OLG München bejaht Mittäterschaft: Lebens­lange Haft für Beate Zschäpe

Pia Lorenz

11.07.2018

Beate Zschäpe muss lebenslang in Haft. Das OLG München befand, dass sie an zehn Morden des NSU als Täterin mitgewirkt hat. Die politisch motivierten Morde wären ohne sie, die das Bekennervideo veröffentlichte, nicht möglich gewesen.

Beate Zschäpe muss lebenslang in Haft. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat sie des zehnfachen Mordes, des mehrfachen versuchten Mordes, Raubüberfalls sowie schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für schuldig befunden. Wegen der Vielzahl der verübten Taten hat der Senat die besondere Schwere der Schuld festgestellt. 

Für die sog. Ceska-Serie hat der Senat Zschäpe wegen Mordes in neun Fällen verurteilt. Den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße sehen die Richter als versuchten Mord (in 32 tateinheitlichen Fällen), ebenso den Sprengstoffanschlag in der Probsteigasse. Die Schüsse auf die beiden Polizeibeamten in Heilbronn bewerten sie als Mord und Mordversuch. Hinzu kommen Raubüberfälle sowie ein versuchter Mord durch eine schwere Brandstiftung, als Zschäpe nach dem Suizid von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau anzündete, und schließlich die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (NSU). 

Damit folgte das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft und verurteilte Zschäpe, die an keinem der Tatorte war, als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Eine anschließende Sicherungsverwahrung hat der Senat aber, anders als von der Bundesanwaltschaft beantragt, nicht angeordnet. Das erschien den Richtern angesichts der lebenslangen Freiheitsstrafe und der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld offenbar weder nötig noch verhältnismäßig.

Die Sicherungsverwahrung wäre unter diesen Umständen "nicht unerlässlich" und damit nicht verhältnismäßig gewesen, so der Senat unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Auch nach 15 Jahren könnte Zschäpe, weil die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, allenfalls entlassen werden, "wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann", heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Und dann gäbe es auch keinen Grund, eine mit dem Urteil angeordnete Sicherheitsverwahrung noch zu vollstrecken. Zschäpe bleibt in Haft, der Senat hat die Fortdauer ihrer Untersuchungshaft angeordnet. 

Mitangeklagte: lange her, nicht vorbestraft, langes Verfahren

Dasselbe gilt für Ralf Wohlleben. Er wurde als Waffenbeschaffer zu zehn Jahren Haft verurteilt, der Senat sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen für schuldig.

Holger G. wurde zu drei Jahren Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt, der Mitangeklagte André E. aus demselben Grund zu zwei Jahren und sechs Monaten, vom Vorwurf des versuchten Mordes wurde er freigesprochen, der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Laut Medienberichten brachen Rechtsextreme im Gerichtssaal in Jubel aus, als das verkündet wurde.  

Den Mitangeklagten Carsten S. verurteilte das OLG wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu drei Jahren Jugendstrafe. Er habe die Mordwaffe Ceska 83, die im Brandschutt der Frühlingsstraße gefunden wurde, auf Vermittlung von Ralf Wohlleben an Mundlos und Böhnhardt übergeben.

Bei ihnen allen hat der Senat strafmildernd berücksichtigt, dass die Taten lange zurückliegen, die Männer nicht vorbestraft sind und dass das Verfahren mit 438 Verhandlungstagen ungewöhnlich lange gedauert hat. 

Gericht: willentlich dem gemeinsamen Konzept unterworfen 

Der Senat unter der Leitung von Richter Manfred Götzl begründet seine Entscheidung über Stunden. Ein Schwerpunkt liegt darin, dass Zschäpe als Mittäterin an der Mordserie beteiligt war. Laut einer Mitteilung des Gerichts schließt der Senat das "insbesondere aus dem Umstand, dass die verübten Taten politisch motiviert waren, wobei nach dem gemeinsamen Tatplan von vorneherein beabsichtigt war, ein Bekennervideo erst im Fall des Auffliegens zu veröffentlichen", nur so hätte das Trio, das bis dahin komplett aus dem Untergrund arbeitete, mit den Morden sein gemeinsames politisch-ideologisches Ziel erreichen können. Denn das sei es, was die terroristische Vereinigung gewollte habe, die Zschäpe nach der Überzeugung des Senats als gleichberechtigtes Mitglied mit gegründet hat.

In Summe reicht dem Senat also, was die Anklage zusammengetragen hat: etwa dass Zschäpe für die Tarnung im Untergrund gesorgt habe, das Geld verwaltet, die rechtsextremistische Gesinnung ihrer beiden Freunde geteilt, nach dem Tod der beiden das Bekennervideo verschickt habe - dass sie unterm Strich gleichberechtigtes Mitglied des Trios gewesen sei.

In der Urteilsbegründung sagt Götzl, die drei seien übereingekommen, als zusammengeschlossener Verband Menschen aus antisemitischen oder anderen Gründen zu töten. Er spricht von einer "gemeinsam vereinbarten Gesamtkonzeption" und ideologisch motivierten Zielen, an denen alle drei gleich großes Interesse gehabt hätten. Die Taten seien nur unter Mitwirkung Zschäpes durchführbar gewesen. Ihre  Aufgabe sei es gewesen, für eine harmlose Legende nach außen zu sorgen, um die Entdeckung zu erschweren. "Sie unterwarf sich willentlich dieser gemeinsam gewollten Gesamtkonzeption", sagt Götzl.

Die Bundesanwaltschaft hat die Urteile im NSU-Prozess begrüßt. Bundesanwalt Herbert Diemer sagte am Mittwoch in München: "Dass wir dieses Urteil haben, ist ein Erfolg des Rechtsstaats. Der Senat ist uns in allen entscheidenden Punkten gefolgt." Von zentraler Bedeutung sei vor allem, dass die Mittäterschaft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe bestätigt wurde. Das Verfahren sei hochkomplex gewesen und gespickt mit Rechtsproblemen. 

Zschäpes Pflichtverteidiger Wolfgang Heer hingegen kündigte schon kurz nach dem Urteilsspruch, bevor die Urteilsbegründung überhaupt zu Ende ist, Revision einzulegen. Nach Ansicht von Rechtsanwältin Anja Sturm hat der Vorsitzende Richter am Mittwoch ein wenig den Eindruck vermittelt, dass "das Urteil seit sehr langer Zeit feststand", so die Plichtverteidigerin von Zschäpe in München. Es sei ausgesprochen schwierig gewesen, dem Richter bei der Urteilsverkündung zu folgen. Zudem sei die Begründung "ausgesprochen dünn". 

Damit ist der Bundesgerichtshof (BGH) am Zug - genau der Senat, der in der Vergangenheit hohe Hürden für Verurteilungen wegen Mittäterschaft aufgestellt hatte. Bis die Richter in Karlsruhe entscheiden, wird es noch lange dauern - allein bis zur Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung könnten viele Monate vergehen.

Nebenklage: Verantwortung von Staat und Verfassung klären - notfalls beim EGMR

Auch Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler prüft, ob er in Revision gehen will. Er sieht in den Urteilen "Licht und Schatten". Beate Zschäpe sei eine Rassistin und Mörderin und daher mit Recht zu lebenslanger Haft verurteilt worden, sagte Daimagüler am Mittwoch in München. Die Urteile gegen die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Andre E. schienen ihm dagegen "milde, zu milde".

Beim Mitangeklagten Carsten S. hingegen hätte sich die Nebenklage anstatt der verhängten drei Jahre Jugendstrafe eine Bewährungsstrafe gewünscht. "Er hat zur Aufklärung beigetragen. Er hat tiefe Reue gezeigt", sagte Daimagüler über den jungen Mann, der zwischenzeitlich aus der rechten Szene ausgestiegen ist und zu jedem Zeitpunkt des Prozesses tiefe Reue gezeigt hat. "Er würde der Gesellschaft viel mehr auf freiem Fuß nützen, wenn er in Jugendzentren über die Gefahren der rechten Szene berichten würde."

Daimagüler verlangte weitere Aufklärung. "Wir müssen davon ausgehen, dass es weitere Mittäter gibt und Helfershelfer, die auf freiem Fuß sind." Es sei bereits eine Staatshaftungsklage eingereicht worden, um die Fragen nach der staatlichen Verantwortung und der Rolle des Verfassungsschutzes zu klären. Er werde damit bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen.

Kein Schlussstrich? 

Bundesweit fordern Bürger, Interessenvertreter und Politiker weitere Aufklärung. Über die Rolle des Verfassungsschutzes zu dem Trio, über ein mögliches größeres Netzwerk und darüber, warum die Opfer Opfer wurden. Vor dem Gerichtsgebäude in München haben rund 200 Demonstranten eine weitere Aufarbeitung der Terrorserie verlangt. Die Helferkreise des NSU müssten weiter juristisch verfolgt werden, forderte die Kampagne "Kein Schlussstricht". Zu einer Demonstration am Mittwochabend in München erwarteten die Veranstalter etwa 1000 Teilnehmer. In 25 weiteren Städten sollen diese Woche ähnliche Veranstaltungen stattfinden.

Nach Einschätzung von Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat Deutschland aber Lehren aus der rechtsextremen Mordserie des NSU gezogen. "Es ist bis heute unfassbar, dass der Staat nicht in der Lage war, zu erkennen oder zu verhindern, dass der NSU über Jahre hinweg Menschen aus rassistischen Motiven ermordet hat", sagte Barley am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Seitdem habe sich aber manches verändert. "Das Bewusstsein bei Polizei und Justiz ist schärfer und die Wachsamkeit größer."

So könne der Generalbundesanwalt nun Ermittlungen im Bereich des Rechtsterrorismus schneller an sich ziehen. "Die Sicherheitsbehörden tauschen sich enger aus. Rassistische Tatmotive sind seit 2015 endlich als strafverschärfende Beweggründe ausdrücklich im Strafgesetzbuch genannt", zählte Barley auf. Auch für den Einsatz von V-Leuten gebe es auf Vorschlag des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag mittlerweile klare gesetzliche Grenzen. Die Rolle dieser Hinweisgeber aus der Szene, die mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten, ist umstritten. Die Nebenkläger im NSU-Prozess vermuteten, die Informanten könnten von den Mordplänen gewusst haben.

Barley äußerte zugleich Verständnis für die Enttäuschung von Angehörigen der Opfer. "Der NSU hat ihnen unermessliches Leid zugefügt. Und der Staat hat sie in den Ermittlungen noch selbst kriminalisiert. Das ist mir bis heute unbegreiflich und darf nie wieder passieren", sagte sie. Der NSU-Prozess sei nur ein Teil der Aufklärung neben Untersuchungsausschüssen im Bundestag und in Landtagen. Manche Untersuchungen liefen noch. "Die Aufklärung geht weiter, denn einen Schlussstrich darunter kann es nicht geben. Das sind wir als Gesellschaft und unser Rechtsstaat den Angehörigen der Opfer schuldig."

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, OLG München bejaht Mittäterschaft: Lebenslange Haft für Beate Zschäpe . In: Legal Tribune Online, 11.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29679/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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