BGH lässt Sedlmayr-Mörder abblitzen: Das portable Persönlichkeitsrecht

von David Ziegelmayer

09.05.2012

Das Persönlichkeitsrecht ist eine feine Sache. Bislang konnte man damit aber nicht viel anfangen, wenn es über das Netz aus dem Ausland attackiert wurde. David Ziegelmayer zeigt, warum sich das bald ändern wird und ausgerechnet der Mörder von Walter Sedlmayr den Gerichtsständen in der EU zum "Fliegen" verhilft.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich für seine am Dienstag verkündete Entscheidung (Urt. v. 08.05.2012, Az. VI ZR 217/08) schon im November 2009 festgelegt: Wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) deutsches Recht für anwendbar erklärt, werde der Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr mit seiner Klage beim höchsten deutschen Zivilgericht abblitzen. So ist es seit gestern amtlich: Das österreichische Internetportal rainbow.at durfte demnach auch unter namentlicher Nennung über den Mörder berichten, sein Persönlichkeitsrecht sei dadurch nicht verletzt.

Den Ausgang des konkreten Verfahrens hatten die Straßburger Richter damit also schon im vergangenen Jahr entschieden (Urt. v. 25.10.2011, Az. C-509/09 und C-161/10 - e Date Advertising GmbH) indem sie das so genannte "Herkunftslandprinzip" aus der E-Commerce-Richtlinie der EU konkretisierten: Demnach soll sich ein Internet-Diensteanbieter mit Sitz in einem EU-Staat wie rainbow.at aus Österreich nur am eigenen nationalen Recht orientieren müssen, nicht jedoch an strengeren Anforderungen in einem anderen EU-Staat, in dem das Angebot abgerufen werden kann – etwa in Deutschland. Die Vorschrift sei – so der EuGH – allerdings keine "Kollisionsnorm", die die Anwendung deutschen Rechts im Sedlmayr-Fall verhindert hätte. Nach Ankündigung des BGH musste dieses Ergebnis zwingend zu der am Dienstag verkündeten Abweisung der Klage des verurteilten Schauspielermörders führen. 

Kein "neuer" Sieg für die Meinungsfreiheit

Doch das Interessante an dem Verfahren ist nicht der vermeintlich neue Sieg für die Meinungsfreiheit, wie nun allenthalben wieder zu lesen ist. Zu diesem Thema hatte der BGH nämlich schon vor Jahren (Urt. v. 15.12.2009, Az. VI ZR 227/08) im Zusammenhang mit dem Fall Sedlmayr viel gesagt: Namentliche Berichterstattung über schwerste Straftaten (etwa in Internetarchiven) ist demnach auch Jahre nach der Tat noch erlaubt.

Der BGH hat sich allerdings mit dem  Urteil vom Dienstag, dessen Begründung noch nicht veröffentlicht ist, vor allem der von den Europarichtern vorgegebenen Marschroute für den Rechtsweg der Opfer grenzüberschreitender Internetdelikte angeschlossen – auch wenn der klagende Straftäter mit seinem Anliegen im konkreten Fall unterlag. "Surf global, sue local", wird es demnach in Zukunft heißen – jedenfalls dann, wenn Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die im Ausland begangen werden, den Verletzten auch in seinem Heimatland ins Mark treffen.

Nach den althergebrachten Grundsätzen des internationalen Medienrechts (insbesondere der "Shevill"-Entscheidung des EuGH, Urt. v. 07.03.1995, Az. C-68/93) sollte das örtlich zuständige Gericht bislang an dem Ort sein, wo das Medium "verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt" worden ist. Das war zumeist der Wohnsitz desjenigen, der das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt. Für diesen nicht selten der Beginn einer langen Reise zu dem zuständigen Gericht – wenn er diese überhaupt antreten wollte.

Aber künftig Heimatklagen bei Internetveröffentlichungen

Wo aber befinden sich die Orte bei Internetdelikten, etwa Beleidigungen eines britischen Staatsangehörigen auf einer italienischen Facebook-Seite? Muss der Geschädigte erst nach Italien reisen, um rechtliches Gehör zu finden?

Das muss er nicht mehr. Die Gerichte  haben erkannt, dass die Rechtsverfolgung bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet nicht nach den alten Regeln funktionieren kann. Sie betonen nun die besondere "Schwere der Verletzung, die der Inhaber eines Persönlichkeitsrechts erleiden kann, der feststellt, dass ein dieses Recht verletzender Inhalt an jedem Ort der Welt zugänglich ist."

Sowohl Unterlassungs- als auch Schadensersatzansprüche können daher künftig im Wege der Klage bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erhoben werden, wo eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der hierzulande zu Unrecht viel gescholtene fliegende Gerichtsstand wird damit innerhalb der EU zum Regelfall bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet. Es wird sich zeigen, ob diese Rechtsprechung auch Unternehmen und ihrem – heftig umstrittenen – Persönlichkeitsrecht zum Fliegen verhelfen wird.

Der BGH sah es kommen

Der BGH hatte in weiser Voraussicht für Sachverhalte, die Veröffentlichungen außerhalb der EU betreffen, schon im Jahr 2010 (Urt. v. 02.03.2010, Az.VI ZR 23/09) die Trendwende eingeläutet. Die Karlsruher Richter waren dafür teils heftig kritisiert worden. Wo käme man denn da hin, wenn man nun in Deutschland gegen persönlichkeitsverletzende Inhalte in der Online-Ausgabe der "New York Times" klagen könnte, monierten die Kritiker. Die Antwort lautete schon damals: Nach Düsseldorf.

Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle am Standort Köln. Er ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und berät Personen und Unternehmen in äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen.

Zitiervorschlag

David Ziegelmayer, BGH lässt Sedlmayr-Mörder abblitzen: Das portable Persönlichkeitsrecht . In: Legal Tribune Online, 09.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6159/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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