Lebenslang für Beate Zschäpe: Viel mehr als nur eine Gehilfin

Gastbeitrag von Dr. Christian Rath

11.07.2018

 

Die 43-Jährige wurde als Mittäterin an zehn Morden, zig Mordversuchen und 15 Banküberfällen der rechten Terrorgruppe NSU verurteilt. Bei wertender Gesamtbetrachtung waren ihre Tatbeiträge von essentieller Bedeutung, so das OLG München.

Der NSU-Prozess ging am Mittwoch nach fünf Jahren und neun Woche zu Ende. Das Oberlandesgericht (OLG) München verurteilte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft. Vier weitere Angeklagte erhielten als NSU-Unterstützer und -Helfer Haftstrafen zwischen zweieinhalb und 10 Jahren.

Das OLG ging davon aus, dass die rechte terroristische Vereinigung NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) aus drei Personen bestand: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die Gruppe habe sich 1998 gegründet, um Anschläge zu begehen, die Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch den Staat einschüchtern sollten.

Insgesamt gingen zehn Morde auf das Konto des NSU. Opfer waren neun türkisch- oder griechisch-stämmigen Kleingewerbler sowie eine Heilbronner Polizistin. Die Terroristen töteten die arglosen Opfer in der Regel in ihrem Laden durch heimtückische Schüsse mit einer Ceska-Pistole mitten ins Gesicht. Hinzu kamen zwei Sprengstoffanschläge in Köln - auf ein Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse und auf Passanten in der Keupstraße. Dort kam es nur durch Zufall nicht zu Todesopfern, aber zu vielen Verletzten. Das OLG sah darin Mordversuche.

Ihren Lebensunterhalt finanzierte die Terrorgruppe durch insgesamt 15 Raubüberfälle auf Supermärkte, Postfilialen und Sparkassen. 2011 wurden Mundlos und Böhnhardt nach einem Überfall in Eisenach von der Polizei entdeckt, Mundlos erschoss darauf zuerst Böhnhardt, dann sich selbst.

Kurze Zeit später steckte Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand (was als weiterer versuchter Mord an einer Nachbarin gilt) und verschickte vorbereitete Bekennervideos. 

"Wesentliche und unverzichtbare Tatbeiträge"

Das Gericht ging von einer Mittäterschaft Zschäpes an all diesen Taten aus. Sie wurde also nicht nur als Mitglied einer terroristischen Vereinigung verurteilt und auch nicht nur als Gehilfin der Männer.

Zschäpe habe sich vielmehr gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt entschlossen, "Menschen aus rassistischen Gründen oder als Repräsentanten des Staates" zu töten. Zwar sollten die Taten vor Ort von den "sportlich durchtrainierten Männern" begangen werden. Zschäpe habe aber auch "wesentliche und unverzichtbare Tatbeiträge" geliefert, so der Vorsitzende Richter Manfred Götzl in seiner knapp vierstündigen Urteilsbegründung.

Einerseits wurden Zschäpe verschleiernde und logistische Tätigkeiten zur Last gelegt. So sollte sie nach außen eine "harmlose Legende" liefern. Sie besorgte falsche Ausweise und "Kommunikationsmittel" auf falsche Namen. Sie war an der Verwaltung der Gruppenfinanzen beteiligt und an der Beschaffung einer Waffe. Auch die Ausspähung möglicher Tatorte habe sie mindestens einmal übernommen (an einer Berliner Synagoge).

Bei wertender Gesamtbetrachtung

Eine besonders wichtige Rolle kam Zschäpe aber zu, wenn ein Überfall oder Anschlag missglücken sollte: Mundlos und Böhnhardt wollten im Fall einer drohenden Verhaftung Suizid begehen, während Zschäpe sogleich die vorbereiteten Bekenner-Videos verschicken sollte. Deshalb musste Zschäpe während solcher Verbrechen immer zu Hause oder in der Nähe der Wohnung bleiben. Laut OLG gingen die Terroristen davon aus, dass sie besonders große Angst und Verunsicherung erzeugen können, wenn sie die Ceska-Mordserie erst im Nachhinein für sich und ihre nationalsozialistischen Ziele reklamieren.

Götzl erinnerte daran, dass der Bundesgerichtshof (BGH) für Mittäterschaft weder Anwesenheit am Tatort noch Beteiligung am Kerngeschehen verlangt. Es komme vielmehr auf eine wertende Gesamtbetrachtung vieler Kriterien an, unter anderem die Tatherrschaft oder den Willen zur Tatherrschaft. Nach Ansicht des OLG waren Zschäpes Tatbeiträge von "essentieller Bedeutung" und "nicht von untergeordneter Natur".

Angesichts der vielen Morde stellte das Gericht bei Zschäpe zudem eine besondere Schwere der Schuld fest, damit ist eine Entlassung nach 15 Jahren faktisch ausgeschlossen. Auf eine anschließende Sicherungsverwahrung für Zschäpe verzichtete das OLG. Aus der lebenslangen Freiheitsstrafe werde sie ohnehin erst entlassen, wenn von ihr keine Gefahr mehr ausgeht. Götzl berief sich auf ein damals maßgebliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011, in dem eine Reform der Sicherungsverwahrung und die strikte Beachtung der Verhältnismäßigkeit eingefordert wurde.

91 Wochen Zeit für das schriftliche Urteil

Verurteilt wurden heute auch vier weitere Angeklagte. Die höchste Freiheitsstrafe mit zehn Jahren erhielt der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Er soll gemeinsam mit dem damals 20-jährigen Carsten Schultze die Ceska-Tatwaffe beschafft haben. Damit habe er sich der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig gemacht. Wohlleben hatte dies immer bestritten, war aber von Schultze schwer belastet worden. Schultze erhielt eine drei-jährige Jugendstrafe, ebenfalls wegen neun Fällen der Beihilfe zum Mord. Er sei als Heranwachsender damals noch unreif gewesen und habe später durch sein Geständnis zur Auklärung beigetragen.

Die größte Überraschung war, dass André Eminger, für den die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte, doch nur zu zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Das OLG sprach ihn vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei. Eminger hatte für das Trio zwischen 2000 und 2003 drei mal ein Wohnmobil angemietet, das Mundlos und Böhnhardt bei Mordanschlägen als Fluchtfahrzeug verwendeten.

Das Gericht war aber nicht davon überzeugt, dass Eminger von den Plänen wusste. Er sei wohl erst ab 2007 in die Mordpläne eingeweiht gewesen, weshalb erst die 2009 erfolgte Überlassung einer Bahncard als Straftat - Unterstützung einer terroristischen Vereinigung  - gewertet wurde. Eminger wurde wegen nun fehlender Fluchtgefahr umgehend aus der U-Haft entlassen.

Als Unterstützer gemäß § 129a Strafgesetzbuch wurde schließlich auch Holger Gerlach, ein Jugendfreund des Trios, zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte Böhnhardt Pässe, Führerschein und eine AOK-Karte überlassen.

Für Richter Götzl ist der Prozess freilich noch nicht zu Ende. Nach der mündlichen Verkündung muss er noch das schriftliche Urteil abfassen. Es wird erwartet, dass es einige hundert Seiten umfasst. Das OLG hat dazu 91 Wochen Zeit, denn die Frist gemäß § 275 Strafprozessordnung verlängert sich mit zunehmender Prozessdauer.

Die Verteidiger von Zschäpe wollen gegen die Verurteilung ihrer Mandantin Revision zum BGH einlegen, sobald das Urteil vorliegt.

Zitiervorschlag

Christian Rath, Lebenslang für Beate Zschäpe: Viel mehr als nur eine Gehilfin . In: Legal Tribune Online, 11.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29695/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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