Zweites Gesetz zur Modernisierung des deutschen Patentrechts: Nach­teile bei der Bewer­tung für inno­va­tive Star­tups

Gastbeitrag von Dr. Thomas Hirse

14.06.2021

Der Bundestag hat das Patentrechtsmodernisierungsgesetz beschlossen. Gerichte müssen nun ausdrücklich die Verhältnismäßigkeit eines Unterlassungsanspruchs prüfen. Für mehr Rechtssicherheit sorgt das neue Gesetz nicht, meint Thomas Hirse.

Der Bundestag hat in der Nacht zum 11. Juni 2021 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen das Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts beschlossen. Das Gesetz hat damit eine wichtige Hürde im Gesetzgebungsverfahren genommen. Eine Ablehnung des Gesetzes durch den Bundesrat ist nicht zu erwarten, da dieser bereits im Dezember 2020 weitgehend positiv zum Regierungsentwurf Stellung genommen hat.

Das Gesetz nimmt wichtige Änderungen im Patentgesetz vor. So übernimmt es die verfahrensrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen aus dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz für Patentstreitverfahren, in denen häufig vertrauliche technische Informationen vorgetragen werden.

Darüber hinaus gibt es einige gesetzliche Änderungen für Patentnichtigkeitsverfahren, um deren Verfahrensdauer zu reduzieren. Schließlich zeichnet der Gesetzesbeschluss den vorläufigen Endpunkt einer seit einigen Jahren geführten Diskussion um die ausdrückliche Aufnahme der Verhältnismäßigkeitsprüfung in die Regelung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs.

Verurteilung zur Unterlassung bisher quasi nie unverhältnismäßig

Als verfassungsrechtlich verankertes Grundprinzip müssen Gerichte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch ohne ausdrückliche Nennung beachten. Dies hielt der Bundesgerichtshof in seiner sogenannten Wärmetauscher-Entscheidung vom 10. Mai 2016 (Az. X ZR 114/13) fest.

Seither wurde vielfach bemängelt, dass die Instanzgerichte in Deutschland dennoch so gut wie nie im Falle einer Patentverletzung von einer Verurteilung zur Unterlassung absehen, weil eine solche unverhältnismäßig wäre. Dieser nahezu automatische Unterlassungsanspruch wird international als prägend und wesentlicher Wert des deutschen Patentrechts angesehen.

Patentverletzende Produkte müssen im Fall der (vorläufigen) Vollstreckung eines solchen Unterlassungstitels vom häufig wichtigen deutschen Markt genommen werden.

Deutschland als beliebtes Forum für Patentstreitigkeiten

Deutschland hat sich aber auch aus anderen Gründen in den vergangenen Jahren als beliebtes Forum für Patentstreitigkeiten etabliert. Patentverletzungsverfahren werden in Deutschland vor besonders qualifizierten Patentreitkammern geführt.

Zudem entscheiden die deutschen Gerichte im internationalen Vergleich relativ schnell über Patentverletzungsklagen, in erster Instanz häufig innerhalb von 15 bis 18 Monaten nach Klageeinreichung. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Verletzungsgerichte die Rechtsbeständigkeit eines erteilten Patents nicht prüfen, sondern hierfür das Patentamt und das Bundespatentgericht (BPatG) zuständig sind.

Die Verletzungsgerichte selbst können im eigenen Ermessen ein Patentverletzungsverfahren aussetzen, wenn sie es für weit überwiegend wahrscheinlich halten, dass das Patent in einem parallelen Einspruchs- oder Nichtigkeitsklageverfahren nicht in der erteilten Fassung aufrecht erhalten bleibt.

Produkte werden immer komplexer, aber Patente schützen oft nur kleinste technische Details

In den vergangenen Jahren wurde vermehrt Kritik an dem "faktischen Automatismus" beim Unterlassungsanspruch geäußert. Im Zuge des technologischen Fortschritts werden Produkte immer komplexer, während die Patente oft nur kleinste technische Aspekte betreffen und schützen. Durch die fortschreitende Digitalisierung betrifft dieses Phänomen seit einigen Jahren zunehmend viele Branchen.

Im Automobil- und Mobilfunksektor werden seit einigen Jahren vermehrt Patentverletzungsverfahren vor deutschen Gerichten geführt, bei denen auf Grundlage eines einzelnen, lediglich ein kleines technisches Detail schützenden Patents Vertriebsverbote für ganze Produktserien drohen.

Gegen zahlreiche internationale Autohersteller sind Verfahren anhängig, die allgemein unter dem Schlagwort "Connected Cars Disputes" bekannt wurden und in denen die Klageanträge im Ergebnis zu weitgehenden Herstellungs- und Verkaufsverboten für die streitgegenständlichen Auto-Modelle führen könnten.

Oft Verurteilung zur Unterlassung trotz parallelem Nichtigkeitsverfahren

Der Druck auf die betroffenen Unternehmen wird noch dadurch erhöht, dass die deutschen Gerichte eher zurückhaltend bei der Aussetzung von Verletzungsverfahren im Hinblick auf ein paralleles Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren sind. Da solche Verfahren deutlich länger dauern als Verletzungsverfahren, droht nicht selten eine Verurteilung zur Unterlassung auf der Grundlage eines sich später als nicht rechtsbeständig erweisenden Patents (sogenannte Injunction Gap).

Ein vorläufig vollstreckbarer Unterlassungstitel kann zu einem umfangreichen Marktausschluss führen. Diese tatsächlichen Folgen werden durch einen späteren Schadensersatzanspruch häufig nicht vollständig kompensiert, sollte das Patent für unwirksam erklärt werden.

Ob derlei Erwägungen künftig tatsächlich in die umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung einfließen und entscheidungserheblich werden können, lässt sich trotz des unbestimmten Gesetzwortlauts bezweifeln. Dieser wurde im Zuge der Diskussionen im Rechtsausschuss nur unwesentlich geändert.

Gesetzesbegründung enthält nur wenige Kriterien für Abwägungsentscheidung

Für die Abwägung selbst gibt die Gesetzesbegründung den Gerichten – vermutlich bewusst – nur ein paar Aspekte an die Hand. Danach sollen die Interessen eines nicht mit eigenen Produkten am Markt tätigen Patentinhabers dann zurückstehen, wenn es ihm (als sog. "Patent Troll") in erster Linie darum geht, den drohenden Unterlassungstitel als Druckmittel für den Abschluss eines vorteilhaften Lizenzvertrags einzusetzen. Darüber hinaus kann die Tatsache, dass lediglich ein kleiner technischer Aspekt eines komplexen und aufwändig entwickelten Produkts durch das geltend gemachte Patent geschützt wird, erheblich sein.

Das schuldhafte Unterlassen einer Freedom-to-Operate-Analyse, also einer Prüfung der Nichtverletzung von fremden Patenten vor Markteinführung durch den Verletzer, muss ebenfalls berücksichtigt werden. Eine wesentliche Rolle spielt es auch, wenn der Patentinhaber bewusst mit der Durchsetzung seiner Ansprüche wartet, um den drohenden Schaden für den Patentnutzer zu erhöhen.

Letztlich wird das Gericht eine Einzelfallentscheidung unter Würdigung aller Umstände treffen müssen. Abgrenzungsfragen zur Regelung patentrechtlicher Zwangslizenzen werden dabei aber die ebenfalls im Gesetzestext erwähnten Drittinteressen aufwerfen. Vor diesem gesetzessystematischen Hintergrund hatte sich das Landgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 9. März 2017 (Az. 4a O 137/15 – Herzklappen) eher skeptisch gegenüber der Berücksichtigung von Drittinteressen zugunsten des Verletzers gezeigt.

Anders als im Regierungsentwurf ist nun ein Ausgleichsanspruch für den Fall des Ausschlusses des Unterlassungsanspruchs zwingend vorgeschrieben. Die Gerichte sind bei der Bestimmung seiner Höhe grundsätzlich an den Grundsatz der Angemessenheit gebunden. Er soll regelmäßig aber mindestens den Betrag umfassen, der als marktübliche Lizenzvergütung vereinbart worden wäre. Sollte es dem Patentinhaber ersichtlich nur um die Monetarisierung des Patents gehen, könne der Ausgleichsbetrag aber auch ausnahmsweise bis auf null reduziert werden.

Keine echte Modernisierung, sondern vorübergehende Rechtsunsicherheit

Es bleibt abzuwarten, ob die nun beschlossene Aufnahme der Verhältnismäßigkeitsprüfung in die gesetzliche Regelung zum patentrechtlichen Unterlassungsanspruch tatsächlich die von ihren Befürwortern erhoffte Wirkung entfaltet. Sie wird jedenfalls vorübergehend für eine gewisse Rechtsunsicherheit sorgen, bis die Gerichte eine ausreichend gesicherte ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung etabliert haben.

Als echte "Modernisierung" erscheint das Gesetz nicht. Vielmehr wird die Gesetzesänderung künftig als potenzielles Durchsetzungshindernis bei der Bewertung von Patentportfolios berücksichtigt werden. Dies kann sich vor allem für vom effektiven Patentschutz abhängige innovative Startups bei Finanzierungsrunden noch nachteilig auswirken.

Dem sich vor allem aus den unterschiedlichen Verfahrensdauern der Verletzungsverfahren auf der einen Seite und der Nichtigkeitsklageverfahren auf der anderen Seite ergebenden Dilemma eines Injunction Gap kann nur durch eine bessere personelle Ausstattung des BPatG begegnet werden.

Dr. Thomas Hirse ist Partner bei CMS Hasche Sigle und spezialisiert auf die Bereiche Patentrecht, Technologie- und Lizenzvertragsrecht sowie Forschungs- und Entwicklungsvertragsrecht, Recht betreffend den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und Datenschutzrecht. Er berät vornehmlich Unternehmen der Branchen Lifesciences, Biotech und Chemie. Er ist Mitglied in den Fachorganisationen GRUR, LES Deutschland, EPLAW und AIPLA. Er arbeitet in den Arbeitsgruppen "Schutzrechte und technische Verträge" und "Technologietransfer" des BioDeutschland e.V. mit und ist Mitglied im fachlichen Beirat des Forschungsverbunds Leibniz Gesundheitstechnologien.

Zitiervorschlag

Zweites Gesetz zur Modernisierung des deutschen Patentrechts: Nachteile bei der Bewertung für innovative Startups . In: Legal Tribune Online, 14.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45199/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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