Die juristische Presseschau vom 31. Januar 2020: Regi­s­trie­rungspf­licht für Pre­paid-Sim­karten recht­mäßig / Ber­liner Mie­ten­de­ckel besch­lossen / Rechts­staat­lich­keit in Polen

31.01.2020

Laut EGMR ist die Registrierungspflicht beim Kauf einer Prepaid-Simkarte verhältnismäßig. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat den sogenannten Mietendeckel beschlossen und in Polen ist die Rechtsstaatlichkeit einmal mehr in Gefahr.

Thema des Tages

EGMR zu Prepaid-Registrierung: Die 2004 in Deutschland eingeführte Registrierungspflicht für Prepaid-Karten verstößt laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention. Sie stelle einen verhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Kläger dar, da bei der Registrierung keine hochpersönlichen Daten, wie etwa Verbindungsdaten, erfasst würden. Der Kläger Patrick Breyer, selbst Jurist, war bereits 2012 mit einer Verfassungsbeschwerde gescheitert. Er hatte insbesondere für Anonymität im Kontakt mit Journalisten oder Beratungsstellen argumentiert. Es berichten taz.de (Christian Rath), spiegel.de (Patrick Beuth), lto.de und netzpolitik.org (Felix Richter).

Rechtspolitik

Mietendeckel: Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat den umstrittenen sogenannten Mietendeckel beschlossen, ein Gesetz, das bei Altbauwohnungen die Miete nach Kriterien wie Lage und Zustand der Wohnung auf einen Maximalbetrag pro Quadratmeter deckelt und die Mieten rückwirkend zum 18. Juni 2019 für fünf Jahre einfriert. Die Opposition im Abgeordnetenhaus aus CDU, FDP und AfD hat angekündigt, dagegen im Wege von Normenkontrollanträgen beim Bundesverfassungsgericht und beim Berliner Verfassungsgerichtshof vorzugehen. Dabei könnte eine Frage sein, ob die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Mietrechts auch die Regulierung der Miethöhe umfasst. Es berichten taz (Martin Reeh), Tsp (Robert Kiesel) und lto.de. FAZ (Julia Löhr) und spiegel.de erläutern, was das neue Berliner Gesetz beinhaltet.

Bundeswehrausrüstung: Wie zeit.de berichtet, hat der Bundestag eine Vergaberechtsänderung beschlossen, die es ermöglicht, die Vergabe sogenannter Schlüsseltechnologien im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr EU-weit ausschreiben zu müssen, um die Beschaffung von Bundeswehrausrüstung zu beschleunigen. Abgeordnete von Grünen, FDP und Linken stimmten unter Hinweis auf Qualitätsanforderungen und das damit verbundene Korruptionsrisiko dagegen.

NetzDG: netzpolitik.org stellt einen von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) vorgelegten Entwurf zur "Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes" vor. Danach sollen Netzwerke künftig verpflichtet werden, strafbare Inhalte nicht nur zu löschen, sondern direkt dem Bundeskriminalamt zu melden. Die von den Plattformen für Nutzer vorgesehen Meldefunktionen sollen ausgehend von dem geposteten Inhalt leicht auffindbar sein. Auch soll Gerichten ermöglicht werden, die Plattformen zur Herausgabe von Accountdaten zu verpflichten.

Staatsangehörigkeit für Nazi-Verfolgte: Laut spiegel.de (Christoph Schult) und focus.de hat der Bundestag über ein Gesetz zur Entbürokratisierung der in Artikel 116 Grundgesetz vorgesehenen Wiedereinbürgerung von Nachfahren während der Nazidiktatur verfolgter Juden debattiert. Anlass waren zwei Gesetzentwürfe von Grünen und Linken sowie ein Antrag der FDP. Die Koalitionsparteien überstimmten jedoch im Ergebnis die Opposition in der Abstimmung.

PKW-Maut: Laut der Aussage eines Beamten des Bundesrechnungshofs vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss habe das Verkehrsministerium das drohende Scheitern der Maut vor dem Europäischen Gerichtshof ignoriert und nicht in die interne Risikobewertung einbezogen. Überdies sei gegen das Vergaberecht verstoßen worden, da es nach dem finalen Angebot Leistungsänderungen gegeben hätte, was eigentlich eine Unterbrechung des Vergabeverfahrens erfordert hätte, so die SZ (Markus Balser/Clara Lipkowski) und spiegel.de (Gerald Traufetter).

Justiz

BGH zu Hausmeisternotdienst: Nach nun veröffentlichter Entscheidung des Bundesgerichtshofs dürfen Vermieter keine Pauschale für einen Hausmeisternotdienst umlegen. Es handele sich dabei um nicht umlagefähige Verwaltungskosten der Vermieter. Umlagefähige Pauschalen können laut Bundesgerichtshof nur für routinemäßige Tätigkeiten erhoben werden. Es berichten spiegel.de, lawblog.de und lto.de.

BGH zu Schriftsatzzitaten: lto.de (Niko Härting) betrachtet die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Möglichkeit, aus anwaltlichen Schriftsätzen zu zitieren, sofern der betreffende Anwalt eine Auskunft verweigert. Der Bundesgerichtshof hält in diesen Fällen, da es um öffentliche Kommunikation geht, das Datenschutzrecht nicht für anwendbar, das Persönlichkeitsrecht nicht verletzt. Vielmehr überwiege die Meinungs- und Medienfreiheit. Konkret hatte im Fall der "Football Leaks" der Spiegel aus der Antwort eines Anwalts auf die ablehnende Presseanfrage zitiert. Laut BGH gebe es "keinen generellen deliktischen Schutz des Geheimhaltungswillens".

BVerwG zu Informationsanspruch: Nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein Tierschutzverein, der von den Behörden Informationen über die Kontrolle von Tiertransporten verlangt, weder nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) noch nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) einen Anspruch auf Auskunft über behauptete tierschutzrechtliche Verstöße bei Tiertransporten, da tierschutzrechtliche Belange als solche von den jeweiligen Gesetzen nicht umfasst seien. Es berichtet lto.de.

BVerwG zu "Linksunten.Indymedia": Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Mittwoch, die Klage von fünf möglichen Betreibern des linksgerichteten Internetportals "Linksunten.Indymedia" unter Verweis auf die Anwendbarkeit des Vereinsrechts abzuweisen, wird vielfach kommentiert. Christian Rath (taz.de) weist nochmals darauf hin, dass das Gericht nur aus formalen Gründen entschieden, das Verbot als solches aber nicht geprüft habe. Dies hält er für eine "Rechtsschutzverweigerung durch das Bundesverwaltungsgericht". Die Pressefreiheit sieht er jedoch nicht in Gefahr, schließlich könne "linke und linksradikale Politik auf vielen Internetportalen diskutiert werden". Michael Hanfeld (FAZ) zeigt sich verwundert über die Aussage des Vorstandssprechers von Reporter ohne Grenzen, Michael Rediske, der die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als eine vertane Gelegenheit, den Stellenwert der Pressefreiheit zu unterstreichen, bezeichnet hatte. Schließlich sei auf dem Portal zuletzt "Jubel über schwere Straftaten, besonders wenn es gegen Staat und 'Bullen' ging", zu lesen gewesen.

OLG Oldenburg zu VW: Laut FAZ (Marcus Jung) hat der 1. Senat des Oberlandesgerichts Oldenburg in einem nun veröffentlichten Urteil den Volkswagen-Konzern zu einer Zahlung von rund 11600 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des sieben Jahre alten VW Golf Plus des Klägers verurteilt. Damit ist es das erste Berufungsgericht, das eine erst im vergangenen Jahr erhobene Klage als nicht verjährt ansieht.

LG Berlin – Geschlechtergerechte Sprache: Im Verfahren um die Räumung des queer-feministischen Hausprojekts "Liebig34" begann die gestrige Sitzung mit einem Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter. Dieser habe in seinen Schriftsätzen keine geschlechtergerechte Sprache, sondern das generische Maskulinum benutzt. Bei dem Beklagten handele es sich jedoch um einen Verein, der sogenannte cis-Männer erkennbar ausschließt, erklärte dessen Anwalt. Daher seien durch die angewandte Sprache nicht nur Gleichberechtigungsrechte verletzt, sondern der Kern des Vereins angegriffen. Das Verfahren wurde vertagt, ein Urteil wird zum 30. April erwartet. Es berichten taz (Laura Binder) und lto.de.

LG Bonn – Cum-Ex: Wie die SZ (Klaus Ott/Jan Willmroth/Nils Wischmeyer) berichtet, ist die Privatbank Warburg-Gruppe kurz davor, mit dem Hamburger Finanzamt einen Vergleich zu erzielen. Damit könnte die Bank im Strafverfahren gegen Börsenhändler eine Entscheidung des Landgerichts Bonn zur Erstattung entgangener Steuereinnahmen vermeiden. Der Vorsitzende Richter Zickler habe angedeutet, vorzeitige Vereinbarungen zwischen den am Prozess beteiligten Banken und den Steuerbehörden zu akzeptieren.

LG Berlin – Goldmünzendiebstahl: spiegel.de (Wiebke Ramm) hat einen Verhandlungstag im Verfahren um die aus dem Berliner Bode-Museum gestohlene Goldmünze gegen den 20-jährigen Wissam Remmo verfolgt. Dessen Verteidiger halten die Aussagekraft der durch einen Gutachter festgestellten Indizien, wie etwa Goldstaub auf der Kleidung, für nicht ausreichend für eine Verurteilung.

EuGH/BVerfG – Datenschutz: Georg Mascolo (SZ) sieht eine Parallele zwischen den in diesem Frühjahr erwarteten höchstgerichtlichen Entscheidungen zum Datenschutz in einer kommunikativ vernetzten Welt: Einerseits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Abhörbefugnissen des Bundesnachrichtendienstes, andererseits die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung in Frankreich, Großbritannien und Belgien. In beiden Fällen sieht Mascolo rechtliche "Beschränkungen und Einschränkungen" als einzig denkbare Lösung, jetzt komme es auf die Gerichte an.

Richterliche Unabhängigkeit: Im Interview mit verfassungsblog.de (Anna Wójcik) plädiert Koen Lennaerts, Präsident des Europäischen Gerichtshofs, (in englischer Sprache) für Unabhängigkeit der Richter innerhalb der europäischen Rechtsgemeinschaft und warnt davor, die Mitgliedstaaten und die Europäische Union in einem dualen Verhältnis zu betrachten.

Recht in der Welt

Polen – Rechtsstaatlichkeit: Die SZ (Florian Hassel) greift eine Entscheidung des politisch nicht mehr unabhängigen polnischen Verfassungsgerichts auf. Dieses hat – nach Ansicht polnischer Rechtswissenschaftler ohne Befugnis – erklärt, dass die Umsetzung eines Urteils des polnischen Obersten Gerichts und damit die Umsetzung von Unionsrecht ausgesetzt werde. Das oberste Gericht hatte am 23. Januar alle Urteile einer Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für nicht unabhängig erklärt worden war, aufgehoben. Auch die FAZ (Gerhard Gnauck) berichtet und macht auf das kurz vor dem Abschluss stehende polnische "Disziplinierungsgesetz" aufmerksam, durch das jene Richter mit Strafe bedroht würden, die die Legitimität anderer, im Zuge der Reformen ins Amt gekommener Richter in Frage stellen.

Frankreich – EGMR zu Haftbedingungen: Wie die SZ meldet, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Klage von 32 Strafgefangenen gegen Frankreich stattgegeben, die sich gegen Überbelegung, mangelnde Hygiene und Missstände bei der Gesundheitsversorgung gewandt hatten.

Frankreich – Kindesmissbrauch in katholischer Kirche: Ein Berufungsgericht hat den französischen Kardinal Philippe Barbarin im Prozess wegen Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen mit dem Argument freigesprochen, dieser könne nicht persönlich für Fehler der katholischen Kirche haftbar gemacht werden, so FAZ (Michaela Wiegel) und spiegel.de.

USA – Facebook: Laut FAZ (Roland Lindner) hat der Facebook-Konzern mit dem Bundesstaat Illinois einen Vergleich in einem Rechtsstreit um Datenschutz im Zusammenhang mit der von Facebook genutzten Gesichtserkennungssoftware in Höhe von 550 Millionen Dollar geschlossen. Aufgrund neuer Datenschutzgesetze wie der europäischen Datenschutzgrundverordnung prognostiziert der Konzern sinkende Gewinne.

Indien – Todesstrafe: Die SZ (Arne Perras) berichtet über das Gerichtsverfahren im Fall einer vor sieben Jahren brutal vergewaltigten 23-jährigen Physiotherapeutin. Die Täter sollen nun nach erneuter Vertagung der Vollstreckung am 1. Februar durch Hängen hingerichtet werden, wobei die Richter zuvor noch über mehrere Petitionen der Verurteilten entscheiden müssen.

Sonstiges

Immunität von Abgeordneten: Der Bundestag hat die Immunität von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland aufgehoben, womit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen Gauland wegen Steuerhinterziehung ermöglicht werden. Bereits am Donnerstagmorgen wurde Gaulands Wohnhaus in Potsdam durchsucht. Auch die Immunität der CDU-Abgeordneten Karin Strenz aus Mecklenburg-Vorpommern wurde aufgehoben, es geht um Ermittlungen wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche im Zusammenhang mit Lobbyarbeit für Aserbaidschan. Es berichten FAZ (Markus Wehner), SZ (Markus Balser/Jens Schneider), taz (Sabine am Orde), focus.de, spiegel.de. Ausführlich berichtet Tsp (Jost Müller-Neuhof/Sven Lemkemeyer/Marion Kaufmann) und erläutert das Verfahren zur Aufhebung der Immunität innerhalb des Parlaments. Jens Schneider (SZ) erinnert, dass auch im Fall der Ermittlungen gegen Gauland die Unschuldsvermutung gilt.

Instanbul-Konvention: Die taz (Patricia Hecht) spricht mit Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte über die Istanbul-Konvention, die seit zwei Jahren in Deutschland in Kraft ist. Zwar gebe es insgesamt bei der Anwendung der Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch Gerichte "noch Luft nach oben", das Oberlandesgericht Hamburg etwa habe sich aber bereits wegweisend auf die Konvention bezogen.

Gaffen als Straftat: In seiner Kolumne auf spiegel.de stellt der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer Überlegungen zum Verhältnis des Strafrechts zur alltäglichen Bilderflut und "Bildersucht" an.

Huawei: Reinhard Müller (FAZ) kommentiert die Risiken der Beteiligung des Huawei-Konzerns am Ausbau des 5G-Netzes und konstatiert: "Huawei ist Fleisch vom Fleische eines Staates, der alles andere als demokratisch ist, eine demokratische Kontrolle deshalb nicht entfernt gewährleisten kann."

Algorithmen und Wettbewerbsrecht: In einem Gastbeitrag auf lto.de erläutern die Anwälte Marcel Nuys und Juliana Penz-Evren, wie aus wettbewerbsrechtlicher Sicht künftig mit Algorithmen, die Anzeige und Preis von Produkten im Internet bestimmen, umgegangen werden soll.

Arbeitsrecht und Coronavirus: lto.de (Tanja Podolski) spricht mit dem Fachanwalt für Arbeitsrecht Burkard Göpfert über die Möglichkeit für Arbeitnehmer, dem Arbeitsplatz fernzubleiben um eine Infektion zu vermeiden. Dieser hält fest: "Einfach nicht zu erscheinen ist arbeitsrechtlich keine Option." Bei Dienstreisen sähe dies allerdings anders aus, jedoch nur dann, wenn das Auswärtige Amt eine konkrete Reisewarnung ausgesprochen hätte.

 

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lto/cc

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. Januar 2020: Registrierungspflicht für Prepaid-Simkarten rechtmäßig / Berliner Mietendeckel beschlossen / Rechtsstaatlichkeit in Polen . In: Legal Tribune Online, 31.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40021/ (abgerufen am: 16.05.2024 )

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