Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren: Was bringt der neue VwGO-Turbo?

Gastbeitrag von Dr. Karsten Keller

23.02.2023

Die Ampel drückt aufs Tempo: Änderungen in der VwGO sollen dafür sorgen, dass Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten zeitlich gerafft werden. Aber hält das neue Gesetz, was es verspricht? Karsten Keller hat Zweifel.

Genehmigungsverfahren dauern. Selbst Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser benötigen mitunter Monate. Wenn dann noch Nachbarn oder Umweltverbände klagen, sind Ausdauer und Geduld gefragt. Zwei Jahre bis zu einem erstinstanzlichen Urteil sind keine Seltenheit. 

Zumindest für Infrastrukturvorhaben wie Autobahnen und Schienenwege soll es mit dem Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich künftig schneller gehen. Der Bundestag beschloss am 10. Februar entsprechende Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nachdem bei der Sachverständigenanhörung wenige Tage davor massive Kritik an dem Gesetzentwurf geäußert worden war, kam es auf den letzten Metern noch einmal zu diversen Änderungen. Zuvor waren die erhofften Beschleunigungseffekte nicht nur von der Bundesrechtsanwaltskammer angezweifelt worden. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte (OVG) der Länder und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) machten zudem verfassungs- und europarechtliche Bedenken geltend.

Gesetzgeber verliert sich in Details

Im Ergebnis ist das Gesetz weder ein Maximum an Flexibilität für die Gerichte noch maximal ein Nullum, wie es in der Bundestagsdebatte hierzu hieß. Die Gesetzesänderungen wirken vielmehr wie das Werk eines Mikromanagers, der sich in Details verliert, ohne erhebliches Beschleunigungspotential zu heben. 

Konkret Gesetz geworden sind Detailänderungen in der VwGO und punktuell des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG), des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) sowie des Telekommunikationsgesetzes. Die Änderungen gelten für verwaltungsgerichtliche Verfahren zu Infrastrukturvorhaben wie Windkraftanlagen, Autobahnen, Schienenwegen, Häfen, LNG-Terminals oder dem Braunkohletagebau. 

Instanzenzug wird für weitere Verfahren eingedampft

Mit dem neuen Gesetz werden die OVG zusätzlich zum bestehenden umfangreichen Zuständigkeitskatalog in § 48 Abs. 1 VwGO für weitere Vorhaben erstinstanzlich zuständig. Das BVerwG wird in erster und zugleich letzter Instanz für Wasserstoff- und LNG-Terminals zuständig. Unterlegenen bleibt in diesem Fall nur noch der Weg außerhalb des Instanzenzugs zum Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 

Vor dem Hintergrund dieses eingeschränkten Instanzenzugs wirkt es bestenfalls kleinteilig, dass dem OVG die Übertragung auf einen Einzelrichter und dem BVerwG auf einen mit drei Richtern besetzten Senat ermöglicht wird. Dies gilt in Fällen ohne – aus Sicht des Gerichts – besondere Schwierigkeiten und grundsätzliche Bedeutung. Im Rahmen eines reduzierten Instanzenzugs sitzen Rechtssuchende dann einer reduzierten Gerichtsbesetzung gegenüber, die zudem die Angelegenheit als einfach gelagert und nicht grundsätzlich einordnet. Eine etwaige Klageabweisung trotzdem zu akzeptieren, wird nicht jedem leicht fallen. 

Die wichtigste Änderung des Bundestages am ursprünglichen Gesetzesentwurf ist der Verzicht auf die Klageerwiderungsfrist. Die Frist von zehn Wochen zur Erwiderung auf eine Klagebegründung sollte eine Art Pendant zur zehnwöchigen Klagebegründungsfrist aus dem UmwRG sein. Diese Klagebegründungsfrist dient im Wesentlichen der Eingrenzung des Prozessstoffes und der Klagegründe, so dass Gerichtsverfahren nicht durch neue Einwendungen gegen eine angegriffene Genehmigungsentscheidung verzögert werden. Entsprechendes Beschleunigungspotenzial ist bei einer Klageerwiderungsfrist nicht erkennbar. Insofern war es richtig, diese Änderung wieder zurückzunehmen.

Noch mehr Tempo beim Eilverfahren?  

Bedeutsam sind die Modifikationen in der VwGO in erster Linie für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren. Nach dem neuen Beschleunigungsgesetz kann das Gericht dabei Mängel der Genehmigungsentscheidung außer Acht lassen, wenn offensichtlich ist, dass die Mängel in absehbarer Zeit behoben werden. Das kann unter anderem Verfahrensfehler oder sonstige Fehler betreffen, die durch zusätzliche oder wiederholte Verfahrensschritte absehbar behoben werden können. Zur Mangelbehebung soll das Gericht eine Frist setzen. Nach Fristablauf kann dann ein erneuter Eilantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO gestellt werden.

In diesem Zusammenhang wird geregelt, dass die Möglichkeit zum außer Acht lassen im Eilverfahren grundsätzlich nicht für absolute Verfahrensfehler gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG gilt. Allerdings: Was mit "grundsätzlich" gemeint ist, wird weder aus dem Gesetzestext noch aus der Gesetzesbegründung deutlich. Zumal auch für absolute Verfahrensfehler gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG eine Heilung grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Ist "grundsätzlich" vielleicht eine neue Kategorie, die zwischen "kann" und "soll" anzusiedeln ist? Wie auch immer: Solche unbestimmten Regelungen führen jedenfalls zu neuen Rechtsfragen und Abgrenzungsschwierigkeiten, nicht zur Verfahrensbeschleunigung.

Relevant ist, dass das Gericht in Eilverfahren, in denen die Erfolgsaussichten offen sind, die Genehmigung nicht ohne weiteres insgesamt außer Vollzug setzen soll. Bis zur Hauptsacheentscheidung sollen nur Maßnahmen nicht umgesetzt werden können, durch die irreversible Nachteile drohen. Darunter können etwa erhebliche Eingriffe in Natur und Landschaft fallen, die nicht rückgängig zu machen sind. Im Übrigen soll die Genehmigung vollziehbar bleiben. 

Außerdem kann die Umsetzung der danach noch zulässigen Maßnahmen von einer Sicherheitsleistung des Vorhabenträgers abhängig gemacht werden. Diese Möglichkeit bestand so bisher nicht. Die Sicherheitsleistung soll nunmehr gewährleisten, dass umgesetzte Maßnahmen auch rückgängig gemacht werden, wenn eine Genehmigung in der Hauptsache aufgehoben wird.

Weiter muss das Gericht im Eilverfahren prüfen, ob ein Bundesgesetz Aussagen ggf. darüber trifft, dass das Vorhaben im überragenden öffentlichen Interesse liegt. Wirklich neu ist das nicht. Das "überragende öffentliche Interesse" findet sich etwa in § 2 Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) und ist im Rahmen der gerichtlichen Abwägung genauso wie der behördlichen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. 

Im Übrigen werden u. a. die Rechtsfolgen an verspätetes Vorbringen nach gerichtlicher Fristsetzung gem. § 87b VwGO verschärft. Darüber hinaus sollen die vom Beschleunigungsgesetz erfassten Gerichtsverfahren vorrangig und beschleunigt durchgeführt werden und in geeigneten Fällen ein früher erster Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits stattfinden. Allerdings: Diese Möglichkeiten bestanden bereits vor der Gesetzesänderung. Auch konnten die Gerichte schon bisher die Bedeutung der Infrastrukturvorhaben bei der internen Priorisierung berücksichtigen. 

Materielles Recht sorgt für lange Verfahren

Gerichtsverfahren vor dem BVerwG dauern durchschnittlich ein Jahr und vor den OVG durchschnittlich eineinhalb Jahre. Meine Prognose: Das wird sich durch das Beschleunigungsgesetz nicht erheblich ändern. Es hapert weiterhin daran, dass die materiell-rechtlichen Vorgaben im Genehmigungsverfahren abzuarbeiten sind und die Verfahren dadurch komplex und gutachtenlastig sind. Das wirkt sich naturgemäß auch auf die Gerichtsverfahren aus. 

Das größte Potential zur Verfahrensbeschleunigung birgt neben gut ausgestatteten Genehmigungsbehörden und gut vorbereiteten Antragsunterlagen unverändert die weitere Konkretisierung oder die Ausnahme von verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Anforderungen vor allem im Umweltrecht. Die EU-Notfallverordnung 2022/2577 zum beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energie zeigt, wie es gehen kann. Danach können in der Abwägung die Vorgaben aus dem europäischen Gebiets- oder Artenschutzrecht für Vorhaben mit überragender öffentlicher Bedeutung überwunden werden. Für bestimmte Solarenergieanlagen gibt es eine Genehmigungsfiktion. 

Einschnitte im Rechtsschutz führen zum Akzeptanzverlust

Die Kehrseite des neuen Gesetzes: Durch die Priorisierung von Gerichtsverfahren für Infrastrukturgenehmigungen ist zu erwarten, dass die gerichtlichen Kapazitäten weiter zu Lasten anderer verwaltungsgerichtlicher Verfahren verschoben werden. Dies betrifft dann u. a. Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen oder erneuerbare Energieanlagen, die nicht unter die speziellen Beschleunigungsvorgaben für Infrastrukturvorhaben fallen. 

Der schwerwiegendste Einschnitt jedoch bleibt der verkürzte Instanzenzug. Das belastet die OVG und das BVerwG nicht nur zusätzlich, sondern beschränkt die Überprüfungsmöglichkeiten für Gerichtsentscheidungen. Förderlich für die Akzeptanz dieser Entscheidungen sind die Änderungen daher nicht.

Autor Dr. Karsten Keller ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB am Standort Köln. Er berät und vertritt Vorhabenträger und Behörden im Umweltrecht.

Kanzlei des Autors

Zitiervorschlag

Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren: Was bringt der neue VwGO-Turbo? . In: Legal Tribune Online, 23.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51140/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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