Deutsches Rechtssystem aus Bürgersicht: Parallel­wertung in der Laien­sphäre

von Marcel Schneider

24.07.2015

Was weiß der Durchschnittsbürger vom Recht? Im Detail eher wenig. Der deutschen Justiz tritt er trotzdem überwiegend vertrauensvoll entgegen – hat aber auch ein paar dezidierte Kritikpunkte. Dies belegen zwei aktuelle Umfragen.

Die Deutschen vertrauen in ihr Rechtssystem, sehen aber in einigen Punkten erheblichen Verbesserungsbedarf. Zu diesem im Wesentlichen gleichen Ergebnis kommen der Roland Rechtsreport 2015 (Report) und eine Umfrage des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (Umfrage). Die Versicherungsgruppe und der Verband gaben repräsentative Befragungen in Auftrag, bei denen vielfach ähnliche Kritikpunkte an der Judikative laut wurden.

Im Grundsatz stehen die Gerichte aber einigermaßen gut da: Immerhin 63 Prozent der Teilnehmer des Reports haben viel oder sehr viel Vertrauen in sie. Damit liegen sie hinter der Polizei (74 Prozent) und "den Gesetzen" (71 Prozent), aber vor der Bundesregierung und Verwaltung (rund 50 Prozent) sowie der Kirche (35 Prozent) und großen Wirtschaftsunternehmen (34 Prozent). Im Vergleich zum Vorjahr haben die Gerichte allerdings acht Prozentpunkte verloren, vielleicht auch als Reaktion auf die jüngsten justizkritischen Publikationen eines Norbert Blüm oder – mit Blick auf Anwälte - Joachim Wagner.

Befragte haben keine Ahnung von Kosten, halten sie aber für entscheidend

Dabei speist sich der Eindruck nicht nur vom Hörensagen: Laut der Umfrage haben fast sechs von zehn Befragten schon einmal einen Anwalt in Anspruch nehmen müssen. Für den Report gab ein Viertel der Teilnehmer an, in den letzten zehn Jahren schon einmal als Kläger, Beklagter oder Zeuge an einem Gerichtsverfahren beteiligt gewesen zu sein. Dabei scheinen negative Erfahrungen sich vor allem auf einige, spezielle Punkte zu verdichten.

Allen voran der Eindruck, dass eine kostspielig organisierte anwaltliche Vertretung die Erfolgschancen deutlich erhöhe. Bei der Umfrage stimmte jeder Zweite der Aussage zu, dass "jene Recht vor Gericht bekommen, die das meiste Geld für Anwälte zur Verfügung haben." Im Report äußerten sich sogar zwei Drittel der Teilnehmer in diese Richtung. Dort war die These allerdings auch etwas zurückhaltender formuliert – gefragt war, ob "derjenige bessere Chancen auf ein günstiges Urteil hat, der sich einen bekannten Anwalt leisten kann."

Viel Geld, mehr Recht – aber wie viel ist denn "viel"?

Etwa ein Drittel der an der Umfrage Beteiligten gab an, eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, was ein Gerichtsbeistand kostet. Das bestätigte sich bei der Frage nach den Kosten anhand konkreter Fallbeispiele allerdings nicht. Im Ergebnis schätzten rund 80 Prozent die Anwalts- und Gerichtskosten zu niedrig ein. Von 100 Befragten waren nur sechs in der Lage, eine realistische Einschätzung abzugeben. Beinahe niemand (ein Prozent) veranschlagte ein zu hohes Budget.

Was die Wirtschaftlichkeit der Klage angeht, bewegten sich die sparsamen Deutschen wieder auf sicherem Grund: Übersteigen die Kosten die gerichtlich verfolgte Forderung, erklärte knapp jeder Zweite, lieber auf sein Recht zu verzichten anstatt in Gefahr zu laufen, das Verfahren zu verlieren und "minus" zu machen. Rechtsverlust des lieben Geldes wegen – und das gleich in doppelter Hinsicht.

Gerichte zu langsam und zu lasch – Mediation oft unbekannt

Noch schärfer als die monetäre Chancenungleichheit kritisierten die Reportbefragten die häufig langwierigen Prozesse vor deutschen Gerichten. 78 Prozent sind der Meinung, dass die Verfahren viel zu lange dauern. Einen Grund dafür liefern sie gleich mit: Immerhin 71 Prozent denken, dass die Gerichte heutzutage viel zu viel Arbeit haben und schlicht überlastet sind.

Und wenn dann endlich ein Urteil fällt, ist es vielen nicht hart genug. So halten 44 Prozent der Deutschen die Urteile der nationalen Gerichte oft für zu milde. Insbesondere gegenüber Jugendstraftätern könnte nach ihrem Geschmack ruhig ein Gang zugelegt werden. 57 Prozent der Befragten wünschen sich ein resoluteres Durchgreifen der Gerichte bei jugendlichen Gesetzesbrechern.

Als Alternative zum Gerichtsverfahren wurde den Befragten die Mediation vorgeschlagen. Ein Drittel gab daraufhin an, im Rahmen des Reports zum ersten Mal davon zu hören. Nachdem den Teilnehmern den Begriff der Mediation erklärt und der Ablauf skizziert worden war, glaubten 45 Prozent, dass auf diesem Wege viele rechtliche Streitigkeiten beigelegt werden können.

Von denjenigen, denen diese Form der außergerichtlichen Einigung bekannt war, glaubte sogar etwas mehr als jeder Zweite, dass Mediation viele Konflikte günstig und vor allem zeitig lösen kann. Den Befürwortern aus beiden Lagern stehen mit jeweils rund 40 Prozent auch eine große Zahl von Skeptiker gegenüber. Diese halten es für eher unwahrscheinlich, dass ein handfester Rechtsstreit mit verhärteten Fronten gütlich außergerichtlich beigelegt werden kann. Nur ein kleiner Teil der Probanden gab keine Einschätzung zum Mediationsverfahren ab.

Komplizierte Gesetze und der Ruf nach Volksabstimmungen

Das rechtspolitische Interesse der Deutschen ist groß – auch wenn sie häufig nicht genau wissen, wie Gesetze zustande kommen. Gerade einmal ein Fünftel sagte für den Report aus, ziemlich genau über das hiesige Gesetzgebungsverfahren Bescheid zu wissen. Die breite Masse sprach davon, eine "ungefähre Vorstellung" zu haben, während ein Viertel gestand, keine beziehungsweise kaum Kenntnisse darüber zu haben. Einigkeit bestand aber darüber, dass die Gesetze, die letztlich verabschiedet werden, zu kompliziert sind. 55 Prozent der Teilnehmer fanden, dass die nationalen Normen und Regelungen als "normaler Bürger" nicht zu verstehen seien.

Das könnte auch den Wunsch nach Volksabstimmungen erklären: Immerhin 45 Prozent würden es begrüßen, wenn zu den großen und für alle relevanten Themen die Bürger direkt befragt würden. Dabei votierten insbesondere diejenigen, die sich nach eigenen Angaben gut mit dem Gesetzgebungsprozess in Deutschland auskennen, für eine direktere Form der Demokratie.

Übrigens: Das am häufigsten genannte Thema für eine Volksabstimmung war die Einführung der PKW-Maut.

Zitiervorschlag

Marcel Schneider, Deutsches Rechtssystem aus Bürgersicht: Parallelwertung in der Laiensphäre . In: Legal Tribune Online, 24.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16312/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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