Verkleinerung des Bundestages und Senkung des Wahlalters: Neue Wahl­rechts­kom­mis­sion beginnt mit Streit

von Hasso Suliak

08.04.2022

Das kann ja was werden: Schon in der konstituierenden Sitzung des Gremiums, das Vorschläge für eine Verkleinerung des aufgebähten Bundestages machen soll, gibt es Unstimmigkeiten über die Frage, welches Thema nun am wichtigsten ist. 

Nachdem in der letzten Wahlperiode eine umfassende Wahlrechtsreform, die zu einer Verkleinerung des Deutschen Bundestages hätte führen sollen, krachend gescheitert war und am Ende nur eine Art (umstrittenes) "Reförmchen"  verabschiedet worden war, soll es nun eine Kommission aus 13 Bundestagsabgeordneten und 13 externen Fachleuten richten: Bis zum 31. August sollen sie dem Bundestag einen Zwischenbericht mit Empfehlungen vorlegen, wie das Wahlrecht des Bundes reformiert und die Parlamentsarbeit modernisiert werden kann.

Schwerpunkt – und in der entsprechenden Bundestagsdrucksache der zuerst genannte Auftrag an die Kommission – sind Vorschläge für "eine effektive Verkleinerung des Bundestages in Richtung der gesetzlichen Regelgröße". Derzeit ist der Bundestag so groß wie nie: Mit der Wahl im Jahr 2021 erreichte das Parlament durch Überhang- und Ausgleichsmandate die Rekordgröße von 736 Abgeordneten – 27 mehr als in der Wahlperiode zuvor. Und das, obwohl sich das Bundeswahlgesetz eigentlich an der Sitzzahl von 598 orientiert.

Neben einer Verkleinerung des Bundestages soll das Gremium auch Vorschläge zur gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament (Parität) und zur Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre machen. Außerdem soll die Kommission Empfehlungen für die Dauer der Legislaturperiode, die Begrenzung der Amtszeiten des Bundeskanzlers sowie die Bündelung von Wahlterminen ausarbeiten.

MdBs werden von renommierten Jurist:innen beraten  

Dem Gremium gehören 13 Abgeordnete und 13 Sachverständige an. Dabei stellen die SPD-Fraktion vier Mitglieder, die CDU/CSU-Fraktion drei Mitglieder, die Grünen- und die FDP-Fraktion jeweils zwei und die Fraktionen AfD und Die Linke jeweils ein Mitglied.

Unter den Sachverständigen finden sich auch der ein oder die andere renommierte Jurist:in: So etwa der frühere Richter des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff, der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Möllers oder auch die Parteien- und Staatsrechtlerinnen Prof. Dr. Sophie Schönberger und Prof. Dr. Ruth Laskowski. Auch der Heidelberger Staatsrechtler Prof. Dr. Bernd Grzeszick ist dabei. Er hatte die Wahlrechtsreformbemühungen der damaligen GroKo seinerzeit für LTO kommentiert.

Geleitet wird die 26er-Runde von dem am Donnerstag einstimmig gewählten SPD-MdB Dr. Johannes Fechner und der CDU-MdB, Rechtsanwältin Nina Warken. Obleute der Fraktionen sind für die SPD Sebastian Hartmann, für die Union Ansgar Heveling, für die Grünen Dr. Till Steffen, für die FDP Konstantin Kuhle sowie Albrecht Glaser für die AfD und Petra Pau für die Linke.

Absenkung des Wahlalters zuerst Thema

Während es in der ersten Sitzung hinsichtlich der Wahl der Vorsitz-Posten noch harmonisch zuging, entbrannte alsbald jedoch ein Streit zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Ampel und der Unionsfraktion. Es ging um die Frage, welches Thema denn nun am wichtigsten ist und auf der nächsten öffentlichen Sitzung am 27. April als erstes behandelt werden sollte: Die Verkleinerung des Bundestages oder die Absenkung des Wahlalters auf 16?

Vertreter der Union wie u.a. MdB Heveling (CDU) sowie MdB Alexander Hoffmann (CSU) hatten dafür plädiert, angesichts des öffentlichen Interesses und einer möglichen Signalwirkung den Einstieg in das Thema Bundestagsverkleinerung vorzuziehen. Auch die CDU-Vorsitzende der neuen Kommission, Nina Warken, hätte das gerne gewollt.

Abgeordnete der Ampel sollen jedoch dem Vernehmen nach geäußert haben, dass auch die Senkung des Wahlalters und das Thema Geschlechterparität im Parlament "heiße Eisen" seien. Letztlich durchgesetzt hat sich die Position der Ampel: Am 28. April geht es deshalb zuerst um die Absenkung des Wahlalters auf 16. Kommissionsvorsitzende Warken bedauerte das am Freitag gegenüber LTO: "Ich hätte es für sachgerecht empfunden, mit dem Thema der Verkleinerung zu starten. Allein aufgrund der Komplexität des Themas wäre es sinnvoll gewesen, hiermit frühzeitig zu beginnen."

Verkleinerung des Bundestages zu komplex?

Gegenüber LTO rechtfertigte unterdessen der Kommissionsvorsitzende Fechner (SPD) das Vorgehen: "Strittige und komplexe Themen wollten wir nicht gleich in der ersten Sitzung beraten. Wir starten in der ersten Sitzung am 28.4. mit der Absenkung des Wahlalters, weil das ein überschaubares und schon vielfach diskutiertes Thema ist. Auch hat die Union in Ländern wie Baden-Württemberg der Absenkung des Wahlalters auf 16 zugestimmt, so dass wir hier auf einen breiten Konsens in der Kommission hoffen und somit mit einem eher unstrittigen Thema starten."

Der ehemalige Hamburger Justizsenator Steffen, der gemeinsam mit Ulle Schauws die grüne Fraktion in der Kommission vertritt, begründete die Prioritätensetzung mit der unterschiedlichen Komplexität der Vorhaben: "Die Frage zum Wahlalter 16 ist weniger komplex und kann deshalb vorgezogen werden." Die Verkleinerung des Bundestages sei dagegen offensichtlich komplizierter und sollte auch möglichst in einem Zug behandelt werden.

Ob die Verkleinerung des Bundestages von der Kommission "in einem Zug" abgehandelt wird, ist jedoch äußerst fraglich. Der Berliner Tagesspiegel schrieb dazu: "Zu befürchten ist, dass auch die neue Kommission nicht verändert, was bisher schon eine echte Reform verhindert hat: die Neigung zum kleinkarierten Herumschrauben am bisherigen System".

Zitiervorschlag

Verkleinerung des Bundestages und Senkung des Wahlalters: Neue Wahlrechtskommission beginnt mit Streit . In: Legal Tribune Online, 08.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48107/ (abgerufen am: 21.04.2024 )

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