Gebührenpflicht für geschützte Texte: Teures Lesevergnügen im Dienste der Wissenschaft

Nach einer Entscheidung des OLG München könnten auf die Bundesländer Nachzahlungen in Höhe mehrerer hundert Millionen Euro zukommen. Damit soll die Nutzung von Fachliteratur in den Universitätsbibliotheken rückwirkend abgegolten werden. André Niedostadek über ein Urteil mit weniger urheberrechtlicher, dafür umso mehr wirtschaftlicher Brisanz.

Der speziell für Urheberrechtsfragen zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München (OLG) hat entschieden, dass die Länder für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Texte an Hochschulen bezahlen müssen (Urt. v. 24.03.2011, Az.: 6 WG 12/09). Geklagt hatte mit der Verwertungsgesellschaft VG Wort, ein Zusammenschluss von Autoren und Verlagen.

Die VG Wort hat die Aufgabe, die angemessene Vergütung ihrer Mitglieder sicherzustellen. Dazu fordert sie dort Geld ein, wo das geistige Eigentum anderer genutzt wird. Im nun entschiedenen Fall auch über die bayerischen Landesgrenzen hinaus, denn immerhin waren auf Beklagtenseite alle 16 deutschen Bundesländer als Träger von Hochschuleinrichtungen involviert.

Dass das Verfahren überhaupt vor dem OLG landete, ist zunächst verblüffend. Zum einen, weil hier das OLG erstinstanzlich angerufen wurde. Zum anderen, weil der Vergütungsanspruch selbst dem Grunde nach unstreitig ist.

Wissenschaftsschranke im UrhG seit jeher ein juristischer Zankapfel

In den Grenzen der so genannten Wissenschaftsschranke nach § 52a Urheberrechtsgesetz (UrhG) dürfen urheberrechtlich geschützte Werke oder Teile davon sowie einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften durchaus öffentlich zugänglich zu machen – vorausgesetzt, dies ist "zu dem jeweiligen Zweck geboten und zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt".

Diese erst 2003 neu in das UrhG aufgenommene (und ab 2013 übrigens nicht mehr anzuwendende) Regelung ist allerdings schon seit jeher ein Zankapfel zwischen der Autoren- und Verlagsseite sowie Vertretern aus Bildung und Wissenschaft. Dennoch profitieren von dieser Norm tagtäglich unzählige Schülerinnen, Schüler und Studierende sowie diejenigen, die eigenständig wissenschaftlich forschen.

Den Interessensausgleich schafft § 52a UrhG selbst, indem für das Zugänglichmachen eine "angemessene Vergütung" zu zahlen ist. Dieser Anspruch kann jedoch nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden – so wie im vorliegenden Fall. Die rechtliche Kernfrage ist damit eigentlich nicht sonderlich kompliziert. Wo lag dann das Problem?

Ziel der Klägerin war es, auf Basis des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes (aus dem hier auch die erstinstanzliche Zuständigkeit des OLG folgt, § 16 Absatz 4) einen Gesamtvertrag  mit den Ländern abschließen, wie er für Schulen bereits bestand. Ein solcher Gesamtvertrag regelt als Rahmenvereinbarung insbesondere die Vergütung. Den von der Klägerin dazu kurzerhand aufgestellten Tarif für die Hochschulen hielten die beklagten Bundesländer jedoch für nicht hinnehmbar.

Nach einer erfolglosen Zwischenetappe bei der Schiedsstelle des Deutschen Patent- und Markenamts trafen sich die Parteien schließlich vor dem OLG wieder. Mit ihrer Entscheidung haben die Richter nun selbst einen Gesamtvertrag für die Jahre 2008 bis 2012 festgesetzt.

Versuch eines Mittelwegs zwischen den Positionen der Parteien

Zwar klärt die Entscheidung nicht alle, aber doch zentrale Streitfragen zwischen den Parteien, etwa hinsichtlich der Abrechnungsmodalitäten. Nach Ansicht des Senats muss eine solche Abrechnung nicht pauschal, sondern nutzungsbezogen erfolgen.

Darüber hinaus haben die Münchener Richter das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Zugänglichmachens konkretisiert: Es sei nur dann geboten und zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt, wenn das Werk oder der benötigte Werkteil vom jeweiligen Rechteinhaber nicht in digitaler Form im Netz der jeweiligen Einrichtung zu angemessenen Bedingungen angeboten wird.

Weniger rechtliche, als vielmehr wirtschaftliche Konsequenzen resultieren aus der Entscheidung für die Vergütung selbst. Die von der Klägerin vorgeschlagenen Vergütungssätze hielten die Richter für nicht angemessen und legten eine eigene, nach unten korrigierende Vergütungsstaffel fest.

Alles in Allem hat das Gericht offenbar versucht, einen Mittelweg zwischen den Positionen der Parteien einzuschlagen. Dennoch sind die Folgen gewaltig: So haben die Richter den Streitwert auf eine Million Euro beziffert und das zugleich als untersten Rahmen bezeichnet. Der weitere Hinweis auf weitere 20 anhängige vergleichbare Verfahren katapultiert die wirtschaftliche Dimension auf insgesamt einige hundert Millionen Euro. Angesichts dessen hat das OLG auch die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Mediation im Bereich geistiges Eigentum stärker nutzen

Im Ergebnis schafft die Entscheidung durchaus mehr Transparenz. Dennoch wirken gerade solche Verfahren letztlich unbefriedigend: Zum einen, weil sie zeitraubend sind und viel kosten. Zum anderen, weil einige der in diesem Verfahren aufgeworfenen Fragen gar nicht juristisch aufbereitet werden konnten. Das bezieht sich etwa auf die technische Umsetzung von Meldungen.

Die komplexe Rechtsmaterie, die sich nicht zuletzt in sehr umfangreichen Schriftsätzen widerspiegelt, gerät eher zur Arbeitsmaßnahme für die Anwaltschaft. Den Spagat zu meistern zwischen dem Recht am geistigen Eigentum, kommerziellen Interessen und Bedürfnissen von Forschung und Bildung wird vor diesem Hintergrund zu einem schwierigen Drahtseilakt.

Was also tun? Der Gesetzgeber selbst ist ja aktuell gefordert, die außergerichtliche Konfliktlösung in Form der Mediation durch die Umsetzung der europäischen Mediationsrichtlinie zu forcieren. Warum nicht solche Ansätze auch im Bereich des geistigen Eigentums stärker nutzen? Das böte den Parteien Gelegenheit, selbst tragfähige Lösungen zu finden, statt sich Ergebnisse aufdrücken zu lassen.

Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.

 

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Zitiervorschlag

André Niedostadek, Gebührenpflicht für geschützte Texte: Teures Lesevergnügen im Dienste der Wissenschaft . In: Legal Tribune Online, 29.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2900/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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