EuGH setzt Arbeit polnischer Richter-Disziplinarkammer aus: Rechts­staat­lich­keit kann "schweren Schaden" erleiden

08.04.2020

Die Justizreformen der polnischen Regierung sorgen seit Jahren für Streit. Die rechtsnationale Regierung in Warschau macht dennoch unbeirrt weiter. Ein wichtiger Teil der Reformen wurde nun vom EuGH vorerst gestoppt.

Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) das gesenkte Ruhestandsalter für Richter am Obersten Gericht im vergangenen Jahr für europarechtswidrig erklärt hatte, äußerte er nun an dem nächsten Gesetz im Rahmen der voranschreitenden polnischen Justizform erhebliche Zweifel. Die Luxemburger Richter gaben am Mittwoch einem Antrag der EU-Kommission auf einstweilige Anordnung statt, sodass die neu errichtete Disziplinarkammer in Polens Justizsystem vorerst ihre Tätigkeit einstellen muss (Beschl. v. 08.04.2020, Rechtssache C-791/19 R). Ein endgültiges Urteil wird der EuGH zu einem späteren Zeitpunkt fällen.

Ungeachtet der internationalen Kritik baut die nationalkonservative PiS-Regierung das Justizwesen Polens seit Jahren um und setzt Richter damit unter Druck. Die Reformen landeten schon mehrfach in Luxemburg. Ausgangspunkt der Entscheidung vom Mittwoch ist ein Gesetz aus dem Dezember 2017, mit dem die PiS die Möglichkeit schuf, Richter durch Disziplinarmaßnahmen in ihrer Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Die EU-Kommission hat als Reaktion darauf bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet.

Durch die Regelung bekam Justizminister Zbigniew Ziobro, der zugleich Generalstaatsanwalt ist, weitgreifende Vollmachten für die Richter-Disziplinierung. Er kann direkt gegen Richter vorgehen oder das durch von ihm ausgewählte Disziplinierungsbeauftragte erledigen lassen.

Besonderer Zankapfel: Die Disziplinarkammer für polnische Richter

Schlüsselelement der von der PiS initiierten Justizreformen stellt die neu eingerichtete, sogenannte Disziplinarkammer dar. In dem Gremium, das im Herbst 2018 seine Arbeit aufnahm, sind bislang zehn der 16 Sitze besetzt, meist mit Juristen und ehemaligen Staatsanwälten aus dem Umfeld von Justizminister Ziobro. Die Disziplinarkammer kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen.

Anfang Dezember 2019 hatte Polens Oberstes Gericht geurteilt, die Kammer erfülle nicht die Anforderungen des europäischen und damit auch nicht die des polnischen Rechts, weil der Landesjustizrat, der über ihre Besetzung entscheidet, nicht unabhängig sei. Der EuGH hatte die Angelegenheit zuvor zurück an die polnische Justiz verwiesen und entschieden, dass diese die Unabhängikeit der Disziplinarkammer selber überprüfen muss.

Hinsichtlich der Disziplinarkammer hatte die EU-Kommission im Januar 2020 separat eine einstweilige Verfügung beim EuGH eingereicht - und bekam nun Recht. Nach dem Beschluss der Luxemburger Richter hat Polen die Anwendung der nationalen Bestimmungen über die Zuständigkeit der Disziplinarkammer unverzüglich auszusetzen.

EuGH: Richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt

Das Vorbringen der EU-Kommission in der Vertragsverletzungsklage, die Disziplinarkammer sei weder unabhängig noch unparteilich, "erscheine auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage", heißt es in der Entscheidung des EuGH vom Mittwoch. Dabei zog der Gerichtshof auch seine Entscheidung aus dem vergangenen Jahr als Auslegungshinweis heran. Im Juni 2019 erklärten die Luxemburger Richter die Herabsetzung des Ruhestandsalters für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre für europarechtswidrig.  

Auch die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderliche Dringlichkeit bejahte der EuGH. Die Aussicht, von einem Organ mit einem Disziplinarverfahren belangt zu werden, dessen Unabhängigkeit nicht gewährleistet sei, könne die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, so der EuGH. Als einer der fundamentalen Werte aus Art. 2  des Vertrags über die Europäische Union (EUV) kann die Rechtsstaatlichkeit dadurch "einen schweren Schaden" erleiden.

Dass die Disziplinarkammer ihre Arbeit nun erst einmal aussetzen muss, sei hinnehmbar, so der EuGH. Sie werde nicht gänzlich aufgelöst, sondern müsse bis zur Verkündung eines Endurteils lediglich ihre Tätigkeit einstellen und die anhängigen Verfahren aussetzen.

In der Zwischenzeit hat die PiS auch schon ein weiteres Gesetz zur Richterdisziplinierung verabschiedet und in Kraft gesetzt, mit dem sie weitere Disziplinarmaßnahmen einführt hat. Es sieht Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung für Richter vor, wenn sie die Entscheidungskompetenz oder Legalität eines anderen Richters, einer Kammer oder  eines Gerichts infrage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen. Dagegen hegt die EU-Kommission ebenfalls Bedenken, hat aber noch kein Verfahren eingeleitet.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

EuGH setzt Arbeit polnischer Richter-Disziplinarkammer aus: Rechtsstaatlichkeit kann "schweren Schaden" erleiden . In: Legal Tribune Online, 08.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41257/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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