Warum Bayern doch nicht gegen die Ehe für Alle vors BVerfG zieht . In: Legal Tribune Online, 06.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27365/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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