BMJ will Verwaltungsverfahren beschleunigen: Eine zukunfts­fähige Infra­struk­tur­po­litik?

Gastbeitrag von Dr. Julia Chladek

18.08.2022

Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen schneller gehen – vor allem angesichts der drohenden Gasknappheit. Helfen soll nun eine Reform der VwGO. Aber: Die Probleme liegen nicht allein im gerichtlichen Verfahren, findet Julia Chladek.

Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland beschleunigen – diese Forderung prägt seit Jahrzehnten politische Agenden. Der Ukraine-Krieg hat der Problematik nun eine neue Brisanz verliehen: Deutschland droht das Gas auszugehen. Alternativen in Form von Terminals für Flüssiggas (LNG) müssen her – und zwar so schnell wie möglich. 

Bereits im Mai hatte der Bundestag mit dem "Gesetz zur Beschleunigung verflüssigten Erdgases", dem LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG), die Voraussetzungen für eine Eil-Zulassung von LNG-Terminals geschaffen. 

Am Donnerstag hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) den Referentenentwurf für ein "Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich" veröffentlicht. Damit sollen ergänzende Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) auf den Weg gebracht werden. 

BVerwG als erste Instanz in LNGG-Verfahren

Für die VwGO sieht der Entwurf zunächst vor, die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) nach § 50 Abs. 1 VwGO auch auf LNGG-Verfahren zu erweitern.

Damit greift das BMJ auf ein bewährtes Beschleunigungsinstrument zurück. Bereits seit Längerem ist das BVerwG nach § 50 Abs. 1 VwGO für Klagen gegen große Infrastrukturprojekte etwa aus dem Bereich der Straßen-, Schienen- und Wasserwege oder der Energieleitungen erstinstanzlich zuständig. Diese erst- und letztinstanzliche Entscheidung durch die höchsten Verwaltungsrichterinnen und -richter hat sich gerade in öffentlichkeitswirksamen Verfahren als sinnvoll erwiesen. Ein Gang durch die Instanzen bis zum BVerwG wäre ohnehin vorprogrammiert, eine direkte Entscheidung kann schneller Klarheit schaffen und die Gemüter beruhigen – so zumindest die Hoffnung.

Gleichwohl dürften sich die Kapazitäten des BVerwG, aus politischen Gründen als Ersatz-Erstinstanz zu fungieren, nunmehr der Erschöpfung nähern. Denn damit verbunden sind zahlreiche Aufgaben, die dem BVerwG als Revisionsinstanz originär nicht zukommen – etwa die in solchen Verfahren regelmäßig sehr umfangreiche Beweisaufnahme. Für zukünftige Problembereiche sollte der Gesetzgeber also beizeiten nach einer Alternativlösung suchen.

Was ist mit dem Amtsermittlungsgrundsatz?

Größeren Bedenken begegnen die weiteren Änderungspläne für VwGO, EnWG und NABEG. Nach einem neuen § 87b Abs. 4 VwGO hat das Gericht verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismitteln in LNGG-Verfahren nun unberücksichtigt zu lassen. Zuvor stand diese Entscheidung noch im Ermessen der Richterinnen und Richter. 

Parallel dazu soll die Klagebegründungsfrist für EnWG-Vorhaben und bestimmte Bundesfachplanungs-Entscheidungen nach dem NABEG auf zehn Wochen fixiert und verschärft werden. Anders als im Falle des § 87b VwGO muss das Gericht hier nicht einmal mehr aktiv eine Frist zur Beibringung setzen; nach Ablauf der Klagebegründungsfrist vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel sind schlicht unzulässig. 

Die implizite Rechtfertigung: Der Kläger hatte ja bereits im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zur Beteiligung. Denn nur wenn dem nicht so war, kann die Frist auf Antrag verlängert werden. Dass im Verwaltungsprozess gem. § 86 Abs. 1 VwGO eigentlich der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, scheint in Vergessenheit geraten zu sein.

Eine materielle Präklusion "light" durch die Hintertür

Wieder einmal sucht der Gesetzgeber die Verfahrensbeschleunigung damit ausschließlich in der Modifikation gerichtlicher Verfahren und der Einschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten. Mit dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG) hatte die große Koalition Anfang 2021 bereits die Voraussetzungen geschaffen, um besonders kritikanfällige Großprojekte im Straßen-, Schienen- und Wasserwege- sowie im Energieleitungsbereich durch Gesetz statt wie bisher durch Planfeststellungsbeschluss zuzulassen. (Erwünschter) Nebeneffekt: Insbesondere Umweltverbänden stehen damit faktisch keine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die umweltsensiblen Projektzulassungen mehr zur Verfügung. 

Die Zulassungsentscheidungen nach dem LNGG ergehen zwar nach wie vor per Planfeststellungsbeschluss, also per Verwaltungsakt. Die Regelungen zur Zurückweisung von Beweismitteln und zur Klagebegründungsfrist erinnern jedoch stark an Zeiten der materiellen Präklusion, die der EuGH in einem Grundsatzurteil vom 15. Oktober 2015 für europarechtswidrig erklärt hatte.

Während Individualkläger und -klägerinnen damals während der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren nur grobe Angaben machen mussten, um nicht präkludiert zu sein, mussten Umweltverbände die Umweltfolgen detailliert beschreiben. Die dafür erforderlichen Untersuchungen konnten im wenige Wochen dauernden Zeitraum der Einwendungsfrist aber kaum durchgeführt werden, sodass regelmäßig über ein Drittel der Einwendungen von Umweltverbänden präkludiert waren. 

Auf dasselbe Ergebnis dürfte nun die Kombination aus Einschränkung der Klagebegründungsfrist und Zurückweisungspflicht des Gerichts hinauslaufen.

Veränderter Prüfungsmaßstab vor allem bei Eilverfahren

Schließlich soll ein neuer § 80c VwGO die Entscheidungskompetenz der Gerichte in Eilverfahren gegen LNGG-Projekte modifizieren. Diese Verfahren dürften vorerst zum Haupt-Schauplatz gerichtlicher Auseinandersetzungen um LNGG-Zulassungen werden. Denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Zulassungsentscheidungen für die prominenten Flüssiggas-Projekte haben nach § 11 LNGG keine aufschiebende Wirkung. Ein Eilantrag ist also zwingend erforderlich, will man den Baubeginn verhindern.

Stellt das Gericht dann einen Mangel der Zulassungsentscheidung fest, soll es diesen schlicht außer Acht lassen können, "wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben wird". Insbesondere gelten soll das bei einer Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften sowie bei Abwägungsfehlern im Rahmen der Planfeststellung oder Plangenehmigung.

Damit betritt der Gesetzgeber völliges Neuland. Denn zwar sind die Unbeachtlichkeit bestimmter Verfahrens- und Formfehler sowie auch der Grundsatz der Planerhaltung bewährte Instrumente des deutschen Planungsrechts. Üblich ist aber bisher eine Differenzierung nach Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis sowie auch nach Schwere und Auswirkungen des festgestellten Fehlers. So sieht § 75 Abs. 1a VwVfG für Planfeststellungen bisher vor, dass Mängel bei der Abwägung dann nicht außer Acht gelassen werden können, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Ähnliches gilt nach § 46 VwVfG für formelle Fehler.

Vor diesem Hintergrund erscheint mehr als fraglich, ob die im Referentenentwurf vorgesehene neue Pauschalvariante ohne jegliche Vorgaben zur Erheblichkeit des Mangels oder zur Dauer der Nachbesserungsfrist den strengen Anforderungen des europäischen Umweltrechts genügen kann. Kritische Stimmen sehen diese schon durch sehr viel weniger weitreichende Planerhaltungsvorschriften etwa im BauGB verletzt.

Die Probleme liegen nicht allein im gerichtlichen Verfahren

Kommt das VwGO-Beschleunigungsgesetz in der vorliegenden Form zur Verwirklichung, wird es das neunte Gesetz seit 1985 sein, das den Begriff der Beschleunigung im Namen trägt. Sein Beschleunigungseffekt hingegen dürfte das Schicksal seiner acht Vorgänger teilen und überwiegend verpuffen – oder allenfalls den Weg nach Luxemburg beschleunigen.

Denn einmal mehr verkennt der Gesetzgeber, dass die Verfahrensverzögerungen nicht primär aus der gerichtlichen Sphäre stammen. Die Erfahrungen mit grenzüberschreitenden Großprojekten wie der Fehmarnbelt-Querung haben gezeigt, dass entscheidende Zeit vor allem in den Verwaltungsfahren verloren wird. Klagen und Projektverhinderungstaktiken der Umweltverbände sind nur die Spitze des Eisbergs und Folge mangelnder Einbindung.

Diese Klagen mit rechtlich fragwürdigen Mitteln zu bekämpfen, kann nicht Kernelement einer zukunftsfähigen Infrastrukturpolitik sein. Nur eine ernstgemeinte und lösungsorientierte Zusammenarbeit mit allen Beteiligten von Beginn an, wie sie etwa in Dänemark praktiziert wird, wird eine echte und nachhaltige Beschleunigungswirkung entfalten.

Dr. Julia Chladek ist Rechtsreferendarin am Landgericht Konstanz. Sie hat zum Thema "Rechtsschutzverkürzung als Mittel der Verfahrensbeschleunigung" an der Ruhr-Universität Bochum promoviert.

Zitiervorschlag

BMJ will Verwaltungsverfahren beschleunigen: Eine zukunftsfähige Infrastrukturpolitik? . In: Legal Tribune Online, 18.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49362/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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