Wie erkennbar muss Satire sein?: Böh­m­er­manns Sati­re­kon­zept in Gefahr

von Dr. Felix W. Zimmermann

28.01.2024

Journalist Stefan Aust hat das ZDF erfolgreich wegen eines falschen Fotos verklagt. Das Urteil torpediert Böhmermanns Satire-Konzept des Spiels mit Unsicherheit. Nun wird neu verhandelt. Felix W. Zimmermann plädiert für ein anderes Urteil. 

Im März 2015 präsentierte der damalige ARD-Moderator Günther Jauch am Sonntagabend ein heikles Video. Zu sehen war der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der während einer Rede den Mittelfinger in Richtung "Deutschland" zeigte. Gast Varoufakis bezeichnete das Video als Fake.

Wenig später bestätigte der Satiriker Jan Böhmermann seine These. Sein Team vom Neo Magazin Royale habe das Video manipuliert. Gleichzeitig präsentierte Böhmermann ein Making-of der Manipulation mitsamt einem Schauspieler im Greenscreen-Anzug. Varoufakis war begeistert und verlangte von Jauch eine Entschuldigung. Doch später entpuppte sich die ganze Geschichte als Fake-Fake. Die Manipulation war inszeniert, Varoufakis hatte tatsächlich den Stinkefinger gezeigt. 

Fake-Fake des Neo Magazin RoyalEin solches Spiel mit der Wahrheit gehört spätestens seit 2015 zum Satirekonzept Böhmermann. Wo der Authentizitätsanspruch seiner Aussagen endet und die Satire beginnt, bleibt häufig offen. Der Satiriker spielt oft mit einem Zwischenbereich des Ungefähren, Ungewissen und Unverbindlichen. Die sich daraus ergebenden Gedankenspiele "Stimmt das oder stimmt das nicht?" machen für viele Zuschauer und Zuhörer einen besonderen Reiz aus.

Diese Methode wendet Böhmermann auch im Podcast "Fest und Flauschig" mit Olli Schulz an, wenn er vermeintliche Dinge aus seinem Privatleben erzählt, bei denen unklar bleibt, ob und inwiefern dies wahr sind. Dort ist der klare Unterhaltungscharakter ersichtlich. Im ZDF Magazin Royale, mit seinem Anspruch neben Satire auch seriösen Investigativjournalismus zu bieten, ist die Methode Böhmermann allerdings nicht unproblematisch.

"Die Lindner-Lehfeldt-Bande"

Ein Beispiel für dieses Spiel mit der Unsicherheit ist die ZDF Magazin Royale-Sendung vom 25. November 2023. In den Wochen vor der Sendung hatten Politiker und Medien die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" mit der Terrororganisation der Rote Armee Fraktion (RAF) verglichen. Sie nannten sie "Klima-RAF" oder "grüne RAF". Die RAF war seit den 70er Jahren für mehr als 30 Morde in Deutschland verantwortlich. 

Um diesen Vergleich als grotesk zu kritisieren, zeigte Böhmermann in der Sendung Bilder von Aktivisten, die ein Kunstwerk mit Kartoffelbrei bewerfen. Dies kontrastierte er etwa mit einer Szene aus dem Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" von 2008, in der eine Frau eine Maschinenpistole aus einem Kinderwagen holt und einen Anschlag verübt. 

Fiktives Fahndungsplakat mit falschem Aust-Bild, Quelle ZDFDer satirische Clou der Sendung war der Versuch von Böhmermann, mit einer Hyperbel die Absurdität des RAF-Vergleichs zu verdeutlichen. Er behauptete mit absichtlich schwachen und konstruierten Argumenten, dass eigentlich die FDP die neue RAF sei. Dazu präsentierte er ein fiktives Fahndungsplakat mit der Überschrift "Linksradikale Gewalttäter – Die Lindner-Lehfeldt-Bande". Auf dem Plakat waren Politiker, Journalisten und weitere Prominente mit ihren Namen und Geburtsdaten zu sehen. Doch nicht das Fahndungsplakat an sich, sondern eine Lappalie sollte für Böhmermann und das ZDF zu einer gerichtlichen Niederlage führen. Eine Niederlage, die das zentrale Satireelement des Spiels mit Wahrheit infrage stellt.   

 

Aust geht wegen falschem Bild gerichtlich vor                    

Auf dem Plakat dargestellt war auch der heutige Chefredakteur der "WELT N24"-Gruppe, Stefan Aust. Er wurde in den 70er Jahren als Journalist bekannt durch seine Berichterstattung über den RAF-Komplex und verfasste 1985 das später verfilmte Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex". Während die Redaktion auf dem Fahndungsplakat alle anderen Personen mit ihrem tatsächlichen Personenbild zeigte, machte sie bei Aust eine Ausnahme. Stattdessen war ein Foto des Schauspielers Volker Bruch aus dem Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" von 2008 zu sehen, in dem dieser Stefan Aust verkörpert. 

Das falsche Aust-Bild zeigt Schauspieler Bruch, Quelle ZDFDas Foto zeigte Böhmermann – neben tatsächlichen Bildern von Aust – auch auf dem Bildschirm hinter sich. Aust dürfte auf der Liste gelandet sein, weil er im Interview mit dem eigenen Sender "Welt" Parallelen zwischen der Entstehung der RAF und der Letzten Generation gezogen hatte. Die Wahl des Bildes von Volker Bruch könnte neben der hierdurch hergestellten Verknüpfung zum RAF-Film auch mit dessen Verspottung der Corona-Maßnahmen in der Aktion #allesdichtmachen zusammenhängen. Die Aktion wurde von Böhmermann scharf kritisiert.

 

ZDF: Zur Satire gehört stets das Risiko des Fehlverständnisses 

Stefan Aust sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und ging gerichtlich, vertreten durch Prinz Rechtsanwälte (Rechtsanwältin Lena von Ruffin), gegen den Beitrag vor. Er begründete den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht damit, dass das Fahndungsplakat ihn in seinem Persönlichkeitsrecht verletze. Vielmehr störte er sich an dem falschen Bild von ihm. 

Das ZDF, vertreten durch Redeker Sellner Dahs (Rechtsanwalt Dr. Christian Mensching), argumentierte hingegen, dass das Fahndungsplakat insgesamt keine authentische Darstellung beanspruche. Das Plakat sei eine einheitliche satirische Gesamtkonzeption mit mehreren Ebenen. 

Dem Bild von Volker Bruch komme dabei eine eigenständige Bedeutung zu, da es eine Verbindung zwischen dem Fahndungsplakat und den im Beitrag gezeigten Filmszenen aus "Der Baader Meinhof Komplex" herstelle. Die satirische Verfremdung werde damit gesteigert, da so auf die Rolle von Aust als Chronist der ersten Generation der RAF, die Verfilmung des Buchs mit seiner Person und die damit verschwimmenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion Bezug genommen werde. 

Insgesamt handele es sich nur um die satirische Einkleidung, die im Gegensatz zum Aussagekern der Satire nicht mit dem Maßstab der Wahrheit zu messen sei. Auch sei der Satire das Risiko immanent, dass sie nicht immer erkannt oder auch falsch verstanden werde.

Hamburger Zivilgerichte: Falsches Aust-Bild ist keine Satire

Aust siegreich mit Prinz Rechtsanwälten picture alliance/dpa | Marcus BrandtDas Landgericht (LG) Hamburg gab jedoch Aust recht und untersagte die Verbreitung des Bildes mit Austs Namen (Beschl. 03.01.2023, bestätigt durch Urt. v. 17.03.2023, Az. 324 O 513/22). Der Beitrag enthalte die unwahre Behauptung, die abgebildete Person sei Stefan Aust. Das Satireargument ließ das LG nicht gelten: Die satirisch geschützte Übertreibung liege darin, dass die Personen auf dem Plakat in Wirklichkeit keine "linksradikalen Gewalttäter" sind. Die Übertreibung liege hingegen nicht darin, dass die Namen nicht zu den Portraits passen. Dies widerspreche vielmehr der Logik des Plakats, so das LG. Kurzum: Personen satirisch zur Fahndung auszuschreiben, kann erlaubt sein, dann müssen aber auch Fotos und Namen übereinstimmen. 

 

Das ZDF legte Berufung beim Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) ein, auch mit dem Argument, es sei aufgrund der Satirefreiheit irrelevant, ob das LG es für logischer halte, wenn das Bild tatsächlich Stefan Aust zeigen würde. Doch auch vor dem OLG unterlag der Mainzer Sender (Urteil vom 12.09.2023 (Az. 7 U 15/23)). Der Gesamtkontext spreche dafür, dass Zuschauer davon ausgingen, dass Namen und Personenbilder auf dem Fahndungsplakat zueinanderpassen. Denn dies wäre überall außer bei Aust der Fall. Auch solle das Plakat gerade an frühere RAF-Fahndungsplakate erinnern, auf denen ebenfalls richtige Bilder, Namen und Geburtsdaten verwendet worden seien, so das OLG.

Das OLG betont, dass Zuschauer auch bei einer Satire bestimmte Aussagen für wahr halten. Die Motivation, satirisch handeln zu wollen, sei unerheblich, wenn sie nicht erkennbar sei. Der 7. Zivilsenat argumentiert dabei auch mit der Gefahr der Verfälschung des freien Meinungsbildungsprozesses, wenn Zuschauer eine Aussage als wahr ansehen, die aber tatsächlich falsch ist. Die für die Satire typische Verfremdung bzw. die satirische Einkleidung müsse erkennbar sein, damit der Zuschauer diese richtig einordnen könne. 

ZDF sieht Böhmermanns Satirekonzept gefährdet

Mit der Entscheidung des OLG ist der Instanzenzug im einstweiligen Rechtsschutz zwar abgeschlossen. Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof (BGH) gibt es hier nicht. Doch das ZDF hat von Aust die Führung des Hauptsacheverfahrens verlangt, weswegen der Rechtsstreit nun wieder durch die Instanzen geht. So will das ZDF erreichen, dass nach LG und OLG Hamburg der Bundesgerichtshof (BGH) oder das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Sinne des Senders über die Rechtmäßigkeit entscheidet.  

Das ZDF erklärte gegenüber LTO, warum der Sender weiterkämpft: Der Rechtsstreit werfe grundsätzliche Fragen zur Erkennbarkeit satirischer Stilmittel und zur Persönlichkeitsrelevanz satirischer Darstellungen auf, die für die Gestaltungsmöglichkeiten jeglicher Satire von Bedeutung seien. Damit ist klar: Der Mainzer Sender sieht Böhmermanns Satire-Konzept gefährdet und befürchtet wohl auch für weitere Satiresendungen des ZDF wie die heute-show oder die Anstalt negative Auswirkungen.

Auch die Gegenseite in Person von Stefan Austs Anwältin Lena von Ruffin ist vom grundsätzlichen Charakter der Entscheidung überzeugt. Sie sagt gegenüber LTO, ihre Kanzlei vertrete immer wieder Mandanten, die sich durch das ZDF Magazin Royale in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen. Sie hoffe, dass "der Praxis des Magazins durch die Rechtsprechung der Hamburger Gerichte künftig Einhalt geboten wird". 

In der Tat geht es bei dem Rechtsstreit um mehr als nur ein falsches Porträt. Die Hamburger Gerichte verlangen die Erkennbarkeit von realitätsverzerrender Satire, und zwar ohne Wenn und Aber. Diese Rechtsauffassung torpediert das Satire-Konzept von Böhmermann und anderen Satirikern, in gewissen Bereichen mit Ungewissheiten des Publikums durch nur möglicherweise wahre Tatsachenbehauptungen zu spielen.

Kernvorwürfe müssen auch bei Satire stimmen

Allerdings beansprucht das ZDF Magazin Royale für sich, investigativ-journalistisch zu sein, was von den Zuschauern regelmäßig auch so wahrgenommen wird. Daher sollte und kann das Schlagwort "Satire" im Bereich der Kernvorwürfe keine Ausrede für irreführende Tatsachenbehauptungen sein. Die Zuschauer erwarten korrekte Informationen zu den Hauptvorwürfen der Sendung. Indizien und Beweise, die für einen Missstand präsentiert werden, müssen korrekt sein. 

Es ist daher zu Recht ständige Rechtsprechung, dass der Aussagekern von Satire zutreffend sein muss. Verzerrte Darstellungen der Realität im journalistischen Kernbereich können zu erheblichen Irrtümern und Fehleinschätzungen seitens der Zuschauer führen. Daher ist es wichtig für die Zuschauer und ihre freie Meinungsbildung, hier erkennen zu können, ob Aussagen real oder satirisch gemeint sind, wie das OLG zu Recht festhält. 

Doch gilt die Anforderung der Erkennbarkeit von Satire auch für Aussagen, die abseits der Kernvorwürfe einen Satirebericht ausschmücken, also etwa Randbemerkungen und Darstellungen wie das falsche Aust-Bild? Das BVerfG kassierte vor einigen Jahren einen Beschluss, weil ein Gericht einen Beitrag nicht als Ganzes gewürdigt und Aussagen verboten hatte, die nicht den Schwerpunkt eines Artikels bildeten. Es handele sich bei den Aussagen nur um "Kolorit am Rande" mit rein "illustrierender Bedeutung" (BVerfG Beschl. v. 8.12.2011, 1 BvR 927/08). In diesem Fall ging es zwar nicht um falsche Tatsachenbehauptungen, sondern um die Privatsphäre. Doch der Beschluss zeigt, dass das BVerfG sogar bei einem Boulevardbericht Gesamtbetrachtungen verlangt. Das sezierende Vorgehen der Hamburger Zivilgerichte, sich auf eine vermeintliche Einzelaussage in einem Satirefeuerwerk zu fokussieren, könnte damit nicht in Einklang stehen. 

Unabhängig von dieser Rechtsprechung sollte es bei der Rechtmäßigkeitsprüfung einen Unterschied machen, ob eine beanstandete Aussage zentraler Bestandteil einer satirischen Kritik oder bloße Ausmalung ist. Denn die Erwartung geht bei ZDF Magazin Royale nicht dahin, dass die Informationen im Randbereich unbedingt zutreffen. Die Zuschauer sind in der Lage, zwischen dem Hauptvorwurf, von dessen Wahrheitsunterstellung sie ausgehen, und begleitenden Ausschmückungen, die hierauf keinen Bezug nehmen, zu unterscheiden.

Wahrheitserwartung beim Aust-Bild?

Das falsche Aust-Bild betraf weder die Kernthese der Sendung, noch wurde es als Beleg oder Indiz für einen Missstand präsentiert. Den auf dem Plakat abgebildeten Personen wird auch nichts vorgeworfen, sondern die Satire soll ja gerade aufzeigen, wie willkürlich und konstruiert RAF-Vergleiche sein können. Entsprechend geht die Erwartungshaltung der Zuschauer auch nicht dahin, dass die auf dem Plakat genannten weiteren Informationen sicher wahr sind.

Für eine Wahrheitserwartung spricht auch nicht die Argumentation der Hamburger Gerichte, dass bei allen anderen Personen das Bild zum Namen passe, was bei Aust zu einem Irrtum des Betrachters führe. Dies ist ein arg formeller Ansatz. Erstens wissen die Zuschauer gar nicht, dass überall sonst Name und Bild übereinstimmen, da der durchschnittliche verständige Zuschauer nicht alle Personen auf dem Bild kennt. Einige der dort Abgebildeten haben allenfalls geringen Prominentenstatus. 

Vor allem aber ist es ein Stilelement in Satire und Kunst, von einer konsistenten Darstellung abzuweichen und auch subversiv mit Erwartungen zu brechen. Die Hamburger Gerichte berücksichtigen insoweit das dem Publikum bekannte Böhmermann’sche Spiel mit Unsicherheit und die Kunstfreiheit nicht.

Die Zuschauer wissen, dass die Sendung immer für versteckte Überraschungen und Verwirrspiele mit doppelter und dreifacher Ebene gut ist. Daher betrachten sie das Fahndungsplakat als fiktives Gesamtprodukt, das nicht nur offensichtlich kein behördlicher Aufruf ist, sondern in dem jede Aussage in Zweifel zu ziehen ist. Dafür spricht nicht zuletzt, dass auf dem Fahndungsplakat auch nach einem Pferd gesucht wurde. Selbst wenn dieses namentlich richtig benannt ist, zeigt die Absurdität der Suche nach einem Pferd, dass das Plakat insgesamt nicht ernstgemeint sein kann und für logische Brüche offen ist. Auch daher gibt es im Hinblick auf das Aust-Bild keine klare Richtigkeitserwartung der Zuschauer.    

Plädoyer für eine Abwägung bei "möglicher Tatsachenbehauptung"

Die pauschale Herangehensweise der Hamburger Gerichte, das falsche Aust-Bild in einer Satiresendung zu verbieten, als wäre es in einem Nachrichtenformat aufgetaucht, überzeugt daher nicht. Wenn die Gerichte das Bild ohne jede weitere Abwägung untersagen, verkennen sie nicht nur Bedeutung und Tragweite der Meinungs- und der Kunstfreiheit, sondern auch die Methode Böhmermann.

Das falsche Aust-Bild ist – anders als das ZDF meint – keine klar erkennbare satirische Einkleidung, aber eben auch keine klare Tatsachenbehauptung – wie Aust und die Hamburger Gerichte meinen.

Es handelt sich vielmehr um eine wesenseigene Kategorie der "möglichen Tatsachenbehauptung" vor. Wenn Zuschauer eine Aussage nur für möglicherweise wahr halten, belastet dies den Betroffenen weniger als wenn Zuschauer von der Wahrhaftigkeit einer Aussage überzeugt sind. Daher muss bei möglichen Tatsachenbehauptungen in einem Satireformat ein anderer Prüfungsmaßstab gelten, als bei klaren Tatsachenbehauptungen, die wegen Unwahrheit ohne Abwägung verboten werden können. 

Im Bereich dieses ungewissen Authentizitätsanspruchs sollte, wie häufig bei Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, eine Abwägung darüber entscheiden, ob die Aussage rechtswidrig ist. Die Abwägung sollte aufgrund der nicht eindeutigen Erkennbarkeit der Satire für die Medien strenger sein als bei eindeutig satirischer Einkleidung. Die "mögliche Tatsachenbehauptung" sollte auch im Satirekontext nur dann zulässig sein, wenn die Meinungs- und Kunstfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht deutlich überwiegen.  

Meinungs- und Kunstfreiheit überwiegen im Fall Aust 

Im Fall des falschen Aust-Bildes überwiegen Meinungs- und Kunstfreiheit deutlich. Es bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer relevanten Verfälschung des Meinungsbildungsprozesses. Konkret: Betrachter, die annehmen oder für möglich halten, es handele sich auf dem Bild tatsächlich um Stefan Aust, werden weder auf Stefan Aust noch auf die Gesellschaft anders blicken als diejenigen, die auf dem Bild Volker Bruch erkannt haben.

Stefan Aust 1982, picture-alliance / dpa | Cornelia GusDie Persönlichkeitsrechte von Aust sind durch das falsche Bild nur marginal berührt. Das Bild zeigt einen adretten Mann, dem jungen Aust nicht unähnlich. Außerdem taucht das Bild nur in einem satirischen Fernsehbeitrag auf. Es ist also – anders als etwa bei einem Wikipedia-Eintrag über Aust – nicht zu befürchten, dass das Foto zukünftig als authentisches Aust-Bildnis in die Geschichte eingehen wird. Würde sich das Bild ohne den Satirekontext verbreiten, wäre es Aust dann immer noch möglich, hiergegen vorzugehen.

Auf der anderen Seite spricht der vom ZDF genannte Aspekt, dass das Bild die Funktion hat, auf die verschwimmenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu verweisen, dafür, dass das Bild nicht nur der Meinungs-, sondern auch der Kunstfreiheit unterfällt. Spätestens dieser Aspekt lässt die Abwägung eindeutig zu Gunsten der Rechtmäßigkeit ausfallen. Für die Einschlägigkeit der Kunstfreiheit spricht auch, dass durch die Verbindung von Bruchs Bild mit Austs Namen in sublimer Form zwei Personen gleichzeitig Gegenstand einer satirischen Auseinandersetzung werden.

Karlsruhe urteilte zuletzt satirefreundlich

Ein Gang nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof (BGH) und später zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) könnte sich für das ZDF aber auch abseits dieser Thesen (siehe Zusammenfassung unten) lohnen. 

Der BGH hat bereits in der Vergangenheit Satire-Rechtsprechung aus Hamburg zu einer ZDF-Sendung aufgehoben. Damals ging es um Fäden an einer Leinwand in einer Sendung "Die Anstalt" aus dem Jahre 2014, die Verbindungen zwischen Personen und Institutionen aufzeigen sollten. Hier vertraten LG und OLG Hamburg die Auffassung, dass derartige Verbindungen auch tatsächlich zutreffend sein müssen

Die Linien stimmten nicht ganz, trotzdem gewann das ZDFEine überzeugende Einschätzung der Hamburger Gerichte, da der Hauptvorwurf der Sendung gerade in den Verstrickungen bestand, womit sich auch der Authentizitätsanspruch hierauf erstrecken sollte (Siehe Thesen, Punkt 1). Doch der BGH gab selbst hier der Satire Vorrang. Er entschied, dass aufgrund der Vielzahl der satirischen Eindrücke und des Gesamtzusammenhangs der Sendung die falschen Fäden völlig in den Hintergrund treten. Konkrete Aussagen zu Verstrickungen würden daher gar nicht getätigt. Diese Rechtsprechung könnte auch auf die falsche Zuordnung zwischen Aust-Namen auf dem Plakat und dem Bild von Volker Bruch übertragen werden. 

Soll zu verzerrt gewesen seinIm allerdings schon 19 Jahre zurückliegenden Verfahren des ehemaligen Telekom-Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer zeigte sich das BVerfG allerdings überaus strikt. Allein der Umstand, dass Sommers Kopf nicht maßstabsgetreu und leicht verzerrt auf einer Fotomontage abgebildet wurde, reichte dem BVerfG zur Stattgabe der Verfassungsbeschwerde, da der Irrtum entstünde, dass die Person in Wirklichkeit so aussieht (Beschl. v. 14.02.2005, 1 BvR 240/04). Allerdings stellte das BVerfG dort entscheidend darauf ab, dass für den Betrachter keine Anhaltspunkte für eine Manipulation vorhanden seien. Beim Böhmermann'schen Fahndungsplakat wimmelt es hingegen nur so vor Anhaltspunkten für Manipulationen.

Echter Aust auf Plakat wäre rechtlich möglich

Bevor Karlsruhe am Zug ist, müssen jedoch zunächst die Hamburger Zivilgerichte im Hauptsacheverfahren mit erwartbarem Ausgang erneut urteilen. Am 2. Februar treffen sich die Parteien zunächst vor dem LG Hamburg wieder (Az. 324 O 99/23). Bis der BGH oder gar das BVerfG sich mit dem Rechtsstreit beschäftigen, wird es also noch dauern. 

In der Zwischenzeit darf das ZDF den falschen Aust auf dem Plakat weiter nicht verbreiten. In der Sendung auf YouTube sind die Szenen geblurrt*. Allerdings hätte der Mainzer Sender den Beitrag auch so überarbeiten können, dass das Bild von Volker Bruch auf dem Fahndungsplakat mit einem echten Bild von Stefan Aust ausgetauscht wird. Nach dem Urteil des Hamburger Zivilgerichte wäre das zulässig. Ob Stefan Aust eine solche Überarbeitung gefallen würde, kann bezweifelt werden. 

Die Thesen zusammengefasst lauten:

  • In einer Satiresendung gibt es – über klar erkennbare Satire hinausgehend – Raum für ein Spiel mit der Unsicherheit des Publikums und nur "mögliche Tatsachenbehauptungen". Dieser Spielraum gilt jedoch nur abseits der Kernvorwürfe und politisch-relevanten Meinungsbildungsprozesse. Gerade für das ZDF Magazin Royale als Hybrid zwischen Satire und Investigativformat ist entscheidend, dass die kritisierten Missstände und Kernvorwürfe tatsächlich zutreffen. Das erwarten auch die Zuschauer. Im Randbereich gehen sie hingegen regelmäßig nicht davon aus, dass alle Informationen stimmen, sondern halten die Aussagen nicht für klare, sondern nur für "mögliche Tatsachenbehauptungen". 
  • Wenn Zuschauer eine Aussage nur für möglicherweise wahr halten, belastet dies den Betroffenen weniger als wenn Zuschauer von der Wahrhaftigkeit einer Aussage überzeugt sind. Daher sollte bei möglichen Tatsachenbehauptungen in einem Satireformat ein anderer Prüfungsmaßstab gelten, als bei klaren Tatsachenbehauptungen, die wegen Unwahrheit ohne Abwägung verboten werden können. 
  • Ob eine aus Sicht der Zuschauer "mögliche Tatsachenbehauptung" im unterhaltenden Randbereich rechtswidrig ist, ist im Rahmen einer Abwägung zu entscheiden. Wegen der nicht eindeutig erkennbaren Satire gilt insofern ein strenger Maßstab. Die Meinungs- und Kunstfreiheit muss gegenüber dem Persönlichkeitsrecht deutlich überwiegen.
  • Mit dem falschen Aust-Bild werden in der Sendung keinerlei Vorwürfe verknüpft. Mit dem Kernvorwurf der Sendung hat das Bild nichts zu tun. Es ist Ausschmückung und Satire am Rande, bei der die Zuschauer im Kontext eines absurden Fahndungsplakats im Ungewissen über den Authentizitätsanspruch gelassen werden. Statt striktem Verbot wegen "Unwahrheit" entscheidet daher eine Abwägung über die Rechtmäßigkeit. 
  • In der Abwägung überwiegt im Fall des falschen Aust-Bildes die Meinungs- und Kunstfreiheit deutlich. Eine gesteigerte Persönlichkeitsrelevanz aufgrund des falschen Bildes ist nicht erkennbar, auf der anderen Seite ist sogar die Kunstfreiheit einschlägig.

* Artikelversion vom 29.1.23, 10:00 Uhr. Zuvor hieß es die Szenen mit Aust seien "herausgeschnitten" worden. Richtig ist, dass sie "geblurrt" wurden.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Wie erkennbar muss Satire sein?: Böhmermanns Satirekonzept in Gefahr . In: Legal Tribune Online, 28.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53740/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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