Die juristische Presseschau vom 29. September 2015: Ver­ur­tei­lung nach VStGB - Keine Ent­schä­d­i­gung für Love-Parade-Ein­satz - Ermitt­lungen gegen Win­ter­korn

29.09.2015

Der Stuttgarter FDLR-Prozess geht mit Schuldsprüchen zu Ende. Hat das Völkerstrafrecht gesiegt? Außerdem in der Presseschau: kein Schadensersatz für Love-Parade-Feuerwehrmann und in der Abgas-Affäre wird die Staatsanwaltschaft aktiv.

Thema des Tages

OLG Stuttgart zu FDLR-Funktionären: Nach vier Jahren mit insgesamt 320 Verhandlungstagen ist vor dem Oberlandesgericht Stuttgart das erste Verfahren nach dem 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuch mit einem Schuldspruch gegen beide Angeklagte beendet worden. Die Strafe des Hauptangeklagten Ignace Murwanashyaka lautete 13 Jahre Haft wegen Rädelsführerschaft und Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen, der ebenfalls verurteilte Straton Musoni muss wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung für acht Jahre in Haft. Verfahrensgegenständlich waren Massaker der FDLR in der Demokratischen Republik Kongo, zu denen die Verurteilten von Deutschland aus beigetragen haben sollen.

Der Vorsitzende Richter leitete die Urteilsbegründung mit den Worten "so geht es nicht" ein, schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt). Die Schwierigkeiten einer Wahrheitsfindung bei mehreren Tausend Kilometer entfernten Tatorten gibt auch spiegel.de (Beate Lakotta) ausführlich wieder, einen vergleichbaren Tenor hat der Bericht der SZ (Josef Kelnberger). Nach dem Bericht der taz (Dominic Johnson) hat "einer der teuersten Prozesse der deutschen Rechtsgeschichte ein nicht wirklich stimmiges Urteil gefällt".

Die SZ (Ronen Steinke) erläutert die politischen Gründe für die aktuell fünf internationalen Verfahren zur juristischen Aufarbeitung der Verbrechen in Ruanda. Die aktuelle Regierung des Landes nehme dabei durch ihre Macht, Zugang zu Zeugen verschaffen zu können, aktiven Einfluss auf alle diese Verfahren einschließlich des nun beendeten.

Rechtsanwalt Andreas Schüller fasst für lto.de Entscheidung und Verfahren zusammen. Der Mitarbeiter des ECCHR wertet es trotz aller offenbarer Probleme als großen Erfolg, "dass Kriegsverbrechen vor einem deutschen Oberlandesgericht verhandelt wurden und ein Urteil ergangen ist". Dagegen meint Rechtsanwalt Jan Bockemühl, ebenfalls auf lto.de, dass die "Bewährungsprobe" für das Völkerstrafgesetzbuch "nicht gelungen" sei. Für den bis März 2013 als Verteidiger Musonis tätigen Anwalt ist klar, dass bei reinen Auslandstaten mit Opfern und Zeugen im Ausland das deutsche Strafprozessrecht "keine rechtliche Handhabe für die Durchführung eines nur ansatzweise fairen Verfahrens" bietet. Denn bestehe zwischen der Bundesanwaltschaft und der Verteidigung keine Waffengleichheit, wie der Autor mit zahlreichen Beispielen belegt.

Rechtspolitik

Abschiebungen: Eine Rüge der zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik wegen ungenügender Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nimmt die FAZ (Eckart Lohse) zum Anlass, dass Verfahren bei Abschiebungen einschließlich möglichen Rechtsschutzes zu erläutern. Am kommenden Donnerstag befasse sich der Bundestag mit einer geplanten Gesetzesänderung, nach der Betroffenen der Termin einer Abschiebung vorab nicht mehr mitgeteilt werden solle.

Zwangsvermietung: Auch das Handelsblatt (L. Exuzidis/S. Kersting) berichtet nun zur Absicht verschiedener Kommunen, Flüchtlinge in beschlagnahmten leerstehenden Immobilien unterzubringen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) stehe dem Vorhaben kritisch gegenüber und bevorzuge eine stärkere Ausweisung von Bauland.

Investitionsgerichtshof: Einzelheiten zu dem von der EU im Rahmen der TTIP-Verhandlungen vorgeschlagenen Investitionsgerichtshof erläutert das Handelsblatt (Heike Anger). Einen im Artikel zitierten Experten stört vor allem die vorgesehene Veröffentlichungspflicht für Verhandlungsprotokolle und Schriftsätze der Parteien. Hierdurch würden die Beteiligten unzulässig unter Druck gesetzt.

Kollektivklagen: Dass im Bundesjustizministerium derzeit an der Einführung einer Kollektivklagemöglichkeit für Verbraucher gearbeitet wird, begrüßt Joachim Jahn (FAZ) in einem Kommentar. Eine vergleichbare Regelung im Musterverfahrensgesetz für Kapitalanleger habe sich bewährt. "Unerlässlich" sei es allerdings, "alle im amerikanischen Recht üblichen Folterinstrumente hierzulande auszuschließen", anderenfalls gerieten solche Klagen "zum Vehikel von Erpressung". zeit.de (Marius Elfering/Tilman Steffen) legt dar, wie durch die Abgas-Affäre betroffene VW-Kunden durch das neue Vorhaben Ansprüche durchsetzen könnten.

Insolvenzanfechtungen: Durch eine Änderung der Insolvenzordnung sollen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs erleichterte Anfechtungen von Zahlungen durch Insolvenzverwalter zukünftig wieder erschwert werden. Der entsprechende, der FAZ (Joachim Jahn) vorliegende Entwurf des Bundesjustizministeriums sehe hierzu unter anderem vor, dass Bitten des Schuldners nach Zahlungserleichterungen nicht mehr gegen den Gläubiger ausgelegt werden sollen.

Vorratsdatenspeicherung: In einem Gastkommentar für das Handelsblatt schreibt Renate Künast (Grüne), Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, zu ihren "Sorgen" bezüglich der Sicherheit gespeicherter Daten bei der geplanten Vorratsdatenspeicherung. Die Bundesregierung verlange von betroffenen Unternehmen "höchste Flexibilität" bei Zugriffsmöglichkeiten von Behörden. Gleichzeitig überlasse sie den Firmen die Entwicklung rechtssicherer Verfahren und technischer Lösungen. Ohnehin fraglich sei, ob das "Abschreiben der verfassungsgerichtlichen Vorgaben von 2010 jetzt noch für ein verfassungskonformes Gesetzes" bürge.

Mordparagraph: Die taz (Christian Rath) befragt Elisabeth Winkelmeier-Becker, Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Recht und Verbraucherschutz sowie Richterin außer Dienst, zu den Beweggründen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der geplanten Reform des Mordparagraphen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. September 2015: Verurteilung nach VStGB - Keine Entschädigung für Love-Parade-Einsatz - Ermittlungen gegen Winterkorn . In: Legal Tribune Online, 29.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17035/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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