EU-Kommission prüft Mindestlohn für Transitfahrer: Deutschland muss sich nicht rechtfertigen

von Prof. Wolfgang Däubler

03.02.2015

Die bislang national geführte Debatte um den neuen Mindestlohn erreicht Europa. Osteuropäische Transportunternehmen weigern sich, ihren Fahrern 8,50 Euro pro Stunde für Transitfahrten durch Deutschland zu zahlen. Doch die deutsche Rechtslage ist eindeutig, und hält auch europäischen Vorgaben stand, meint Wolfgang Däubler.

Die bislang vor allem national geführte Debatte um den Mindestlohn wird seit Kurzem auch durch das Europarecht beeinflusst. Polnische und ungarische Transportunternehmer haben sich in Brüssel beklagt, weil ihre Lastwagenfahrer den deutschen Mindestlohn auch dann beanspruchen können, wenn sie Deutschland lediglich als Transitstrecke benutzen, um Waren zum Beispiel nach Frankreich oder in die Niederlande zu bringen. Dies sei eine "unverhältnismäßige Belastung" für die ausländischen Arbeitgeber und verstoße gegen Unionsrecht.

Nach einem Besuch des polnischen Arbeitsministers erklärte Arbeitsministerin Nahles, dass sie bis zur Klärung der unionsrechtlichen Fragen die Kontrollen über die Einhaltung des Mindestlohns für Transitfahrer aussetzen würde. Da half auch nicht der Brief aller drei polnischen Gewerkschaften, in dem sie sich gegen die Haltung ihrer Regierung und für den Mindestlohn aussprachen.

Auch in Brüssel stoßen offenbar vor allem die Arbeitgeber auf offene Ohren. Das für Verkehr zuständige Mitglied der Kommission schrieb an die Bundesregierung und bat um Erläuterung, "welches überwiegende öffentliche Interesse" es rechtfertige, dass ausländische Verkehrsunternehmen den Mindestlohn auch dann bezahlen müssen, "wenn sie Deutschland ohne Be- und Entladung" durchqueren.

Auf das sogenannte Pilotverfahren, das damit gegen den Mindestlohn für Lkw-Fahrer beim Transit durch Deutschland eingeleitet wurde, könnte sogar ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) folgen. Doch bedarf es überhaupt eines "überwiegenden öffentlichen Interesses", wie die Kommission schreibt?

Gilt der deutsche Mindestlohn für Transitfahrer?

Das MiLoG spricht die Frage nicht ausdrücklich an, ob es auch Arbeitnehmer erfassen will, die für einen ausländischen Arbeitgeber in Deutschland tätig sind. In seinem § 22 Abs. 1 Satz 1 begnügt es sich vielmehr mit der Anordnung, es gelte "für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer".  

Mehr Aufschluss verspricht demgegenüber das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG). In seinem § 2 Nr. 1 ordnet es an, dass die in Rechtsvorschriften enthaltenen "Mindestentgeltsätze" auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern "zwingend Anwendung" finden. Zu solchen Rechtsvorschriften zählt, was niemand bezweifelt, auch das MiLoG, ebenso wie seine Vorgängerregelung im Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen.

Auf eine bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses kommt es nicht an. Darin liegt eine bewusste Entscheidung, die auch anders hätte ausfallen können: die Entsende-Richtlinie der EU (Richtlinie 96/71/EG, ABlEG 1997 Nr. L 18/1) lässt es zu, Arbeitsverhältnisse von bis zu acht Tagen (Art. 3 Abs. 2) bzw. von bis zu einem Monat (Art. 3 Abs. 3) unter bestimmten Voraussetzungen auszuklammern.

In anderen Teilen der deutschen Rechtsordnung gibt es solche Ausnahmen für "Transit-Fälle" auch. So findet etwa das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) nach seinem § 1 Abs. 5 Satz 4 keine Anwendung, wenn ein Datenträger "nur zum Zwecke des Transits" im Inland eingesetzt wird. Dem Spezialisten für internationales Privatrecht ist die Figur der "res in transitu" geläufig: An dem ursprünglich anwendbaren Recht ändert sich nichts, wenn eine bewegliche Sache durch ein anderes Rechtsgebiet transportiert wird. Kennt zum Beispiel das italienische Recht im Gegensatz zum deutschen besitzlose Pfandrechte an Kraftfahrzeugen, so bleiben diese auch dann bestehen, wenn der Wagen den Geltungsbereich des BGB von Rosenheim bis Flensburg durchquert.

Allerdings: Genau solche Ausnahmen kennt das AEntG nicht. Daher findet es auf jede in Deutschland erbrachte Arbeit Anwendung.

Zitiervorschlag

Prof. Wolfgang Däubler, EU-Kommission prüft Mindestlohn für Transitfahrer: Deutschland muss sich nicht rechtfertigen . In: Legal Tribune Online, 03.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14567/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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