Geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes: Wie scharf darf der Bund bremsen?

12.04.2021

Keine Bund-Länder-Runden bis tief in die Nacht, stattdessen ein Bundesgesetz: Überall in Deutschland sollen die gleichen Regeln für die sogenannte Corona-Notbremse gelten. Wie weit darf der Bund dabei rechtlich gehen?

Die Politik ringt unter Hochdruck um eine Regelung für die bundesweite Corona-Notbremse. Die Bundesregierung will die Neuregelung bereits am Dienstag dieser Woche beschließen. Damit sollen einheitliche Regeln für Regionen mit hohen Corona-Zahlen festgeschrieben werden. Doch noch gibt es erhebliche Widerstände von Ländern, Kommunen, Bundestagsopposition und Verbänden. Die Infektionszahlen schnellen derweil nach oben. Die 7-Tage-Inzidenz stieg auf 136,2 im Bundesdurchschnitt und damit auf den höchsten Wert seit zwölf Wochen. Mehr Ansteckungen pro 100.000 Einwohner und sieben Tagen gab es laut Robert Koch-Institut (RKI) zuletzt erst am 16. Januar.

Es geht bei der Corona-Notbremse um eine ganz zentrale Frage: Was passiert, wenn in Landkreisen die Sieben-Tage-Inzidenz auf mehr als 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner steigt? In der Formulierungshilfe des Bundes, über die am Wochenende etwas durchgesickert war, sind für diesen Fall mehrere Maßnahmen vorgeschlagen, die aktuell mehr als die Hälfte aller Landkreise umsetzen müssten.

Gestattet wären danach beispielsweise private Treffen nur noch eines Haushaltes mit einer weiteren Person - ohne Kinder insgesamt maximal fünf Personen. Vorgesehen sind zudem nächtliche Ausgangsbeschränkungen von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr, mit nur wenigen Ausnahmen, etwa medizinische Notfälle oder Wege zur Arbeit, nicht aber Abendspaziergänge. Besonders umstritten dabei: Erst ab einer Inzidenz von 200 sollen die Schulen schließen. Ob die Formulierungshilfe so umgesetzt wird, muss sich noch zeigen.

Bund hat konkurrierende Gesetzgebungskompetenz

Während schon heftig um den Inhalt der Regelungen gestritten wird, ist auch noch unsicher, was überhaupt rechtlich zulässig ist. Das Kabinett würde die einheitlichen Regelungen nämlich gerne im Eiltempo durch das Gesetzgebungsverfahren bringen. Soll das Vorhaben also wie geplant schneller als üblich durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden, braucht es dazu auch die Bundestagsopposition. Das sogenannte beschleunigte Verfahren müsste nämlich mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. "Ich bin hoffnungsvoll, und es liegt jetzt an der Opposition, ob sie das Verfahren beschleunigt", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Sonntagabend im ZDF. Auch sein nordrhein-westfälischer Kollege, der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, wünschte sich in der ARD, dass es schnell geht. "Denn die (Infektions-)Zahlen sind absehbar und die hängen nicht von Beratungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat ab."

Während die Opposition die Maßnahmen scharf kritisiert, sieht der Berliner Staatsrechtler Prof. Dr. Ulrich Battis zumindest in dem Vorgehen der Bundesregierung keine rechtlichen Probleme. "Die Kompetenz des Bundes, diese Fragen im Infektionsschutzgesetz zu klären, ist rechtlich völlig unproblematisch", sagte er der Augsburger Allgemeinen. Alles was in der Formulierungshilfe vorgesehen wird, sei mit der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 Nr. 19 Grundgesetz (GG) gerechtfertigt. Danach darf der Bund Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen treffen.

Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) hat an die Abgeordneten appelliert, möglichst schnell über die Initiative des Kabinetts zu entscheiden. Auf die Zustimmung des Bundesrats will Brinkhaus eigenen Angaben zufolge nicht setzen. Die Umsetzung bundesweit einheitlicher Regelungen sei demnach nur als Einspruchsgesetz gedacht. "Es ist kein Gesetz, so wie wir es vorhaben, wo der Bundesrat auch zustimmen muss", erklärte der Fraktionsvorsitzende. Ob das so stimmen kann, ist aber innerhalb der Koalition selbst schon heftig umstritten.

Sind Ausgangbeschränkungen das mildeste Mittel?

Insgesamt gibt es gegen die einzelnen Maßnahmen in dem Entwurf deutliche Kritik und Nachbesserungsforderungen. Während Landespolitiker vor einer Entmachtung der Länder warnen, halten Oppositionsfraktionen insbesondere die geplanten Ausgangsbeschränkungen für problematisch. "Die konkret jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen sind verfassungsrechtlich fragwürdig und teilweise epidemiologisch noch nicht einmal wirksam", sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner am Montag im Deutschlandfunk.

Es gehe in Wahrheit darum, Ansammlungen von Menschen, Wohnungspartys und anderes zu unterbinden. Dafür könne man aber keine generelle Ausgangssperre verhängen. Da gebe es mildere Mittel, so der FDP-Politiker. Zugleich kritisierte er, dass sich der Entwurf des Bundes vor allem an der Inzidenz und nicht auch an anderen Parametern orientiere.

Neben der Novelle des Infektionsschutzgesetzes werde das Kabinett am Dienstag voraussichtlich die Arbeitsschutzverordnung mit einer Pflicht für Testangebote in Unternehmen passieren lassen, bekräftigte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. Die Unternehmen müssten dann die Tests bezahlen. Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sehen vor, dass alle Mitarbeiter, die nicht im Homeoffice sind, das Recht auf einen Corona-Test pro Woche bekommen. Verdi-Chef Frank Werneke kritisierte unter Verweis auf eine Umfrage im Auftrag der Regierung, in der Wirtschaft verweigerten mehr als 40 Prozent aller Arbeitgeber ihren Beschäftigten Testangebote. Außerdem müssten Homeoffice und das Tragen medizinischer Masken am Arbeitsplatz vorgeschrieben werden, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Battis: In die Bildungshoheit der Länder darf eingegriffen werden

Auch beim Thema Schulen gibt es Dissens. Während Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verlangte, der Bund solle sich hier heraushalten, forderte Göring-Eckardt dagegen eine Verschärfung. Bereits ab 100 wöchentlichen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einem Landkreis müsse es Wechselunterricht geben und die Kitas müssten auf Notbetreuung umstellen.

Dass der Bund überhaupt in die Bildungshoheit der Länder eingreifen kann, erklärte Staatsrechtler Battis mit dem Vorliegen einer Pandemielage von nationaler Tragweite. "Zwar ist die Schule grundsätzlich Ländersache, doch hier überschneiden sich organisatorische Fragen wie die Bedingungen für den Präsenzunterricht mit der Pandemiebekämpfung", sagt er der Augsburger Allgemeinen. Der Bund greife nicht inhaltlich in Lehrpläne oder die Bildungspolitik ein, sondern regele, wie man mit möglichen Infektionsquellen umgeht. Auch das sei von Art. 74 GG gedeckt.

Kritik gibt es auch an der alleinigen Orientierung an dem Inzidenzwert 100. "Als Auslöser für massive Freiheitseinschränkungen ist eine schwankende Zahl, die auch nur politisch gegriffen ist, nicht geeignet", sagte Lindner. Kretschmer forderte, als zusätzlichen Faktor die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems dazuzunehmen. "Das ist aus meiner Sicht eine zwingende Voraussetzung für Akzeptanz in der Bevölkerung."

IfSG ein Fall für das BVerfG?

Bedenken äußerte auch der frühere Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Jens Gnisa. "Der Bund schießt deutlich über alle Verhältnismäßigkeitsgrenzen hinaus", schrieb der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld auf Facebook. Es gehe bei den Vorschlägen nicht mehr um einen Brücken-Lockdown von zwei oder drei Wochen, sondern um einen "nicht mehr einzufangenden Dauerlockdown". Tatsächlich sollen die Regelungen nach dem Entwurf wieder gelockert werden, wenn die Inzidenz in einem Landkreis drei Tage lang unter 100 liegt.

Sollte sich die Politik schlussendlich auf ein geändertes IfSG geeinigt haben, erwartet Staatsrechtler Battis eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. "Die einzelnen Maßnahmen können vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden, aber soweit sie jetzt im Bundesgesetz geregelt sind, würden sie nun ein Fall für das Bundesverfassungsgericht."

dpa/mgö/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes: Wie scharf darf der Bund bremsen? . In: Legal Tribune Online, 12.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44701/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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