Die behördliche Genehmigung von Großprojekten soll einfacher, schneller und digitaler werden. Dazu hat der Bundestag eine Änderung des jahrzehntealten Immissionsschutzrechts beschlossen. Tobias Roß hält die Maßnahmen für gelungen.
Wer in Deutschland bisher einen Windpark errichten wollte, brauchte neben starken Nerven jede Menge Papier und viele Aktenordner: Mehrere tausend Seiten umfasst ein durchschnittlicher Antrag – notwendige Kopien sind da noch nicht mitgezählt.
So war es bis dato keine Seltenheit, dass Antragsteller Transportfirmen beauftragt haben, um ihre Anträge in dreizehnfacher Ausfertigung in etwa 80 Aktenordnern mitsamt den notwendigen Gutachten vom Lärmschutz über den Naturschutz und Gewässerschutz bis hin zum Schattenwurf der Windradflügel bei den Behörden abzuliefern. Wenn sich dann im laufenden Verfahren – zum Beispiel – herausstellte, dass die Standorte der geplanten Windräder um einige Meter verschoben werden mussten, ging das Ganze von vorne los und der nächste Transporter wurde mit vielen neuen Aktenordnern auf die Reise geschickt.
Mit diesen Zuständen soll nach einer am vergangenen Donnerstag vom Bundestag beschlossenen Reform des Bundesimmissionsschutzgesetzes Schluss sein. Die Auswirkungen sind weitreichend.
Weitreichende Auswirkungen für die gesamte Industrie
Die Gesetzesänderungen betreffen nämlich nicht nur Windenergieanlagen und Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff, sondern auch Zehntausende Industrieanlagen in ganz Deutschland. Dazu gehören Walz-Werke und Gießereien ebenso wie Abfallentsorgungsanlagen, Anlagen der Glas- und Mineralfaserindustrie sowie der chemischen Industrie. Es geht also um den industriellen Kern der deutschen Wirtschaft.
Der SPD-Politiker Daniel Rinkert, der das Gesetz maßgeblich mitverhandelt hat, schätzt, dass es bis Ende des Jahrzehnts 20.000 Änderungen an Industrieanlagen geben wird, die einer Genehmigung bedürfen. "Wir zünden heute den Super-Turbo für die Beschleunigung", erklärte Rinkert dementsprechend am Donnerstag im Bundestag. Der SPD-Abgeordnete geht nach eigenen Angaben davon aus, dass Verfahren dadurch im Schnitt um zehn Monate verkürzt werden können.
Doch wie genau soll das erreicht werden? Das Gesetz adressiert einige zentrale Probleme aus der bisherigen Praxis.
USB-Stick statt 80 Aktenordner?
Ein Kernpunkt ist die geplante "vollständige Digitalisierung der Genehmigungsverfahren", die auch in der Gesetzesbegründung als Ziel ausgegeben wird. "Wir beenden die Zeit der Aktenordner", versprach dazu SPD-Politiker Rinke. Künftig werde bei Genehmigungsanträgen ein USB-Stick reichen.
Zur Einordnung ist hier wichtig zu wissen, dass auch schon nach alter Rechtslage eine digitale Antragstellung möglich war. Allerdings konnte die Behörde dann die Unterlagen in Papierform nachfordern – was auch meist geschah. Dieses Verhältnis wird nun umgekehrt: Die Behörde muss die digitale Einreichung akzeptieren. Theoretisch ist zwar weiterhin auch ein Antrag in Papierform möglich, die Behörde darf dann aber einen digitalen Antrag verlangen. Deshalb gehören komplette Papieranträge nun tatsächlich der Vergangenheit an.
Eine Ausnahme enthält die neue Regelung allerdings. Die Behörden sollen weiterhin Papierunterlagen fordern können, "soweit eine Bearbeitung anders nicht möglich ist". Die Formulierung ist ob ihrer Unbestimmtheit etwas unglücklich. Klar ist jedoch, dass Papier der absolute Ausnahmefall sein muss, um dem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen.
Behörden-Pingpong ist Vergangenheit
Wer einen Turbo zünden will, kommt auch nicht daran vorbei, das Verhältnis der Genehmigungsbehörde und zu den im Verfahren zu beteiligenden Fachbehörden neu zu regeln.
Bisher rührten viele Verzögerungen daher, dass Fachbehörden entweder sehr verzögert Stellung nahmen oder es ein langwieriges Hin und Her zwischen den beteiligten Behörden gab. So haben sich etwa Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen oft über mehrere Jahre hingezogen, weil die Denkmalschutzbehörden erhebliche Beeinträchtigungen von Denkmalen durch Windenergieanlagen in der Umgebung befürchtet haben. Oder weil es Streit um die Lage von einzelnen Vogelbrutplätzen von Rotmilan, Wespenbussard und Co. gab. Gerade dort, wo klare, einfach anzuwendende gesetzliche Maßstäbe fehlten, kam es zu Verzögerungen.
Auf dieses Problem reagiert der Gesetzgeber, indem er für Industrieanlagen erstmals eine klare Frist von einem Monat zur Stellungnahme der Fachbehörde vorsieht, die im Falle von Windenergieanlagen auch nicht verlängert werden kann – bei Industrieanlagen soll eine Verlängerung von maximal einem Monat möglich sein. Länger wird auf Behörden künftig nicht mehr gewartet. Reagiert die Fachbehörde innerhalb der Frist nicht, kann z.B. ein externes Sachverständigengutachten eingeholt werden. Das ist an sich eine gute Idee – allerdings sind auch die Wartezeiten auf Sachverständigengutachten aktuell lang. Ob die Regelung also der ganz große Ausbruch aus diesem Teufelskreis ist, wird die Praxis zeigen.
Externer Projektmanager als Lösung für Personalmangel?
Wenn auch die Ampel eine Beschleunigung für alle Industrieanlagen erreichen will, wird doch an mehreren Stellen im Gesetz deutlich, dass sie die Erneuerbaren Energien besonders in den Blick genommen hat. Hier kann man mit guten Gründen von einer Super-Privilegierung sprechen.
Ein Beispiel hierfür ist die nur für Windenergieanlagen anwendbare Neuregelung des Vorbescheides in § 9 Abs. 1a Bundesimmissionsschutzgesetz. Dahinter steckt ein simples, aber wirksames Prinzip: Ein komplettes Genehmigungsverfahren verlangt häufig die Prüfung diverser Normen und Vorgaben. Ziel des Vorbescheides ist dagegen, dass der Antragsteller einzelne Voraussetzungen herauslösen und vorab zur Entscheidung stellen kann. So können etwa Unklarheiten über militärische Interessen, wie Hubschraubertiefflugstrecken, ein Genehmigungsrisiko sein. Dieses kann künftig vorab geklärt werden, bevor sechsstellige Summen in ein umfassendes Genehmigungsverfahren investiert werden.
All die Beschleunigungsbemühungen führen aber nur dann zum Ziel, wenn die zuständigen Genehmigungsbehörden mit genügend Personal ausgestattet werden, um die Anträge sauber abarbeiten zu können. Hierfür liegt die Verantwortung bei Ländern und Kommunen.
Umso wichtiger für die praktische Durchschlagskraft in Sachen Personalausstattung ist deshalb die erstmals umfassend erfolgte Regelung zum "externen Projektmanager". Die Behörden dürfen – mit Zustimmung des Antragstellers und auf dessen Kosten – auf externe Helfer zugreifen, die sie bei einzelnen Verfahrensschritten unterstützen. Hier geht es etwa um das Management des Verfahrens sowie die Erstellung von Entscheidungsentwürfen.
Gutes Gesetz, das nicht alle Probleme löst
Zieht man unter die Neuregelung einen Strich, so muss man konstatieren: Der Gesetzgeber hat zentrale Hürden in den Genehmigungsverfahren beiseite geräumt. Er hat dafür rechtliche Lösungen gefunden, die den Rechtsrahmen für eine deutliche Beschleunigung bieten. Ein Problem bleibt allerdings: Beschleunigung kann man den Behörden nur bedingt verordnen. Der Gesetzgeber kann noch so kurze Fristen setzen – wenn die Mitarbeiter in den Behörden nicht in der Lage sind, diese Fristen zu halten, läuft das Vorhaben ins Leere.
Deshalb wäre es wichtig, neben den verfahrensrechtlichen Anpassungen noch einmal eine Initiative hin zu mehr Standardisierung zu ergreifen: Warum müssen Genehmigungsbescheide – gerade für Windenergieanlagen – in jedem Landkreis oder jedem Bundesland anders aussehen, wo es doch immer um die gleichen Anlagen geht? Musterbescheide und Muster für behördliche Stellungnahmen oder Umweltverträglichkeitsprüfungen würden faktisch zu erheblicher Beschleunigung führen.
Von rechtlicher Seite ist der Weg nun bereitet – jetzt muss die Novelle als zustimmungspflichtiges Gesetz noch durch den Bundesrat. Am 14. Juni steht es dort auf der Tagesordnung.
Tobias Roß ist Partner der auf öffentliches Recht spezialisierten Kanzlei Dombert Rechtsanwälte. Er leitet den Kanzleistandort Düsseldorf und berät zu allen Fragen des Umwelt- und Planungsrechts mit einem Schwerpunkt auf den Erneuerbaren Energien.
Mit Material der dpa
Bundestag beschließt neues Immissionsschutzrecht: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54734 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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