6,5 Millionen Funkzellenabfragen in Berlin: Wenn die Ausnahme zum Regelfall wird

von Ermano Geuer

13.09.2012

Eine Funkzellenabfrage ist nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig. Dennoch setzen Strafverfolgungsorgane diese Maßnahme routinemäßig und ohne nähere Prüfung ein. Das Ausmaß der Überwachung von Millionen von Handys auch völlig Unverdächtiger in Berlin zeigt ein jüngst veröffentlichter Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten. Ermano Geuer mit den Einzelheiten und den Ursachen.

Ein Aufschrei der Empörung ging durch Deutschland, als die Polizei während einer Anti-Nazidemo im Februar 2011 in Dresden die Funkzellendaten von gut 20.000 Personen erfasste und auswertete. Das Amtsgericht (AG) Dresden erklärte dieses Vorgehen für rechtmäßig. Schließlich seien auch schwere Straftaten wie etwa die Bildung einer kriminellen Vereinigung oder Körperverletzung zu erwarten gewesen, begründeten die sächsischen Richter ihre Entscheidung.

Im Vergleich zu ihren Berliner Kollegen waren die Beamten in Dresden aber sogar noch zurückhaltend: In der Hauptstadt entschied man sich für eine Funkzellenabfrage im großen Stil. So fielen zwischen 2009 und 2012 offenbar über 6,5 Millionen Datensätze an. Dagegen erscheint die einmalige Untersuchung von gut 20.000 Datensätzen in Dresden beinahe als harmlos.

Der Berlin Datenschutzbeauftragte Alexander Dix wertete stichprobenartig 108 Ermittlungsakten aus und deckte dabei auf, dass sich die Ermittler keinesfalls nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung der Abfrage bedienten. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall fand so gut wie nie statt. Vielmehr wurde zur Begründung der Maßnahme oft nur der Gesetzeswortlaut wiedergegeben. Dabei unterliegt die Funkzellenabfrage einem Richtervorbehalt, was offenbar kein Hindernis darstelle.

Berliner Polizeibeamte: Funkzellenabfrage sogar ohne Verbrechen

Auch konkreter Hinweise, dass bei der Tatbegehung überhaupt Mobiltelefone benutzt wurden, bedurfte es nach Auffassung der Ermittler nicht. Nach einer Brandstiftung, bei der Laub in Brand gesetzt wurde und das Feuer auf naheliegende Reifen übergriff, fragten sie zum Beispiel routinemäßig die Daten mit der Begründung ab, dass der oder die Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit Handys mit sich geführt hätten. Bei geschätzten 100 Millionen Mobiltelefonen im Land keine überraschende Erkenntnis.

Auch prüften die Ermittler ausweislich des Berichts des Berliner Datenschutzbeauftragten mitunter nicht einmal, ob überhaupt eine Straftat vorlag: So führten sie im Fall eines KFZ-Brandes eine Funkzellenabfrage durch, noch bevor ein Sachverständigengutachten vorlag.  Später stellte sich heraus, dass keine Brandstiftung, sondern lediglich ein technischer Defekt die Ursache war. Überhaupt fällt auf, dass die Staatsanwaltschaft durch den Einsatz der Funkzellenabfrage keine messbaren Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung erzielen konnte, obwohl sie dieses Mittel inflationär einsetzte.

Die nachträglichen Pflichten bei der Funkzellenabfrage nahmen die Ermittler wohl ebenso wenig ernst: Für den Fall, dass Adressdaten ermittelt sind und die Identität der Betroffenen so bekannt ist, sind diese gemäß § 101 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 StPO zu benachrichtigen. Davon kann eigentlich nur in Ausnahmefällen abgesehen werden – in Berlin wurde dies gleichwohl zur Regel. Eine Benachrichtigung erfolgte so gut wie nie. Und wenn, wurden die Betroffenen nicht auf Rechtsschutzmöglichkeiten hingewiesen. Alexander Dix empfiehlt daher, alle Betroffenen nachträglich zu informieren.

Ausnahme Funkzellenabfrage: Nur bei besonders schweren Delikten möglich

Mit der Situation, dass Kriminelle den Mobilfunk für ihre Zwecke nutzen, sehen Polizei und Staatsanwaltschaft sich zunehmend konfrontiert. Sei es, dass sie sich per Handy zu einer Straftat verabreden oder sogar, dass sie das Telefon selbst als Tatwerkzeug zweckentfremden. Ein Beispiel dafür ist der so genannte Enkeltrick, bei dem der Täter ältere Personen anruft, sich als deren Enkel in einer Notlage ausgibt und sie dazu bewegt, einem Komplizen größere Geldsummen zu übergeben.  Diese Delikte strafrechtlich zu verfolgen,  gestaltet sich schwierig: Ist die Rufnummer den Ermittlern unbekannt, lässt sich nur schwer nachvollziehen, wer mit wem kommuniziert hat.

Um an die entsprechenden Daten heranzukommen, bedienen sich Polizei und Staatsanwaltschaft deshalb zunehmend der Funkzellenabfrage. Diese ist in § 100g Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) geregelt und erlaubt den Strafverfolgungsbehörden, bei besonders schweren Delikten eine solche Abfrage zu tätigen. Besonders interessant ist für die Ermittler, dass beim Mobilfunkanbieter gespeichert wird, wer sich in einer bestimmten räumlich bezeichneten Funkzelle mit seinem Mobiltelefon aufgehalten hat.

Dazu muss das Handy nicht einmal zum Telefonieren oder mobilen Surfen genutzt werden. Aus der Datensammlung ergibt sich nicht nur, wer mit wem kommuniziert oder wer das Internet genutzt hat, sondern sie führt auch jeden auf, der im Bereich der jeweiligen Funkzelle ein eingeschaltetes Handy bei sich trägt.

Unklare Gesetze machen den Missbrauch erst möglich

Doch die Schuld für den inflationären und nach dem Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten in vielen Fällen eindeutig rechtswidrigen Einsatz der Funkzellenabfrage liegt nicht allein bei übereifrigen Strafverfolgern. Auch der Gesetzgeber hat mit unklaren Regelungen dafür gesorgt, dass ein Missbrauch überhaupt möglich ist.

So fordert Dix zu Recht entsprechende Protokollierungspflichten für die Begründung einer Funkzellenabfrage sowie für die Datenspeicherung und -löschung. Auch sollte der Straftatenkatalog klar begrenzt sein.

Der Gesetzgeber muss dabei berücksichtigen, dass die Grundrechte vieler Unbeteiligter betroffen sind. Die Funkzellenabfrage greift immer in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz ein, wenn Kommunikationsvorgänge abgefragt werden. Geht es darum, herauszufinden, wer sich zu welchem Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle aufgehalten hat, liegt auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor. Die Abfrage sollte daher stets die Ausnahme bleiben, zumal sie bislang ohnehin nicht zu größeren Fahndungserfolgen geführt hat. Die Berliner Fahndungsmethoden zeigen eindrucksvoll, dass das auch gesetzlich stärker zum Ausdruck gebracht werden muss.

Der Autor Ermano Geuer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht an der Universität Passau.

Zitiervorschlag

Ermano Geuer, 6,5 Millionen Funkzellenabfragen in Berlin: Wenn die Ausnahme zum Regelfall wird . In: Legal Tribune Online, 13.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7066/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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