Zur Wühlarbeit nicht nur beim Verfassungsschutz: Maul­wurf – ein Nutz­tier der offenen Gesell­schaft?

von Martin Rath

05.04.2024

Vertreter des Staats- und Verfassungsschutzrechts greifen notorisch auf eine Metaphorik des "Untergrabens" oder der feindlichen "Wühlarbeit" zurück, manchmal sogar der Gesetzgeber selbst. Nicht zu unterschätzen: der Wert des Maulwurfs.

Thomas Haldewang (1960–), seit 2018 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, äußerte sich unlängst mit einem Meinungsartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Vorwürfen gegen das Amt. Die lauten, es entwickle sich zu einer "Gesinnungspolizei", "Sprachpolizei" oder mache sich zu einer Einrichtung des "Regierungsschutzes" – Begriffe, die Haldewang den Kritikern oder Verächtern seiner Behörde heute nicht mehr nur, dahingehaucht, von den Lippen lesen muss. Sein Beitrag unter dem Titel "Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Verfassungsfeinde" zog einige Aufmerksamkeit auf sich.

Einerseits ist es selten, dass sich Leiter von Bundesbehörden in dieser Weise überhaupt in der Öffentlichkeit äußern. Es regte auch die unvorteilhafte Entscheidung, diese letztlich politische Apologie des Verfassungsschutzes hinter der Bezahlschranke eines privatwirtschaftlichen Mediums zu verstecken, dazu an, die Aussagen Haldewangs nur selektiv zu zitieren.

Andererseits entstand der Eindruck, dass Haldewang sich nicht auf der Höhe der teils sehr profunden Kritik an seiner Behörde bewegt, wie sie jüngst etwa vom früheren SPD-Politiker, gelernten Philosophen und aktiven Journalisten Mathias Brodkorb (1977–) vorgelegt wurde.

Gesetz kennt das Verbot des Untergrabens

Es soll nun an dieser Stelle nicht darum gehen, die Kritik Brodkorbs zu rekapitulieren oder Haldewangs Ausführungen zur Tätigkeit seiner Behörde beispielsweise grundrechtsdogmatisch zu analysieren – beides hier zu leisten, hieße, das Konzept der "wehrhaften Demokratie" aus einer liberalen Perspektive auseinanderzuschrauben, um zu schauen, ob das alles überhaupt noch zusammenpasst.

Nachgegangen werden soll hier vielmehr nur einer Aussage aus Haldewangs Artikel, die besondere, ja nostalgische Gefühle weckt: Der Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz erklärte nämlich, dass an sich zulässige Kritik und demokratischer Protest "in extremistische Agitation umschlagen" könnten. Dabei attestierte er seiner Behörde das intellektuelle Vermögen, amtlich festzustellen, wann solche Akte "systematischer Delegitimierung staatlichen Handelns" die "Grundfesten unserer demokratischen Ordnung erschüttern sollen und so den Boden für unfriedliche und gewalttätige Aktivitäten bereiten können".

Sprechen wir im Weiteren einmal nur über diesen Rückgriff auf Metaphern des Fundaments ("erschütterte Grundfesten") und des zwecks giftiger Aussaat bewirtschafteten "Bodens".

Es handelt sich bei solchen Ausdrücken nicht, jedenfalls nicht ausschließlich, um die poetische Sprache eines Nachrichtendienstes, der ja schon von Mantel-und-Degen-Prosa und Thriller-Literatur umweht ist – Beiträge dazu, die Existenz von Geheimdiensten in der Öffentlichkeit zu begründen. Auch der Gesetzgeber greift gelegentlich auf diese Semantik zurück.

So heißt es in § 89 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) nach wie vor:

"Wer auf Angehörige der Bundeswehr oder eines öffentlichen Sicherheitsorgans planmäßig einwirkt, um deren pflichtmäßige Bereitschaft zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder der verfassungsmäßigen Ordnung zu untergraben, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Das ältere politische Strafrecht sah vom Akt des Untergrabens die Bundesrepublik Deutschland nicht allein in Gestalt moralisch schwankender Bundeswehr-, Polizei- und Geheimdienstleute bedroht, sondern gleich ihre ganze Bürgerschaft.

So verbot § 93 StGB a.F. seit 1951, "ohne behördliche Genehmigung zum Zwecke der Verbreitung Schriften, Schallaufnahmen, Abbildungen oder Darstellungen" einzuführen, "durch deren Inhalt Bestrebungen herbeigeführt oder gefördert werden sollen, die darauf gerichtet sind, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder einen der in § 88 StGB a.F. bezeichneten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben".

Justiz kannte auch den Begriff der "Wühlarbeit"

Was konkret mit dem Verb "untergraben" bezeichnet wird, ist fraglich. Nach der älteren Rechtsprechung und Kommentarliteratur sollte dazu etwa schon die Behauptung genügen, die politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik Deutschland hielten sich selbst nicht an die Verfassungsgrundsätze. Damit könnte man heute das Internet abschalten.

Dem historischen Gesetzgeber ging es sichtlich nicht darum, allzu genau zu bestimmen, was der Begriff "untergraben" bezeichnen sollte. Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) erklärte beispielsweise am 14. September 1950 vor dem Bundestag, es gehe seiner Regierung generell darum, die "Wühlarbeit des Kommunismus in der Bundesrepublik energisch zu unterbinden".

Thomas Dehler (1897–1967), einst Bundesminister der Justiz (FDP), behauptete vor dem Hintergrund des Koreakriegs zum neuen politischen Strafrecht, aus der DDR werde "mit allen Mitteln der Propaganda, der Wühlarbeit, der Zersetzung der Bundesrepublik gearbeitet, um sie zu Fall zu bringen. Ich glaube, wir können da nicht tatenlos zusehen. Der Kampfruf ist ja nicht: Hannibal ante portas!, sondern das Trojanische Pferd ist in unserer Mitte, und wir müssen uns dagegen zur Wehr setzen."

Die Metapher von der "Wühlarbeit" des innenpolitischen Feindes blieb nicht auf die politische Rhetorik beschränkt – bis Ende der 1960er Jahre findet sie sich auch in einer Reihe von Entscheidungen, insbesondere des Bundesgerichtshofs (BGH).

In einem Urteil vom 23. Januar 1957 bezeichnete der BGH etwa die Tätigkeit des Angeklagten im Rahmen der "Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft" als Akte "seiner gegen die Bundesrepublik gerichteten Wühlarbeit" (Az. 6 StR 75/56).

Ein vergleichsweise sehr feinsinniges Abwägen zu dem Problem, wo die Grenze zwischen der Ausübung der Meinungsfreiheit, Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG), und einem Untergraben jenes Vertrauens vorliege, das die westdeutschen Staatsorgane unbezweifelt für sich beanspruchen dürften, bietet das Urteil des BGH vom 21. Februar 1962 (Az. IV ZR 191/61): Die Klägerin hatte grundsätzlich Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG), weil sie als Kommunistin im NS-Staat verfolgt worden war, u.a. das KZ Ravensbrück überlebte. Gestritten wurde um die Frage, ob sie diesen Anspruch wieder verloren hatte, weil sie, wohnhaft in Berlin-Spandau, im Dienst diverser DDR-Organisationen "Wühlarbeit" im Geist des nun kommunistischen Unrechtsstaates geleistet hatte. Dazu genügten dem BGH in diesem Fall bereits einfache Tatsachenverdrehungen, wie die Behauptung, die Berliner Wasserwerke seien mit der Wasserversorgung nicht nachgekommen.

Immerhin hatte die "Wühlarbeit" gegen die Bundesrepublik oder doch die NATO-Staaten gerichtet zu sein, womit iranische Studenten aus Köln, die wegen Literaturbeschaffung in der DDR und ihrer Zugehörigkeit zur kommunistischen Tudeh-Partei Persiens der Wühlarbeit verdächtigt wurden, aus dem Schneider waren (BGH, Urt. v. 25.07.1963, Az. 3 StR 64/62). Diese Entscheidung war wichtig, weil nicht wenige Gastarbeiter mit kommunistischen Parteien in der Heimat im Bunde standen (historischer Radio-Kommentar). 

Wurden Feinde der Republik damit zu Ungeziefer erklärt?

Die Metaphern vom "Untergraben", erst recht von der "Wühlarbeit", sind in der politischen Rhetorik selten geworden. Sowohl in der nationalsozialistischen als auch in der stalinistischen Propaganda war die Herabwürdigung von Menschen als "parasitäres Ungeziefer" zu weit verbreitet, als dass diese Wortwahl im parlamentarischen Sprachgebrauch nahtlos hätte fortgesetzt werden können. So sprach etwa der FDP-Abgeordnete August-Martin Euler (1903–1966), vormals Justiziar der IG Farben und Angehöriger der Waffen-SS, im Jahr 1950 dezent von der positiven Haltung seiner Partei gegenüber dem neuen Staatsschutzrecht, das gegen die "mit Mitteln des kollektiven Terrors und der planmäßigen Irreführung betriebene Verfassungsstörung, die auf Furchterregung abgestellte Unterwühlung des rechtsstaatlichen Lebens" strafrechtlich vorgehen solle.

In der einschlägigen Rechtsprechung traten – schön entfaltet im genannten BGH-Urteil vom 21. Februar 1962 – zwar bereits in den 1960er Jahren alle Wertungsprobleme zutage, die bis heute daraus resultieren, dass eine im Kern liberale Verfassung mit dem Konstrukt einer "wehrhaften Demokratie" zusammenzuzwingen versucht wird. Aber auf die bis 1945 übliche "Ungeziefer"-Rhetorik, die völlige Entgrenzung von Feind- hin zu Vernichtungserklärungen, wurde im freieren Teil Deutschlands immerhin schon weitgehend verzichtet.

Maulwurf – ein Anzeigertier der intellektuellen Adoleszenz

Paradox mag dabei wirken, dass die "Wühlarbeit" während der vergangenen rund 200 Jahre in der politischen und intellektuellen Metaphorik Deutschlands durchaus auch positiv besetzt war – jedenfalls, soweit sie mit dem Maulwurf zusammenhing. Der Literaturwissenschaftler Karlheinz Stierle (1936–) hat 1982 im "Archiv für Begriffsgeschichte" einen großartigen "Versuch zu einer Metapherngeschichte" des Maulwurfs vorgelegt.

Um aus der reichen Fülle der Belege bei Stierle in fast unwürdiger Kürze zu referieren: Es findet sich bei Immanuel Kant (1724–1804), der deutschen Juristinnen und Juristen bestenfalls als Urheber grandioser, wenn auch nur höchst selten zur Nachahmung zu empfehlender Schachtelsätze, schlimmstenfalls als bloßer Stichwortgeber zur "Objektformel" in der Auslegung von Artikel 1 Abs. 1 GG bekannt ist, der Hinweis auf eine Philosophie, deren Beruf es sei, "den Boden zu jenem majestätischen sittlichen Gebäude eben und baufest zu machen", der von den Maulwurfsgängen einer "vergeblich, aber mit guter Zuversicht grabenden Vernunft" durchzogen sei.

Die antike Literatur schrieb Maulwürfen zu, ganze Städte untergraben, zum Einsturz bringen zu können. Seine Blindheit und Verborgenheit machten ihn Leonardo da Vinci (1452–1519) zum "Emblem der Lüge": "Der Maulwurf hat sehr kleine Augen und wohnt immer unter der Erde; und solange lebt er, als er verborgen bleibt; sobald er aber ans Licht kommt, stirbt er gleich, weil er sich offenbart: so die Lüge."

Mit Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770–1831) begann, etwas selektiv angelehnt an ein Wort aus Shakespeares "Hamlet", in dem der Maulwurf als tapferer Minenarbeiter gelobt wird, eine positive Wendung der Maulwurfmetaphorik in Deutschland. Stierle: "Der Maulwurf des Weltgeists ist der Maulwurf, der im Gegebenen der Diskurse den Gang durch die Diskurse treibt, er ist Bewegung und zugleich festgewordene Spur dieser Bewegung."

Bei Karl Marx (1818–1883) und in der kommunistischen Bewegung taucht ein Hegel’scher Maulwurf auf, der aus der Summe des Verborgenen die verheißungsvolle Revolution bewirken hilft. Der konservative Jacob Burckhardt (1818–1897) schreibt diesem wühlenden Geist nur zu, neue Lebensformen zu erlauben, die den Keim ihres Untergangs auch schon wieder in sich tragen. Bei Arthur Schopenhauer (1788–1860) ist der Maulwurf eine elende Kreatur, die frei von Freude auf ihre bloß eigene biologische Reproduktion zustrebt. Und für den notorischen Franz Kafka (1883–1924) geht die Wühlarbeit so weit, die menschliche Psyche als in sich, in den Erdengrund gekehrten Turm zu Babel zu denken.

Ausgang aus diesem Maulwurfgang

Wer glaubt, selbst Wühlarbeit zu leisten, sollte sich allein davor fürchten müssen, dass ein Immanuel Kant des Weges kömmt, um aus seinem gefährlichen Maulwurfsnest voll unsteten Vernunftgebrauchs sicheren Baugrund zu machen. Und wer sich vor jenen fürchtet, die sich selbst mit der Behauptung wichtig machen, sie leisteten Wühlarbeit – etwa den Scheinriesen vom Ziegenhof Schnellroda –, findet bei Kafka das böse Bild vom Maulwurf, der verzweifelt auf einer befestigten Straße liegt, ohne dass ihm gelingt, sich in den Boden zurückzuziehen.

Wem das alles aber viel zu poetisch ist, findet sogar in der Rechtsprechung und politischen Rhetorik der 1950er und 1960er Jahre einen ausdifferenzierten Umgang mit der Wühlarbeit bzw. der Furcht vor ihr – viel klüger als das meiste, was heute in den Druck oder online geht.

Literatur: Mathias Brodkorb: "Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik". Springe (Verlag zu Klampen) 2024. Karlheinz Stierle: "Der Maulwurf im Bildfeld. Versuch zu einer Metapherngeschichte". Archiv für Begriffsgeschichte 26 (1982), S. 101–143 (JSTOR). Ulrich Enzensberger: "Parasiten. Ein Sachbuch". Frankfurt/Main (Eichborn) 2001. Daniel Damler: "Rechtsästhetik. Sinnliche Analogien im juristischen Denken". Berlin (Duncker & Humblot) 2016.

Zitiervorschlag

Zur Wühlarbeit nicht nur beim Verfassungsschutz: Maulwurf – ein Nutztier der offenen Gesellschaft? . In: Legal Tribune Online, 05.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54262/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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