EGMR zur Sicherungsverwahrung: Straßburger Lob für das höchste deutsche Gericht

09.06.2011

Mal etwas Neues aus Straßburg: Die Kammer hat mit noch nicht rechtskräftigen Urteilen vom Donnerstag die Beschwerden zweier in Sicherungsverwahrung befindlicher mehrfach verurteilter Straftäter zurückgewiesen. Die gleichzeitig mit dem Urteil angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist nicht konventionswidrig, so die Europarichter, die gleich noch großzügiges Lob nach Karlsruhe verteilten.

Es erscheint auf den ersten Blick beinahe ungewohnt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die deutsche Sicherungsverwahrung für nicht konventionswidrig erachtet. Dabei stützte die Straßburger Kammer, deren Mitglied unter anderem auch die deutsche Professorin Angelika Nußberger ist, sich bei ihren Entscheidungen auf die bisherige europäische Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung.

Vor allem auf den "Fall M.", mit dem der Niedergang der deutschen Sicherungsverwahrung in ihrer bis dahin vorliegenden Form seinen Anfang genommen hatte, bezog sich der EGMR, als er nun die Beschwerden zweier mehrfach verurteilter Straftäter zurückwies, bei denen die Sicherungsverwahrung zusammen mit der Verurteilung angeordnet worden war. (Urteile vom 09.06.2011, Beschwerdenummern 30493/04 - S. gegen Deutschland und 31047/04, 43386/08 - M. gegen Deutschland)  Die Anordnung mit dem Urteil genügt den Anforderungen der Konvention an einen Freiheitsentzug "nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht", betonten die Straßburger Richter und bekräftigten damit ihre bisherige Linie.

Die Sicherungsverwahrung war auch bei keinem der beiden Verurteilten nachträglich über die ursprüngliche Höchstfrist von zehn Jahren hinaus verlängert worden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 § 1 Europäische Menschenrechtskonvention) vorlag.

Lob für das BVerfG

Der Gerichtshof nimmt Bezug auf das "Leiturteil" des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. Mai 2011, mit dem die Karlsruher Richter alle Vorschriften betreffend nachträgliche Anordnung und nachträgliche Verlängerung für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hatten. Die Europarichter begrüßen ausdrücklich den deutschen Ansatz, "die Bestimmungen des Grundgesetzes auch im Licht der Konvention und der Rechtsprechung des EGMR auszulegen, mit dem das Verfassungsgericht sein fortwährendes Bekenntnis zum Grundrechtsschutz nicht nur auf innerstaatlicher, sondern auch auf europäischer Ebene unterstreicht".

Auch diese Entscheidung des BVerfG hilft den Beschwerdeführern vor dem Menschengerichtshof übrigens nicht: Karlsruhe hat dem deutschen Gesetzgeber zwei Jahre Zeit gegeben, um die Sicherungsverwahrung neu und insbesondere dergestalt zu regeln, dass Strafvollzug und Sicherungsverwahrung sich hinreichend voneinander unterscheiden (so genanntes Abstandsgebot). Die Regelungen sind aber nicht rückwirkend nichtig.

Karlsruhe und Straßburg jedenfalls scheinen derzeit auffallend um Konsens bemüht zu sein. Die Karlsruher Richter, die noch 2004 die deutsche Sicherungsverwahrung für verfassungsgemäß erklärten hatten und deren erste Entscheidung nach der Rechtsprechung aus Europa Ende des Jahres 20098 lange auf sich warten ließ, bemühten sich in ihrer Entscheidung vom 4. Mai 2011 ersichtlich um Berücksichtigung der europäischen Vorgaben.

Der EGMR seinerseits honoriert das in seinen Entscheidungen vom Donnerstag sehr deutlich. Auch wenn gerade die Differenzierung zwischen dem Grundrechtsschutz auf innerstaatlicher und dem auf europäischer Ebene sicherlich noch weiterhin für Zündstoff sorgen dürfte.

pl


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Zitiervorschlag

EGMR zur Sicherungsverwahrung: Straßburger Lob für das höchste deutsche Gericht . In: Legal Tribune Online, 09.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3475/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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