BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung erfolgreich

28.06.2011

Das BVerfG hat in einem weiteren Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen Verletzung des Freiheitsgrundrechts und des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebotes aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Mit der nun getroffenen Entscheidung hat der Zweite Senat klargestellt,
dass die in seinem früheren Urteil aus dem Mai diesen Jahres festgesetzten höheren Anforderungen an die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung immer dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - in das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen auf ein Unterbleiben seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eingegriffen wird (Beschl. v. 08.06.2011, Az. 2 BvR 2846/09).

Der Beschwerdeführer wurde 1987 wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren  und 1997 wegen Totschlags zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zum Zeitpunkt der zweiten Verurteilung war eine Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtlich (noch) nicht möglich, weil diese nach der damals geltenden Rechtslage mindestens drei vorsätzliche Straftaten voraussetzte. Erst ein Änderung des Strafgesetzbuches 1998 ließ eine Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits nach zwei vorsätzlichen Straftaten zu.

Die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung wurde 2004 eingeführt und 2007 dahingehend erweitert, dass die Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden durfte, wenn zum Zeitpunkt der Verurteilung wegen der Anlasstat aus Rechtsgründen keine primäre Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Grundsatzurteil vom 04.05.2011 alle Vorschriften des Strafgesetzbuches und des Jugendgerichtsgesetzes über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit dem Freiheitsgrundrecht erklärt.

Besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit

Die Gerichte sind daher bis zu einer Neuregelung gehalten, über die dem Grundsatzurteil zugrundeliegenden Fallgestaltungen hinaus auch in den anderen Konstellationen, in denen das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen in das Unterbleiben der Sicherungsverwahrung beeinträchtigt wird, die Sicherungsverwahrung nur noch dann anzuordnen oder aufrechtzuerhalten, wenn die besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit erfüllt sind.

Ob diese Voraussetzungen im Fall des Beschwerdeführers gegeben
sind, wird das Landgericht zu prüfen haben.

tko/LTO-Redaktion

 

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Zitiervorschlag

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung erfolgreich . In: Legal Tribune Online, 28.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3605/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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