Entwicklung im US-Recht: Sex unter öff­ent­li­cher Kon­trolle

von Martin Rath

11.12.2016

2/2: Team Gina-Lisa, bitte übernehmen Sie (nicht)

Die von Gersen und Suk vielfältig dargestellten Versuche, die rechtlich gebilligte Sexualität statt ex negativo im Strafrecht nunmehr in einem besonderen Verwaltungsrecht zu regeln, verdienen unsere Aufmerksamkeit nicht allein, weil auch hierzulande US-amerikanische Begriffe fleißig weitergereicht werden. Im Fall der "consent"-Konzepte sogar, ohne auf die nicht ganz unwesentliche Verlagerung vom Straf- ins Verwaltungsrecht zu achten.

Nein, denn vielmehr sind manche der von Gersen und Suk kritisierten juristischen Konzepte so bizarr, dass sie gut ins Team Gina-Lisa & Manuela Schwesig passen würden: Im Rahmen der gesetzlich vorgebebenen Aufklärungs- und Präventionsarbeit verweist das US-Recht zum Beispiel nicht zuletzt auf die Methodik des öffentlichen Gesundheits- und Seuchenkontrollwesens. Ebenso wie das Gesundheitsamt Armut und schlechte Wohnverhältnisse als Umfeld für erhöhte Infektionsrisiken zu identifizieren hat,  sollen auch die Risikofaktoren für sexuelle Gewalt beziehungsweise Übergriffigkeit ermittelt werden. Gersen und Suk zitieren aus den Vorgaben der Seuchenkontrollbehörden für Sexualgefahren:

"Individual risk factors include alcohol use, early sexual initiation, coercive sexual fantasies, preferences for impersonal sex and sexual risktaking, exposure to sexually explicit media, adherence to traditional gender role norms, and hyper-masculinity." Zu den weiteren, über-individuellen "risk factors" zählen die US-Gesundheitsbehörden unter anderem Arbeitslosigkeit oder Vorstellungen patriarchaler Männlichkeit.

Da den staatlich finanzierten Bildungseinrichtungen obliegt, Risikoanalysen für ihren jeweiligen Betrieb zu erstellen und Personal wie Studierende aufzuklären, fragen Gersen und Suk, ob nun Studentinnen und Studenten vor schwarzen oder Latino-Männern zu warnen seien, um die bizarren Ausmaße ad absurdum zu führen.

Begriffs- und Statistik-Verwirrungen

In ihrem Beitrag stellen Jacob Gersen und Jeannie Suk auch dar, was in einer Rechtsordnung geschieht, die darauf verzichtet, in den sprachlich strikten Formen des Strafrechts zu formulieren und in den fairen Abläufen des Strafprozesses zu sanktionieren, was der Gesellschaft an Sexualität missfällt.
Die Verschiebung vom Strafrecht in die Verwaltungspraxis führt zu bizarren Begriffsverschiebungen, die hierzulande teils auch noch bejubelt werden.

So subsumiert manche Hochschule, wenn auch nur mit der harmlosen Konsequenz der öffentlichen Bloßstellung, des Tadels oder des Ausschlusses vom Lehrbetrieb, abfällige Äußerungen über körperliche Eigenschaften eines anderen Menschen in der gleichen Rubrik sexueller Übergriffigkeit wie sie es vor zehn, zwanzig Jahren mit gewaltsamer Penetration getan hätte.

Entsprechend entstehen dabei Statistiken zur sexuellen Gewalt, die vermutlich selbst einem Reiner Wendt, der zartesten Seele unter Deutschlands Polizeigewerkschaftsführern, zu unseriös wären.

Der "consent": Neoliberale Ehe auf Zeit?

Zu guter Letzt besteht die Gefahr, dass selbst die akademisch formulierte Kritik an diesen bürokratischen Routinen von den Hochschul-Bürokratien als Ausdruck sexuellen Übergriffs gebrandmarkt wird. Auch dazu ist es in den USA schon gekommen.

Gersen und Suk haben, soweit erkennbar, bisher aber eher freundliche Kritik erfahren. Die "Reflections on the Sex Bureaucracy" von Melissa Murray und Karen Tani beispielsweise, zwei Jura-Professorinnen in Berkeley, können hier zwar nicht mehr referiert werden. Ein erfrischender Gedanke soll aber nicht vorenthalten bleiben: Die ausgeuferten Anforderungen an den consent könnten, folgt man Murray und Tani, gleichsam als Ersatz für jene klassische Eheschließung betrachtet werden, die nach hergebrachtem Common Law die förmliche Voraussetzung für jede legale sexuelle Aktivität gewesen sei.

Mit dem consent folge das Recht zudem einer neoliberalen Wertschätzung von Verträgen. Den etwas faden Scherz vom Notar, der noch vor der flüchtigsten Beiwohnung zu konsultieren sei, las man hierzulande im Verlauf der jüngsten Maas'schen Sexualstrafrechtsreform häufiger.

Diese Perspektive war den Harvard-Professoren Jacob Gersen und Jeannie Suk vermutlich verbaut. Sie sind miteinander verheiratet.

Wer die genannten Aufsätze selbst lesen möchte:

>> Jacob Gersen & Jeannie Suk << 

>> Melissa Murray & Karen Tani <<

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Entwicklung im US-Recht: Sex unter öffentlicher Kontrolle . In: Legal Tribune Online, 11.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21415/ (abgerufen am: 30.04.2024 )

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