Expliziter Schutz queerer Menschen in Art. 3 GG: Ein leeres Ver­sp­re­chen aus Berlin?

von Hasso Suliak

24.07.2024

Vor dem Berliner Christopher Street Day am Samstag wächst in der queeren Szene der Unmut über den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Seine geplante Eröffnungsrede wurde abgesagt – weil er im Vorjahr den Mund zu voll nahm?

Auf dem Christopher Street Day (CSD) 2023 umgarnte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner die queere Community mit vollmundigen Worten. In seiner Eröffnungsrede sprach sich der damals erst wenige Wochen im Amt befindliche CDU-Politiker laut Tagesspiegel dafür aus, in das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) auch die sexuelle Identität mitaufzunehmen. "Meine feste Zusage für diesen Berliner Senat ist: Wir wollen den Artikel 3 des Grundgesetzes ändern. Da muss die sexuelle Identität mit rein. Das ist mein Versprechen", sagte Wegner. Und weiter: "Wir werden das gemeinsam mit euch auch hinbekommen."

Für einen CDU-Politiker eine bemerkenswerte Ansage, schließlich hatte sich seine Partei im Bundestag bis dato einer GG-Änderung, für die in Parlament und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, beharrlich widersetzt.

So hatte der heutige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Union Thorsten Frei (CDU) seinerzeit den Standpunkt der Konservativen gegenüber LTO wie folgt klargemacht: Die Rechte von Schwulen, Lesben und Bisexuellen seien bereits heute "vollumfänglich grundgesetzlich – auch in Artikel 3 GG – verbrieft". Mit einer GG-Änderung bestehe die Gefahr, "dass weitere Gruppen in den Katalog von Merkmalen des Artikels 3 Absatz 3 Satz 1 GG aufgenommen werden wollen". Die "Präzision des Grundgesetzes" lebe von seiner Kürze und der damit verbundenen Prägnanz. Eine "Aufblähung des Grundgesetzes wäre weder hilfreich noch wünschenswert", so Frei. Umso wohlwollender reagierte vor diesem Hintergrund die queere Community auf Wegners Ansage am 22. Juli 2023. 

Senatsvorlage in Abstimmung*

Doch ein Jahr später ist Ernüchterung eingekehrt. Irgendeinen Anstoß seitens Berlins für eine entsprechende Bundesratsinitiative hat es nicht gegeben. Zwar hat Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) wohl eine Senatsvorlage zur Vorbereitung einer Bundesratsinitiative erarbeitet, befasst hat sich der Senat damit aber bisher nicht. Der Entwurf vom 16. Juli befinde sich derzeit in der senatsinternen Abstimmung, teilte die Senatssprecherin Christine Richter am Donnerstag auf LTO-Anfrage mit. Er sehe vor, Artikel 3 des Grundgesetzes dahingehend zu ergänzen, dass niemand wegen “seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität” benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. “Das Ziel des Regierenden Bürgermeisters ist es, dass eine Bundesratsinitiative für die Erweiterung des Artikels 3 Grundgesetz dann auch im Bundesrat erfolgreich ist und die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erhält” so Richter.* 

Die Enttäuschung der CSD-Organisator:innen gipfelte nun vor wenigen Tagen in der Nachricht, dass Wegner – anders als geplant – die Eröffnungsrede des CSD nicht halten wird. "Eigentlich ist die Eröffnung der Parade durch den jeweiligen Senatschef oder die Senatschefin inzwischen fester Bestandteil der europaweit größten Veranstaltung der LGBTIQ*-Community", erläuterte die Berliner taz. Wegner werde aber dennoch am CSD teilnehmen.

Am Mittwoch bekräftigten nun die CSD-Organisator:innen, dass sie weiter von Kai Wegner Unterstützung für ihre Forderung erwarten: "Der Schutz der queeren Community durch das Grundgesetz muss aus unserer Sicht noch vor der Bundestagswahl 2025 kommen", sagte das Vorstandsmitglied des Berliner CSD e. V., Marcel Voges. "Dafür werden wir auch nach dem CSD selbstbewusst auftreten und uns einsetzen." 

Angst vor Rechtsextremen 

Dabei gehe es nicht um Sonderrechte für queere Menschen, sondern um elementare Grundrechte. "Innerhalb der Community herrscht bereits große Unruhe und Angst wegen des Erstarkens rechtsextremer Parteien. Es wird massiv gegen unsere Community gehetzt", warnte Voges. Dass es immerhin eine Senatsvorlage gibt, findet Voges gut. "Von der Berliner Landesregierung erwarten wir rasche Gespräche mit den anderen Bundesländern und der Bundes-CDU, um eine Zweidrittelmehrheit für eine Bundesratsinitiative und Grundgesetzänderung zu erreichen."

In der Pflicht befindet sich bei dem Thema allerdings nicht nur Wegner, sondern auch die Bundesregierung, die ebenfalls eine Gesetzesinitiative starten könnte. Schließlich hatte man sich im Koalitionsvertrag seinerzeit auf eine GG-Ergänzung verständigt: "Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 GG) um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen (…)", heißt es darin. Passiert ist seither ebenfalls nichts. Und zwar deshalb nicht, weil das Vorhaben angesichts des Widerstandes in der Union keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, wie eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums gegenüber LTO bestätigte: “Wegen des Erfordernisses der Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat wäre eine Verfassungsänderung allerdings nur mit Stimmen der Oppositionsfraktionen möglich. Im Bundesministerium der Justiz ist nicht bekannt, dass bislang eine entsprechende Verständigung erzielt wurde.”

Volker Beck: “75-jährige Schuld des Verfassungsgebers” 

Zuletzt hatte der Lesben- und Schwulenverband LSVD anlässlich des 75-jährigen Grundgesetz-Bestehens im Mai daran erinnert, dass der Schutz lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher sowie weiterer queerer Menschen (LSBTIQ*) weiterhin unvollständig sei. "Besonders in Zeiten des Rechtsrucks ist es dringender denn je, dass die Anpassung noch in dieser Legislaturperiode erfolgt: Weil der Schutz queerer Menschen nicht explizit im Grundgesetz steht, könnte sich die systematische Verfolgung queerer Menschen auch in Deutschland wiederholen", so der Verband. 

Der ehemalige Grünenpolitiker Volker Beck, der sich über Jahre für die Belange von Homosexuellen und anderen queeren Menschen eingesetzt hatte, forderte im Gespräch mit LTO ebenfalls eine Ergänzung des GG und eine entsprechende Gesetzesinitiative: “Dass das Grundgesetz gleiche Rechte für Lesben, Schwule und Trans* garantiert, ist eine über 75-jährige Schuld des Verfassungsgebers gegenüber unserer Minderheit. Der Berliner Regierende hat eine Initiative versprochen. Jetzt sollte er liefern. Mein Vorschlag: Ein Gesetzentwurf der Bundesländer, allen voran Berlin, und der Ampel-Koalition im Bundestag. Beide wortgleich und dann werden gemeinsam Stimmen gesammelt bis die Zwei Drittel Mehrheit da ist.” 

*Anmerkung der Red.: Das Statement der Senatssprecherin wurde am 25.07.24, 12:30 Uhr ergänzt.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Expliziter Schutz queerer Menschen in Art. 3 GG: . In: Legal Tribune Online, 24.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55068 (abgerufen am: 09.12.2024 )

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