Kinderwahlrecht: "16 Jahre wäre weniger verfassungswidrig"

Interview mit Prof. Dr. Michael Quaas

15.07.2014

15 Kinder und Jugendliche wehren sich mit einer Wahlprüfungsbeschwerde vor dem BVerfG gegen das Mindestwahlalter bei der Bundestagswahl von 18 Jahren. Michael Quaas berät die Gruppe rechtlich. Er sieht in der Altersbeschränkung einen Verstoß gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip, ganz abschaffen würde er ein Mindestwahlalter aber nicht.

LTO: Sie halten das Mindestwahlalter bei der Bundestagswahl für verfassungswidriges Verfassungsrecht. Wieso?

Quaas: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist das Wahlrecht das vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat. Es ist ein politisches Grundrecht, das sich aus der Menschenwürde herleitet und zugleich das Demokratieprinzip zum Ausdruck bringt. Die Wahlrechtsgarantie in Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie und dem Demokratieprinzip begründet außerdem ein subjektives Recht auf Demokratie.

Dagegen verstößt Art. 38 Abs. 2 GG, der das Wahlrecht erst ab 18 Jahren einräumt, weil Grundrechte allen Deutschen zustehen – unabhängig vom Alter. Art. 38 Abs. 2 GG ist also verfassungswidriges Verfassungsrecht. Die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG werden nicht eingehalten.

LTO: Gleichzeitig hat Karlsruhe die Altersbeschränkung aber immer wieder gebilligt.

Quaas: Ausdrücklich hat das BVerfG noch keine Entscheidung getroffen. Es hat lediglich in einigen Obiter Dicta – also in nicht-entscheidungserheblichen RandbemerkProf. Dr. Michael Quaasungen zu anderen Verfahren – geäußert, dass ein Mindestwahlalter dem Herkommen entspreche. Begründet hat es das nicht weiter, insbesondere nicht die Beschränkung auf 18 Jahre.

Dass es überhaupt ein Mindestwahlalter geben muss, kann man durchaus vertreten. Wir sind aber der Auffassung, dass es zum jetzigen Zeitpunkt – die letzte Verfassungsänderung war vor 44 Jahren –angemessen ist, das Wahlalter zumindest auf 16 Jahre herabzusetzen. Es gibt zahlreiche Bundesländer, die haben mittlerweile ein Mindestwahlalter von 16 Jahren bei den Landtagswahlen. Bei Kommunalwahlen ist das sogar ganz überwiegend der Fall. Diese Entscheidung der Länder darf man nicht ignorieren, wenn man beurteilen will, ab wann jemand die nötige Einsichtsfähigkeit hat, um wählen gehen zu können.

"Vollständige Aufhebung eines Mindestwahlalters wäre ein Problem"

LTO: Das heißt, 16 Jahre wäre nicht verfassungswidrig?

Quaas: 16 Jahre wäre weniger verfassungswidrig.

LTO: Was wäre gar nicht verfassungswidrig?

Quaas: Das ist ein Konflikt, den wir nicht beantworten müssen. Wir müssen nur darlegen, warum eine Altersgrenze von 18 Jahren verfassungswidrig ist.

Die vollständige Aufhebung eines Mindestwahlalters würde dazu führen, dass die Eltern das Stimmrecht für ihre Kinder unter 10 oder 12 Jahren ausüben müssten. Das würde aber am Grundsatz der Gleichheit der Wahl scheitern. Darum plädieren wir letztlich dafür, dass ein angemessenes Wahlalter bestimmt wird, das sich an der politischen Mündigkeit und Reife der Wahlberechtigten bemisst und das sind 16 Jahre.

LTO: Wieso nicht 14 Jahre? Das ist doch auch eine Grenze, die das Recht mehrfach nutzt. Etwa im Strafrecht oder bei der Religionsmündigkeit.

Quaas: Das muss letztlich der Verfassungsgeber entscheiden.

LTO: Sie gestehen dem Verfassungsgeber also ein Einschätzungsprärogative zwischen 16 und 14 Jahren zu. Alles darüber hinaus oder auch darunter halten Sie aber für verfassungswidrig?

Quaas: Genau.

LTO: Unter den Beschwerdeführern sind Wahlberechtigte und Nicht-Wahlberechtigte. Wieso?

Quaas: Da geht es um die Zulässigkeit der Wahlrechtsbeschwerde. Nach dem Wortlaut von § 48 Bundesverfassungsgerichtsgesetz können nur wahlberechtigte Personen die Bundestagswahl anfechten.

Allerdings ist es auch eine Frage der Sachlogik, dass die unter 18-Jährigen beschwerdebefugt sind, da sich unsere Beschwerde ja gegen das aktuelle Wahlalter richtet. Um da prozessual nichts falsch zu machen, haben wir beide Gruppen ausgewählt. Am Ende muss das BVerfG entscheiden, wie es das sieht.

"Generationengerechtigkeit immer stärker verletzt"

LTO: Müsste die Bundestagswahl wiederholt werden, wenn Ihre Beschwerde Erfolg hat?

Quaas: Das wollen wir nicht. Uns geht es nur darum, dass das BVerfG sich zur Zulässigkeit der Altersbeschränkung für das aktive Wahlrecht äußert. Das ist auch möglich, ohne die Wahl für ungültig zu erklären.

LTO: Rechnen Sie denn damit, dass es eine Entscheidung in der Sache gibt?

Quaas: Ich rechne damit, dass sich die Verfassungsrichter verschärft mit der Frage auseinandersetzen. Wir hoffen, dass der Senat über die Sache berät. Nicht nur die Dreier-Kammer, die über einen Nichtannahmebeschluss entscheiden würde. Natürlich sind die Hürden für eine Wahlbeschwerde sehr hoch. Das wissen wir auch.

LTO: Vor über zehn Jahren hat schon einmal eine Kinderrechtsinitiative vor dem BVerfG versucht, ein Wahlrecht für Kinder durchzusetzen. Damals hat Karlsruhe die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 09.10.2002, Az. 2 BvC 2/99). Was hat sich seit dem geändert?

Quaas: Das Bewusstsein hat sich verändert wie man an der Absenkung des Mindestwahlalters auf Lande- und Kommunalebene sieht. Außerdem wird der Grundsatz der Generationengerechtigkeit immer stärker verletzt. Die Bevölkerung wird immer älter und berücksichtigt die Interessen der unter 18-Jährigen immer weniger. Das hat man zuletzt beim Mindestlohn gesehen. Während man einem 17-jährigen Schüler 6 Euro die Stunde für einen Ferienjob zahlen darf, würde ein 19-Jähriger für dieselbe Arbeit 8,50 Euro bekommen.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Michael Quaas ist Rechtsanwalt in Stuttgart. Er berät die Beschwerdeführer rechtlich. Unterstützt wird die Gruppe von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Michael Quaas , Kinderwahlrecht: "16 Jahre wäre weniger verfassungswidrig" . In: Legal Tribune Online, 15.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12566/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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