Aussagen des BVerfG-Präsidenten provozieren Seehofer: Voßk­uhle sollte "nicht Sprach­po­lizei sein"

26.07.2018

Mit heftigen Worten keilt Bundesinnenminister Horst Seehofer gegen den Präsidenten des BVerfG, Andreas Voßkuhle. Dieser hatte zuvor in einem Interview die zunehmende Justizschelte in der Öffentlichkeit und damit auch die CSU kritisiert.

Es ist durchaus ungewöhnlich, dass sich aktive Richter, noch dazu der amtierende Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), in eine aktuelle politische Diskussion einschalten. Andreas Voßkuhle, Präsident und Vorsitzender Richter des Zweiten Senats am BVerfG, sah sich eben dazu aber nun offenbar genötigt. Dabei griff er vor allem eine fortschreitende Diskreditierung der Justiz in der öffentlichen Diskussion, auch durch ranghohe Politiker, an.

In einem Interview mit Ferdos Forudastan und Wolfgang Janisch in der Süddeutschen Zeitung (Donnerstag) kritisierte er so z. B. den von Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer verwendeten Begriff "Herrschaft des Unrechts". "Bei allem Verständnis für politische Zuspitzung, eine solche Rhetorik halte ich für inakzeptabel. Sie möchte Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat wecken, die völlig abwegig sind", so Voßkuhle. Auch mit dem von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in Umlauf gebrachten Begriff "Anti-Abschiebeindustrie", könne er nichts anfangen: "Wer rechtsstaatliche Garantien in Anspruch nimmt, muss sich dafür nicht beschimpfen lassen." Gleichwohl gehörten solche Zuspitzungen zum Diskurs dazu, betonte er.

Am späten Donnerstag-Nachmittag gab es dann die Retourkutsche des CSU-Vorsitzenden und Bundesinnenministers:  Der "Präsident eines solchen Gerichts" sollte "nicht Sprachpolizei sein", sagte Seehofer der Süddeutschen Zeitung. "Ich habe hohe Achtung vor dem Bundesverfassungsgericht. Es hat durch kluge Urteile über Jahrzehnte auch zur Stabilisierung des Rechtsstaats beigetragen. Aber die jüngste Kritik von Herrn Voßkuhle halte ich für unangemessen, weil der Präsident eines solchen Gerichts nicht Sprachpolizei sein sollte", so der CSU-Vorsitzende. Seehofer weiter: "Die Unterstellung, ich hätte mit dieser Rhetorik Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat wecken wollen, halte ich für nicht akzeptabel."

Voßkuhle hatte sich zuvor im Interview mit der Süddeutschen Zeitung unter Verweis auf eine unklare Sachlage nicht zum Fall von Sami A. geäußert. Im Fall der umstrittenen Abschiebung des Tunesiers könnten die von Voßkuhle angesprochenen rechtsstaatlichen Garantien allerdings von Behörden bewusst unterlaufen worden sein. In den Knochen steckt dem Gerichtspräsidenten dagegen noch der Fall des Bürgermeisters von Wetzlar, der - trotz entgegenstehender Entscheidung des BVerfG - der NPD den Zugang zu seiner Stadthalle verweigert hatte: "Solchen Tendenzen ist unmissverständlich Einhalt zu gebieten" stellte er klar. Allgemein seien gerichtliche Entscheidungen, ganz gleich, woher sie kämen, von Behörden umzusetzen. Alles andere sei ein Verstoß gegen das "rechtsstaatliche Versprechen, das wir uns gegenseitig in der Bundesrepublik gegeben haben".

Seehofers "geringe Faktenkenntnis"

Es sei zwar normal, dass im Angesicht von Problemen wie Terrorismus oder großen Migrationsbewegungen auch das Recht hinterfragt werde. In solchen "Stresstests" gelange der Rechtsstaat unter Druck, so Voßkuhle. Doch auch das sei "notwendiger Bestandteil einer lebendigen Rechtskultur".

Der Diskurs über den Rechtsstaat, gerade im Zusammenhang mit der Migrationsfrage, ist in den Augen des Verfassungsrichters aber zur Zeit vor allem bestimmt von "gefühltem Recht" und jenen, die eine Meinung haben, aber wenig Ahnung. Dies stärkt seiner Meinung nach den Populismus, der die Grundannahmen der liberalen Demokratie untergrabe. "Populistische Politiker gehen von einem homogenen Volk aus und geben vor, genau zu wissen, was dieses Volk will", so Voßkuhle. "Sie sehen sich selbst als unmittelbare Repräsentanten des Volkes. Wer sie kritisiert, ist daher ein Feind des Volkes und muss bekämpft werden. Das ist dann schnell jeder, der nicht der Mehrheitspartei zugehörig ist."

Mit Diskurs sei solchen Leuten kaum beizukommen, erst recht nicht mit den Mitteln des Rechts. Denn die liberale Demokratie lebe von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren könne. Man müsse den Menschen vielmehr zeigen, dass nur in einem offenen demokratischen Diskurs Mitsprache möglich sei.

Doch dazu ist auch Verständnis nötig, nicht zuletzt von Seiten jener, die die Diskussion bestimmen. "Geringe Faktenkenntnis" warf Voßkuhle unter anderem jenen vor, die für eine Zurückweisung von Migranten an der Grenze plädierten - eine weitere Spitze in Richtung Seehofer. Wer behaupte, das dies die Lösung sei, mache es sich zu einfach. "Man muss daher mit einfachen Formeln sehr vorsichtig sein - also mit pauschalen Aussagen darüber, was zulässig ist und was nicht."

Ende der Halbgötter in schwarz und rot

Das liegt in den Augen Voßkuhles auch an der Komplexität des Rechts, vor allem im Migrationsbereich. Hier überlagerten sich einfachrechtliche Vorschriften, Grundgesetz und Europarecht, was viele nicht mehr recht durchblicken ließe. Die derzeit "schrille" Diskussion um den Rechtsstaat sei der Komplexität des Themas jedenfalls nicht angemessen. Im Übrigen ist es seiner Meinung nach auch falsch, die Gerichte in dieser Sache am Zug zu sehen. Es sei "keine Frage des Rechtsstaats, ob man es schafft, eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage zu formulieren. Das ist eine Frage der Politik!"

Doch generell, so ist im Gespräch herauszulesen, sieht der BVerfG-Präsident das Recht gut gerüstet für die anstehenden Herausforderungen - wenn die Menschen denn einen besseren Zugang dazu fänden. Hier sieht er die Justiz selbst gefordert: "Die Justiz muss ihre Urteile, aber auch ihre Arbeitsweise besser erläutern. Denn das Recht erklärt sich nicht von selbst." Lobend erwähnte er in diesem Zusammenhang auch die Romane des Juristen Ferdinand von Schirach. Diese zeigten "auf eingängige Weise, wie vermeintlich einfache Rechtsfragen mit großen anderen Fragen verbunden sind - Schuld, Sühne, Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe, Hass."

Es sei ein kultureller Wandel nötig, Bürgerinnen und Bürger nähmen autoritative Entscheidungen nicht mehr klaglos hin. Ohne Transparenz und Selbstkritik, so sieht Voßkuhle das, kann der Rechtsstaat in Zukunft nicht mehr bestehen. Nicht nur die Zeit der Ärzte als "Halbgötter in weiß" sei vorbei, das gelte "auch für die Halbgötter in Schwarz oder in Rot".

hs/mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Aussagen des BVerfG-Präsidenten provozieren Seehofer: Voßkuhle sollte "nicht Sprachpolizei sein" . In: Legal Tribune Online, 26.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30003/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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