Die juristische Presseschau vom 30. Januar 2020: BVerwG weist Klage gegen Indy­media-Verbot ab / Mie­ten­de­ckel vor Ver­ab­schie­dung / Coo­kies vor dem BGH

30.01.2020

Die Klage gegen das Verbot der linksextremistischen Plattform "Linksunten.Indymedia" scheitert vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Berliner Abgeordnetenhaus entscheidet über den Mietendeckel. Der BGH verhandelt über Cookie-Einwilligungen.

Thema des Tages

BVerwG zu "Linksunten.Indymedia": Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage von fünf Aktivisten gegen das Verbot der linksradikalen Internetplattform "Linksunten.Indymedia" abgewiesen. Anders als von den Klägern vorgebracht, ging das Gericht sehr wohl von der Anwendbarkeit des Vereinsrechts aus. Linksunten.Indymedia sei eine Vereinigung gewesen, die sich 2008 zum Zweck gebildet habe, eine linke Gegenöffentlichkeit zu schaffen, so der Vorsitzende Richter Ingo Kraft in der Urteilsbegründung. Es habe sich also um einen Verein gehandelt. Wenn die Kläger nichts mit Linksunten.Indymedia zu tun gehabt hätten, dann seien sie auch nicht berechtigt, die Verbotsverfügung anzufechten. Dies dürfe nur der Verein selbst. Über die Entscheidung schreiben faz.net (Helene Bubrowski), sz.de (Antonie Rietzschel/Wolfgang Janisch), taz.de (Christian Rath), welt.de (Deniz Yücel), netzpolitik.org (Daniel Laufer) und lto.de (Markus Sehl)

Wolfgang Janisch (SZ) meint, in dem Fall gehe es darum, wie viel Radikalkritik sein und wo diese formuliert werden dürfe. Auf einer Plattform für radikale Systemkritik wie "Linksunten.Indymedia" würden zwar oft nicht sonderlich zielführende Antworten gegeben, aber manchmal die richtigen Fragen gestellt. Nach Ansicht von Reinhard Müller (FAZ) kann es hingegen "nicht sein, dass die perfekten Bedingungen, die das Internet für anonyme Bewegungen und Gewaltaufrufe bietet, keine Kehrseite haben". Auch wer selbst nicht zur Waffe greife, könne doch "durch das kontinuierliche Verächtlichmachen anderer Gewalt säen".

Rechtspolitik

Gesichtserkennung: Einer Meldung der SZ zufolge verlangt die Grünen-Fraktion im Bundestag ein vollständiges Verbot des Einsatzes automatisierter und anlassloser Gesichtserkennungssysteme im öffentlichen Raum. Dies solle sowohl für sämtliche Behörden als auch für private Unternehmen gelten.

Mietendeckel Berlin: Am heutigen Donnerstag wird das Berliner Abgeordnetenhaus voraussichtlich den sogenannten Mietendeckel auf den Weg bringen, wie u.a. die Welt (Michael Fabricius) berichtet.

In einem Kommentar kritisiert Julia Löhr (FAZ), dabei handele es sich um "einen Eingriff in das Marktgeschehen und in die Rechte von Immobilieneigentümern, wie es ihn im wiedervereinigten Deutschland noch nicht gegeben hat". Es sei unklar, ob Berlin die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung habe. Bis zu einer Entscheidung aus Karlsruhe wüssten Mieter und Vermieter nicht, woran sie sind.

VGT – Tempolimit: Der Präsident des Verkehrsgerichtstags (VGT), Ansgar Staudinger, hat zu Beginn des VGT von der Bundesregierung eine umfassende wissenschaftliche Studie zu den Auswirkungen eines Autobahn-Tempolimits auf Verkehrssicherheit und Umwelt gefordert. Gegner eines Tempolimits verfolgten eine "Blockadepolitik", ohne dass sie ihre Meinung durch wissenschaftliche Studien belegen könnten, so Staudinger laut spiegel.de.

Hackback: Einem Bericht von netzpolitik.org (Anna Biselli) zufolge wollte das Innenministerium der Bundespolizei bei Angriffen auf IT-Systeme erlauben zurück zu hacken. Dies sollte im Zuge einer Reform in das Bundespolizeigesetz aufgenommen werden. Offenbar wurde die Regelung jedoch mittlerweile wieder aus dem Entwurf gestrichen.

5G-Ausbau: Die Bundesregierung will offenbar in das geplante "IT-Sicherheitsgesetz 2.0" die Möglichkeit von Bußgeldern aufnehmen. Diese sollen verhängt werden können, wenn Unternehmen beim Ausbau der neuen 5G-Mobilfunknetzwerke gegen Sicherheitsauflagen verstoßen. Dabei soll es um Bußgelder von bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes eines Unternehmens gehen, wie spiegel.de berichtet.

Vermögenssteuer: Der Heidelberger Rechtsprofessor Paul Kirchhof spricht sich in der FAZ gegen eine Vermögenssteuer aus. Unter dem Grundgesetz gebe es einen "Bestandsschutz für den Vermögensstamm". Kirchhof verteidigt zudem den von ihm verantworteten "Halbteilungsgrundsatz", der "als Arbeitshilfe" die Grenze der Angemessenheit des Steuerzugriffs beschreibe. Schließlich plädiert er für eine Bündelung der Gesamtsteuerlast auf wenige Einzelsteuern.

Bußgeldberechnung bei DSGVO-Verstößen: In einem Beitrag für FAZ-Einspruch kritisieren die Rechtsprofessoren Gregor Thüsing und Hans Kudlich das im vergangenen Oktober verabschiedete Konzept der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder zur Bußgeldzumessung. In Verfahren gegen Unternehmen werde maßgeblich auf deren Jahresumsatz abgestellt. Dies sei jedoch europarechtlich falsch und entspreche weder den Zielen des Datenschutzes noch den allgemeinen Prinzipien des Ordnungswidrigkeitenrechts. Aussagekräftiger sei es, stattdessen auf den Gewinn des Unternehmens oder das Schadenspotential des Datenverstoßes abzustellen.

Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Anlässlich der Vorstellung einer Studie, wonach jeder dritte Wohnungssuchende mit Migrationshintergrund schon einmal Diskriminierung erlebt hat, empfehlen der Rechtsprofessor Gregor Thüsing und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sabine Vianden laut FAZ (Hendrik Wieduwilt) eine Nachbesserung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Bislang greift dieses häufig nicht bei der Wohnraumvermietung.  

Justiz

BGH – Cookie-Einwilligung: Der Rechtsanwalt Fabian Seip schreibt auf lto.de ausführlich über die am heutigen Donnerstag stattfindende Verhandlung zu Cookie-Einwilligungen vor dem Bundesgerichtshof. Die Einwilligungserklärung für derartige Dateien, die es Webseiten ermöglichen, einen Browser auf einem bestimmten Endgerät wiederzuerkennen, könnten gegen den Grundgedanken der E-Privacy-Richtlinie verstoßen. Das Kästchen, mit dem die Einwilligung erklärt werden soll, war im konkreten Fall nämlich schon vorangekreuzt.

BAG zur Benachteiligung Schwerbehinderter: Nun schreibt auch community.beck.de (Markus Stoffels) über die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wonach das Oberlandesgericht Köln einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch hätte einladen müssen. Dem Kläger steht nun eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu.

OLG Hamm – Peruanischer Bauer: Das Oberlandesgericht Hamm erwägt laut lto.de im Fall eines peruanischen Bauern, der das Energieunternehmen RWE für durch CO2-Emissionen verursachte Gefahren für sein Haus verantwortlich macht und zur anteiligen Übernahme der Kosten für Schutzmaßnahmen verpflichten will, eine Beweisaufnahme vor Ort.

OLG Frankfurt/M. zu internationaler Zuständigkeit: Einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. zufolge kann ein Fluggast nicht allein deshalb vor einem deutschen Gericht Ersatz für ein nachträglich storniertes Flugticket einklagen, weil er einen Vertrag mit einer ausländischen Gesellschaft über eine deutsche Internetseite geschlossen hat. Der Buchungsvorgang müsse einen Bezug zu einer deutschen Niederlassung haben, so das Gericht laut lto.de.

OLG München – IS-Heimkehrerin Jennifer W.: Im Prozess um ein verdurstetes jesidisches Sklavenmädchen im Irak wollen die Anwälte der 29-jährigen Angeklagten Jennifer W. von der Verteidigung entpflichtet werden. Grund für den Antrag ist ein Verfahren der Staatsanwaltschaft München gegen beide Anwälte wegen des Verdachts einer verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen nach § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch. Nun droht das Verfahren zu platzen. Über die verwickelten Entwicklungen schreiben SZ (Annette Ramelsberger) und die Welt (Gisela Friedrichsen).

OLG Koblenz – Burg Rheinfels: Im Rechtsstreit zwischen dem Chef des Hauses Hohenzollern und der Stadt St. Goar um die Burg Rheinfels haben sich die Parteien außergerichtlich geeinigt. Das Haus Hohenzollern erkennt demnach die Eigentumsrechte der Stadt an der Burg Rheinfels unwiderruflich an. Im Gegenzug arbeitet die Stadt mit einer Stiftung zusammen, die sozial benachteiligte Jugendliche fördert. lto.de berichtet.

VG Hamburg zu autofreier Zone: Das Hamburger Verwaltungsgericht hat laut spiegel.de zwei Eilanträgen gegen die Einrichtung einer autofreien Zone stattgegeben und das Projekt für "mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig" erklärt, da es für die damit verbundenen Eingriffe in die Rechte der Anlieger keine gesetzliche Grundlage gebe.

LG Nürnberg-Fürth zu Absperrkette: Einem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth zufolge müssen Absperrketten am Straßenrand sich deutlich vom Straßenbelag abheben und auch nachts erkennbar sein. Da die fragliche graue Kette bei Dunkelheit nur schwer erkennbar ist hat die Stadt ihre Verkehrssicherheitspflicht verletzt und ist nun einem achtjährigen Jungen gegenüber zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet, wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet.

EGMR – Jahresbericht: Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat seinen Jahresbericht veröffentlicht. Derzeit sind fast 60.000 Beschwerden beim EGMR anhängig, wovon sich etwa 70 Prozent gegen Russland, die Türkei, die Ukraine und Rumänien richten. Zudem kam 2019 erstmals das neue Gutachten-Verfahren zur Anwendung. Deutschland hat jedoch bislang das Zusatzprotokoll nicht ratifiziert, in dem das Gutachten-Verfahren geregelt ist. lto.de stellt den Bericht vor.

Recht in der Welt

USA – Impeachment: Die Zeit (Kerstin Kohlenberg) bringt ein Gespräch mit dem Anwalt von Präsident Trump, Alan Dershowitz, zum Impeachment-Verfahren. Er äußert sich zur aus seiner Sicht zutreffenden Interpretation der maßgeblichen Vorschriften der US-amerikanischen Verfassung. Amtsmissbrauch sei kein Impeachment-Tatbestand, ein solcher könne nur ein Verbrechen sein.

USA – Glyphosat-Vergleich: Das Hbl (Bert Fröndhoff/Katharina Kort) berichtet ausführlich über eine möglicherweise bevorstehende, umfassende Einigung des Bayer-Konzerns mit US-amerikanischen Klägern, die das glyphosathaltige Mittel Roundup für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machen. Mit einem Vergleich könnte Bayer alle bestehenden und vielleicht künftige Klagen in den USA aus der Welt räumen.

Österreich – Mobbing-Prozess: Die Zeit (Jeanne Rubner) nimmt einen Gerichtsprozess vor dem Landesgericht Klagenfurt gegen eine Professorin, der Mobbing vorgeworfen wird, zum Anlass, über Konflikte an Universitäten zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern zu reflektieren.  

Türkei – Asli Erdogan: Die FAZ (Axel Weidemann) schreibt im Medienteil über den Prozess gegen die türkische Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan. Ihr wird "Propaganda für eine illegale Organisation", "Mitgliedschaft bei einer terroristischen Organisation" und "Volksverhetzung" vorgeworfen. Grundlage der Anklage sind einige von ihr veröffentlichte Artikel. Ihr drohen nun bis zu neun Jahre Haft.

Sonstiges

Corona-Virus: Welt (Christine Haas) und spiegel.de (Helene Endes) liefern Gespräche mit Rechtsanwälten, die erläutern, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen das Corona-Virus hat, etwa im Hinblick auf bevorstehende Dienstreisen und vom Arbeitgeber zu treffenden Schutzmaßnahmen.

Künftige Direktorin des MPI für Rechtsgeschichte: Auf verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) findet sich ein Gespräch mit der Rechtsprofessorin und designierten Direktorin des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte, Marietta Auer. Sie äußert sich zu ihrer Studienzeit, zum teils steinigen Weg in die Wissenschaft, dem sich verändernden Gegenstand des Rechts und dem spannungsreichen Verhältnis von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis.

Erfolgreiche Akquise: Auf lto.de gibt Juristin und Coach Carmen Schön fünf Tipps für die Präsentation von Rechtsanwälten, einem zentralen Element der Mandantenakquise.

Geruchsintensiv: Der Richter Thomas Melzer schreibt in der Zeit in der Reihe "Meine Urteile" über "olfaktorische Zumutungen" im Gerichtssaal und über einen Trunkenheitsfahrer, dessen Somnambulismus unter Alkoholeinfluss zur Feststellung der Schuldunfähigkeit und einer Verurteilung wegen Vollrauschs nach § 323a Strafgesetzbuch führte.

Marke "Fridays for Future": Greta Thunberg und ihre Familie versuchen derzeit, sich mit einer Stiftung "Fridays for Future" als Marke beim EU-Amt für geistiges Eigentum (Euipo) schützen zu lassen. Damit soll der Name vor Missbrauch geschützt werden. Mit der Veröffentlichung der Anmeldung hat Euipo grundsätzlich bestätigt, dass die Marke "Fridays for Future" geschützt werden kann. Wenn bis Ende April niemand Einspruch erhebt, könnte der Name zu einer Marke werden. Damit diese jedoch nicht wieder gelöscht wird, muss das Recht an der Marke künftig wirtschaftlich genutzt werden. Es berichten die Zeit (Hannah Knuth/Kolja Rudzio) und die SZ (Philipp Bovermann/Fabian Müller).

 

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lto/jng

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Januar 2020: BVerwG weist Klage gegen Indymedia-Verbot ab / Mietendeckel vor Verabschiedung / Cookies vor dem BGH . In: Legal Tribune Online, 30.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39993/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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