Vakanter Vorsitz von drei Bundestagsauschüssen: AfD-Frak­tion zieht erneut nach Karls­ruhe

von Hasso Suliak

22.12.2021

Mit ihren Kandidaten für den Vorsitz von drei Bundestagsausschüssen – u.a. dem Innenausschuss - ist die AfD gescheitert. Noch in diesem Jahr will die Fraktion daher Organklage beim BVerfG einreichen. 

Wie bereits nach der Abwahl ihres damaligen Rechtsausschussvorsitzenden Stephan Brandner, wendet sich die Bundestagsfraktion der AfD auch im Zusammenhang mit der jüngsten Nicht-Berücksichtigung ihrer Kandidaten für den Vorsitz des Innen- und Gesundheitsausschusses sowie des Ausschusses für Entwicklungszusammenarbeit an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).  

Wie der Prozessvertreter der AfD-Bundestagsfraktion, Prof. Dr. Elicker, gegenüber LTO bestätigte, sei "unmittelbar nach den Weihnachtstagen" die Einreichung einer Organklage sowie eines Antrags auf einstweilige Anordnung geplant.  

Die AfD war vergangenen Mittwoch im Bundestag mit ihren Kandidaten für den Vorsitz von drei Bundestagsausschüssen gescheitert. Der Innenausschuss lehnte den von der AfD-Fraktion nominierten Martin Hess mit großer Mehrheit als Vorsitzenden ab, wie Teilnehmende der konstituierenden Sitzung des Ausschusses berichteten. Zuvor war - entgegen dem üblichen Verfahren - beschlossen worden, in geheimer Wahl über den Vorsitz zu entscheiden. Der Innenausschuss beschäftigt sich mit Fragen der Inneren Sicherheit, des Bevölkerungsschutzes und mit Asylpolitik. Der 50-jährige Hess kommt aus Baden-Württemberg und ist Polizist.  

Anders als üblich gab es am Mittwoch auch in anderen Bundestagsausschüssen geheime Wahlen. Im Gesundheitsausschuss und im Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit fielen die ebenfalls von der AfD nominierten Kandidaten Jörg Schneider und Dietmar Friedhoff durch.  

Minderheitenrecht verletzt? 

Wie AfD-Prozessvertreter Elicker nunmehr auf LTO-Nachfrage erklärte, wolle man dem BVerfG die Gelegenheit geben, sich bereits im Eilverfahren "zu diesem offenkundigen Verfassungsbruch" zu positionieren. Es gehe nicht um eigene subjektive rechtliche Interessen der AfD-Fraktion, sondern um ein Minderheitenrecht, das unabhängig davon funktionieren müsse, ob sich eine Fraktion gerade in der Minderheit oder einer Mehrheitskonstellation befindet. "Dieses Minderheitenrecht, besser: diese Minderheitenkompetenz ist auch den Oppositionsfraktionen im Interesse des Funktionierens der parlamentarischen Demokratie auf der Arbeitsebene des Parlaments zugewiesen", sagte er. Es gehöre, so Elicker, zu den Grundelementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nach der die Möglichkeit gewährleistet sein muss, dass die Opposition zur Regierung wird. 

Bereits gegen die Abwahl Brandners im Rechtsausschuss hatte die AfD die Verletzung diverser verfassungsrechtlich garantierter Fraktionsrechte aus Art. 38 Abs.1 Satz 2 Grundgesetz (GG) gerügt: U.a. sei gegen das Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion sowie das Recht "auf faire und loyale" Anwendung der Geschäftsordnung (GO-BT) des Deutschen Bundestages verstoßen worden. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Abs. 3 GG folgende Recht auf effektive Opposition führte die Fraktion ebenfalls an. 

Auch im Hinblick auf die aktuellen Streitfälle behauptet die AfD nun, dass jedenfalls § 58 GO-BT für die Mehrheitsentscheidung gegen ihre Kandidaten keine Grundlage biete. § 58 lautet: "Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat."  

Von einer "Wahl" der Vorsitzenden ist nicht die Rede. In der letzten Wahlperiode hatte der GO-Ausschuss im Bundestag dem Rechtsausschuss grünes Licht für die Abwahl Brandners gegeben. Als Begründung wurde dabei auf das Argument des "actus contrarius" zurückgegriffen: Da Brandner seinerzeit im Gremium mit Mehrheit gewählt worden sei, sei es im Gegenschluss auch zulässig, dass er vom selben Gremium aus wichtigen Gründen mit Mehrheit abgewählt werden dürfe.  

Unions-Geschäftsführer: "Vorgehen von der Geschäftsordnung gedeckt"

Auf diesen Standpunkt stellen sich die Parlamentarischen Geschäftsführer von Union, Grünen, SPD, Linken und FDP auch im aktuellen Streit: 

"Bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden und der Bundestagsvizepräsidenten besitzen die Fraktionen ein Vorschlagsrecht. Niemand stellt dieses Recht der Fraktionen, in diesem Fall der AfD, in Frage. Selbstverständlich müssen diese Vorschläge dann eine Mehrheit finden, da die Abgeordneten in ihrer Entscheidung frei sind. Dieses Vorgehen entspricht der Geschäftsordnung. Es liegt daher an der AfD, Personalvorschläge zu unterbreiten, die mehrheitsfähig sind, “ so Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegenüber LTO. 

Ähnlich argumentiert auch der Parlamentarische Geschäftsführer und Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner:  

Aus der GO ergebe ich kein Anspruch für eine Fraktion, dass eine bestimmte Person Vorsitzende eines Ausschusses wird. Wenn die von der AfD vorgeschlagene Person wie etwa beim Kandidaten für den Vorsitz des Innenausschusses keine ausreichende Qualifikation besitzt oder Hindernisse wie die Beobachtung durch den Verfassungsschutz bestehen, dann sei es das gute Recht der Mitglieder des Innenausschusses, dieser Person eben nicht dieses wichtige Amt anzuvertrauen, sagte Fechner zu LTO. 

Dass trotz des Wortlauts von § 58 GO Wahlen der Ausschuss-Vorsitzposten in den Ausschüssen legitim seien, bekräftigt auch die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic: "Richtig ist, dass bestimmte Fraktionen in bestimmten Ausschüssen das Vorschlagsrecht für den Ausschussvorsitz haben. Ebenso richtig ist aber, dass der Ausschuss nach der Geschäftsordnung den Vorschlag bestätigen muss. Dies ist in allen Ausschüssen durch eine Wahl geschehen. Dabei gilt für die individuelle Entscheidung der Abgeordneten nach Art.38 des Grundgesetzes, dass sie diese in voller Freiheit und nur ihrem Gewissen unterworfen treffen.“ 

Linke: "Wir werden niemals Faschisten wählen"  

Auf das freie Mandat der MdBs pocht auch der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Die Linke, Jan Korte: "Es gibt keinen Zwang für frei gewählte Abgeordnete, irgendjemanden für irgendetwas zu wählen. Für uns als Abgeordnete der LINKEN ist klar, dass wir niemals Faschisten wählen werden." 

Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag und Mitglied im GO-Ausschuss, betont, der Kandidat selbst sei verantwortlich für die eigenen Mehrheiten: "In dieser Frage weist die Geschäftsordnung des Bundestages einen gewissen Interpretationsspielraum auf. So hat sich die Bestimmung der Ausschussvorsitzenden lediglich nach den Vereinbarungen im Ältestenrat zu richten (§ 58 GO-BT). Dass der Ältestenrat hierzu Wahlen vereinbart, ist nicht neu. Echte Wahlen bedeuten aber auch, dass die jeweiligen Kandidaten für die eigenen Mehrheiten selbst verantwortlich sind. Und ich persönlich kann mir jedenfalls kein Szenario vorstellen, in dem ich einen Kandidaten der AfD bei dessen Wahl zum Ausschuss-Vorsitzenden unterstützen kann." 

AfD im Brandner-Verfahren zunächst in Karlsruhe gescheitert 

Spannend werden könnte nicht nur, wie das BVerfG im Streit um die aktuellen Vorsitze in den Ausschüssen im Hauptsacheverfahren entscheiden wird. Schließlich harrt auch die Causa Brandner aus der letzten Wahlperiode in Karlsruhe noch einer Entscheidung. 

Gescheitert ist die AfD hier bislang mit ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die Abwahl Brandners. Ausschlaggebend für das BVerfG war seinerzeit eine Folgenabwägung: Auch wenn es nicht ausgeschlossen sei, dass die AfD durch Brandners Abwahl in ihren verfassungsrechtlichen Oppositionsrechten verletzt wurde, sie im Hauptsacheverfahren also Erfolg hätte, so das BVerfG, habe die AfD-Fraktion die Nachteile hinzunehmen, die ihr dadurch entstehen, dass Brandner jedenfalls bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht ins Amt zurückkehren kann. Außerdem, so die Karlsruher Richterinnen und Richter im Mai 2020, hätte die Fraktion durchaus die Möglichkeit, diese Nachteile zu verringern, indem sie einen anderen Kandidaten für den Vorsitz des Rechtsausschusses benennt. Damit sei sie entgegen ihrer Ansicht keineswegs vollständig an der Erfüllung ihrer Oppositionsaufgaben gehindert. 

Gleichwohl schöpft die AfD auch aus dieser zu ihrem Nachteil ergangenen Entscheidung Hoffnung – auch für das anstehende Organverfahren: Denn das BVerfG erklärte seinerzeit, dass die Rechtslage hinsichtlich des von der AfD-Fraktion als verletzt gerügten Grundsatzes der effektiven Opposition "nicht eindeutig" sei. Aus dem Mehrheitsprinzip nach Art. 42 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und den im GG vorgesehenen parlamentarischen Minderheitenrechten folge der Respekt vor der Sachentscheidung der parlamentarischen Mehrheit, aber auch die Gewährleistung einer realistischen Chance der parlamentarischen Minderheit, zur Mehrheit zu werden. Ob dazu auch das Recht der AfD-Fraktion gehört, über die Person ihres Ausschuss-Vorsitzenden allein zu bestimmen, beantwortete Karlsruhe damals – noch – nicht. 

SPD-PGF: "Fraktion kann keine bestimmte Person verlangen"    

Für den in dieser Wahlperiode nunmehr als Parlamentarischer Geschäftsführer agierenden Stephan Brandner ist daher der Ausgang des Verfahrens, das seine Person betrifft, als auch dem, das die Fraktion nach Weihnachten einreichen wird, noch "völlig offen". Brandner zu LTO: Karlsruhe hat bereits angedeutet, dass es die verfassungsrechtlich garantierten Minderheitenrechte der Opposition durchaus ernst nimmt. Wir sind daher sehr guter Dinge, dass wir uns in beiden Hauptsacheverfahren letztlich durchsetzen werden." 

Wie man indes den Karlsruher Beschluss vom Mai 2020 auch anders interpretieren kann, zeigt die Bewertung von SPD-Jurist Johannes Fechner:  

"Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss zum Eilantrag des früheren Vorsitzenden des Rechtsausschusses zwar offengelassen, ob ein Teilhaberecht einer Fraktion bezüglich der Ausschussbesetzung besteht. Da aber eine andere Person vorgeschlagen werden kann, bezieht sich dieses Teilhaberecht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht auf eine bestimmte Person. Eine Fraktion kann also nicht die Wahl einer bestimmten Person in ein bestimmtes Amt verlangen."  

Den rechtlichen Schritten der AfD sehe er deshalb, so Fechner gegenüber LTO, auch hinsichtlich des neuerlichen Streits, "sehr gelassen" entgegen.  

 

Mit Materialien der dpa 

Zitiervorschlag

Vakanter Vorsitz von drei Bundestagsauschüssen: AfD-Fraktion zieht erneut nach Karlsruhe . In: Legal Tribune Online, 22.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47027/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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