Juristische Werke müssen schnell entstehen, weil sie auch schnell veralten. Bei einem Praxishandbuch über Fintech ging vieles schief. Verlag und Herausgeber schieben sich nun gegenseitig die Schuld zu.
Es sollte unbedingt noch 2023 sein. Und es klappte. Am letzten Tag des Jahres erschien das lang angekündigte Praxishandbuch "Recht der Fintechs". Ein Werk, das Rechtsfragen rund um die Digitalisierung des Finanzsektors behandeln wollte: Aktuelles Thema, renommierte Autoren, vermutlich viele Vorbestellungen; eigentlich hätte sich der Berliner Verlag De Gruyter glücklich schätzen können. Doch schon nach wenigen Tagen stoppte der Vertrieb, der Titel wurde aus den Buchhandlungen zurückgerufen. Bei Online-Handlungen wird der Titel als "vergriffen, keine Neuauflage" angezeigt.
Fragt man nach bei Herausgeber und Verlag, sind beide mit dieser Entscheidung zufrieden. Doch wieso wurde das Werk überhaupt auf den Markt geworfen? Dazu gibt es unterschiedliche Antworten. Es geht um unausgegorene Verfahrensabläufe, schlechte Kommunikation und mangelnde Plagiatsprüfungen. Hinter allem steht die Frage, ob Rechtsbücher heute noch mit der notwendigen Sorgfalt betreut, lektoriert und korrigiert werden.
Bekannt wurde der aktuelle Fall durch eine kleine versteckte Notiz, die jüngst auf der Website des Verlags De Gruyter veröffentlicht wurde. Dort heißt es, Grund des Buchrückrufs seien "Plagiate in mehreren Kapiteln".
Der Verlag bedauere den Vorfall und nehme ihn zum Anlass, seine Abläufe und Mechanismen zur Qualitätssicherung zu überprüfen. Pressesprecher Pablo Dominguez Andersen sagt, die Plagiate sind "teilweise umfangreich". Man sei von einem anderen Verlag aufgefordert worden, den Vertrieb des Handbuchs einzustellen, den Handel zu informieren und zur Remission aufzurufen. "Dem sind wir umgehend nachgekommen", so Dominguez Andersen.
Das Eigenplagiat: Auch wer sich selbst zitiert, muss das offenlegen
Herausgegeben wurde das Buch vom Frankfurter Rechtsanwalt Thorsten Voß. Fragt man ihn zu den Geschehnissen, stellt sich die Situation weniger dramatisch dar. Das Buch enthalte "bedauerlicherweise" verschiedene, allerdings nach seinem Kenntnisstand "ausnahmslos offen gelegte Eigenplagiate von einzelnen Autoren". Von einem Eigenplagiat spricht man, wenn ein Autor sich für eine Neuerscheinung aus eigenen bereits veröffentlichten Texten bedient. Das Phänomen ist wieder Gegenstand von Diskussionen, die Wissenschaft verlangt aber zumindest Transparenz. Auch wer sich selbst zitiert, muss das der Leserschaft offenlegen – zumindest mit einer Globalfußnote zu Beginn eines Textes. Dabei sollte deutlich werden, wie weit die Übernahme reicht. Doch sind etwa Urheberrechte und Verwertungsrechte zu beachten.
Die Autoren des Praxishandbuchs hätten ihre Forschung in dem nun zurückgerufenen Band fortführen und hierzu auf den bereits veröffentlichten Fundstellen aufbauen wollen, so Voß. "Dies war jeweils in Fußnoten ausgewiesen und transparent gemacht. Allerdings lagen die Rechte für die zitierten Stellen nicht bei De Gruyter." Nun könnte man einwenden, dass rechtliche Fragen vor einem Buchdruck geklärt werden könnten, zumal, wenn, wie hier, Herausgeber und Autoren berufserfahrene Juristen sind.
Indes beschwert sich Voß auch über die Betreuung durch den Verlag. So sei ein Kapitel in wesentlichen Teilen "trotz korrekter Übermittlung" nicht neu gesetzt worden und gab damit eine veraltete Rechtslage wieder. Die Autoren hätten den letzten Umbruch nicht zur Freigabe erhalten, weil die Produktion unter einem hohen Zeitdruck stand; das Buch sollte – vermutlich aus verlagsinternen Gründen – unbedingt noch zum 31. Dezember 2023 erscheinen. "Daher war ein Rücklauf nicht mehr erfolgt. Den Autoren wäre sonst aufgefallen, dass die Anpassung an die neue Rechtslage und insofern ihre umfangreichen Änderungen nicht umgesetzt waren", so Voß.
Holprige Abläufe zwischen Autoren und Verlag?
In der Tat seien bei einem Kapitel Korrekturen von Autoren nicht umgesetzt worden, gibt der Verlag De Gruyter an. Dies betreffe jedoch nicht die Kapitel, "in denen wir Fremdplagiate oder Selbstplagiate gefunden haben. Hier wurden alle Korrekturen in die finalen Druckdaten mit aufgenommen. Der Rückruf des Buches erfolgte allein wegen der Fremdplagiate und Selbstplagiate."
Voß führt zu den Produktionsbedingungen weiter aus, die Autoren seien über die Entscheidung, den neuen Umbruch nicht mehr an sie zu übermitteln, nicht informiert gewesen. Daher seien bei De Gruyter keine Erklärungen der Autoren zur Druckfreigabe vorhanden, "mitunter nach meinem Kenntnisstand noch nicht einmal ein Autorenvertrag."
Auch dazu gibt es Widerspruch vom Verlag. Die Autoren hätten die Gelegenheit zur Fahnenkorrektur gehabt. Mit dem Herausgeber sei vereinbart gewesen, dass er ab dem zweiten Umbruch die Korrekturen selbst übernimmt. "Er hat am Ende die finalen Druckdaten erhalten und am 23.11.2023 Druckfreigabe wie vereinbart für das Gesamtwerk erteilt, ein Ablauf, wie er bei Herausgeberwerken auch üblich ist." Der Verlag sagt, er habe allen Autoren, die dem Verlag zum Zeitpunkt des Fahnenversands bekannt waren, einen Verlagsvertrag zugesandt. Im Übrigen hätte der Herausgeber die Kommunikation mit den Autoren übernommen. Leidtragende der Affäre bleiben die ehrlichen Autoren. Ob sie diese Aufsätze an anderer Stelle noch zu publizieren vermögen, ist fraglich, weil sich die Rechtslage auf dem Fintech-Gebiet schnell ändert.
Unterdessen zeigt sich Voß auch selbstkritisch: "Schließlich enthält das Buch eine Passage in einem von mir verfassten Kapitel von vier Seiten, die ich bei der Erstellung aus meinem Knowledge Management übernommen habe und die – objektiv misslich – als Fremdplagiat ausgelegt werden kann. Ich bedauere dies sehr." Ein Knowledge Management System ist ein Wissensmanagementsystem, in dem Autoren ihre Texte und Textentwürfe speichern, um sie einem abgrenzten Personenkreis zugänglich zu machen, etwas innerhalb einer Kanzlei.
Auch Fachbücher benötigen ein kluges Projektmanagement
Voß war auch als Mitherausgeber des beim Verlag C.H. Beck geplanten Kommentars zum "Gesetz über elektronische Wertpapiere" vorgesehen. Dieser Kommentar sollte ursprünglich im März erscheinen, ist inzwischen für Juni angekündigt; allerdings ohne Voß als Herausgeber. Zu den Gründen erklärt der Pressesprecher von C.H. Beck, Mathias Bruchmann: "Herr Voß hat seine Mitarbeit unter Hinweis auf seine allgemeine Überlastung beendet. Für den Verlag haben sich damit alle weiteren Überlegungen erledigt."
Die Geschehnisse zeigen, was bei vielen Fachbuchprojekten zu beobachten ist: Unterschiedliche Vorstellungen und Präferenzen derart, dass Autoren ein exzellentes Produkt erarbeiten, der Verlag selbstgesetzte Fristen einhalten und die Herausgeber alles inhaltlich und organisatorisch zusammenhalten wollen. In der Regel klappt das auch – mit viel Schweiß, mancher Nachtarbeit und einem tapferen Lektorat. Hier hat es nicht funktioniert. Schuldzuweisungen helfen nun wenig. Was wir daraus lernen können, ist, dass auch Fachbuchprojekte ein kluges Projektmanagement benötigen: Klare Kommunikation, konstante Korrekturschleifen, konstruktive Kommentare und nicht zuletzt kollektives Karma.
Dr. Jochen Zenthöfer ist Journalist für Medien in Luxemburg und Deutschland. Er schreibt über Wissenschafts- und Rechtsthemen. Er hat unter anderem in Berlin Jura studiert und wurde an der Universität Potsdam promoviert. In der Vergangenheit war Zenthöfer etwa als Redenschreiber für den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen tätig.
Rückruf wegen Plagiaten: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54121 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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