VG Berlin: Han­dy­aus­wer­tung bei Asyl­su­chender unzu­lässig

von Antonetta Stephany

21.06.2021

Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, kann aufgefordert werden, sein Handy zu übergeben. Das BAMF liest die Daten dann aus, um sie im Asylverfahren zu verwenden. Das geht aber nicht so ohne Weiteres, hat nun das VG Berlin klargestellt.

Schöpft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorher nicht mildere Mittel aus, ist es nicht befugt, Asylsuchende zur Preisgabe ihrer Handyzugangsdaten zu verpflichten, um deren Handys auszuwerten und die erlangten Daten der Entscheidung über den Asylantrag zugrunde zu legen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin (VG) in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden (Urt. v. 01.06.2021, Az. VG 9 K 135/20 A).

2017 wurde § 15a in das Asylgesetz (AsylG) eingefügt. Diese Regelung räumt dem BAMF die Befugnis ein, Handys, Laptops, Tablets, Computer oder andere Datenträger von Asylbewerbern auszuwerten. Die Daten werden mittels einer bestimmten Software ausgelesen und zu einem sogenannten Ergebnisreport verarbeitet. Dieser wird gespeichert und kann im Asylverfahren verwendet werden.

Dieses Verfahren wird seit Jahren kritisiert und auch als verfassungswidrig bewertet. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die u. a. taktische Prozessführung betreibt, um wesentliche Grundsatzfragen klären zu lassen,  hatte letztlich eine Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragten eingereicht und außerdem in mehreren Fällen vor dem Verwaltungsgericht geklagt. So war es auch vor dem VG Berlin, das nun als erstes einer solchen Klage gegen die beschriebene Praxis stattgab.

VG: Handyauswertung muss mildestes Mittel sein

In dem konkreten Fall ging es um eine 44-Jährige, die 2019 nach Deutschland eingereist war. Sie gab an, afghanische Staatsangehörige zu sein. Einen Pass oder Passersatz konnte sie zwar nicht vorlegen, sie reichte aber bei der Stellung des Asylantrages unter anderem eine afghanische Geburts- und eine Heiratsurkunde ein. Das BAMF forderte sie daraufhin auf, auch ihr Handy zu übergeben und die Zugangsdaten zur Verfügung zu stellen. Die Daten wurden ausgelesen und der Ergebnisreport gespeichert. Erst danach gab das BAMF auch die Überprüfung der eingereichten Urkunden in Auftrag. Im Anschluss wurde der Ergebnisreport von einem Juristen des BAMF für die Verwendung im Asylverfahren freigegeben.

Die 44-Jährige wehrte sich vor Gericht gegen das Auslesen und Auswerten der Daten auf ihrem Handy. Sie sieht darin einen unzulässigen Eingriff in ihre Grundrechte – und bekam nun vor dem VG Berlin recht. Die 9. Kammer entschied, dass sowohl die Anordnung, ihr Handy zur Verfügung zu stellen, als auch das Auslesen, Auswerten und Speichern der Daten rechtswidrig waren.

§ 15a AsylG räume dem BaMF zwar die Befugnis ein, Datenträger auszuwerten, so das VG. Voraussetzung sei aber, dass dies zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden erforderlich sei und das Ziel nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Vorliegend hätte das BAMF nach Auffassung des Gerichts als milderes Mittel zuerst einmal die eingereichten Dokumente prüfen können. Ein Auslesen und Speichern auf Vorrat sei dagegen unzulässig, entschied das VG.

Da die Erhebung der Daten entsprechend rechtswidrig gewesen sei, habe auch der Ergebnisreport nicht verwertet werden dürfen, schloss das Gericht.

GFF: Handyauswertung insgesamt in Frage gestellt

Die GFF begrüßte das Urteil des VG. "Das Verwaltungsgericht bestätigt mit seiner Entscheidung, was wir seit Jahren sagen: Das BAMF verletzt mit seinen Handyauswertungen Grundrechte", so Lea Beckmann, Juristin bei der GFF und Verfahrenskoordinatorin. Die Entscheidung des VG stelle die gesamte Praxis der Handyauswertungen des BaMF in Frage.

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Falls hat das VG die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Zitiervorschlag

VG Berlin: Handyauswertung bei Asylsuchender unzulässig . In: Legal Tribune Online, 21.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45257/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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