EuGH rügt Ungarns Umgang mit Flüchtlingen: Das ist kein EU-Stan­dard

von Tanja Podolski

17.12.2020

Ungarn hat mit seinen Abschottungsmethoden gegen Schutzsuchende mehrfach gegen EU-Recht verstoßen. Selbst ein erhebliches Fluchtaufkommen könne diese Maßnahmen nicht rechtfertigen, so der EuGH. 

Ungarn hat vieles getan, um sich gegen schutzsuchende Menschen auf der Flucht abzuschotten – und mit diesen Maßnahmen gegen EU-Recht verstoßen. So urteilte jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 17.12.2020, Az. C-808/18). So konnten die Menschen dort keine Asylanträge stellen, wurden in Transitzonen auf ungarischem Gebiet inhaftiert und/oder ohne weitere Unterstützung außer Landes an die Grenze verbracht. All das verstößt gegen Regelungen der Europäischen Gemeinschaft zum Schutz von Schutzsuchenden, befanden die Luxemburger Richter.

Ungarn hatte bereits 2015 neue Asylregelungen geschaffen, die in Zuge der anhaltenden Fluchtbewegungen weiter verschärft wurden. Danach kann das Land bei einem starken Zustrom von Schutzsuchenden eine Krisensituation feststellen und daraufhin Maßnahmen zur Unterbringung, zu Asylanträgen und zu Rückführungen treffen. Ungarn hatte beispielsweise Lager an der Grenze zu Serbien geschaffen, von denen aus die Menschen Asylanträge stellen sollten. Den Zugang zu diesen Lagern hat das Land dabei stark begrenzt.

Die EU-Kommission sah in den Maßnahmen Ungarns diverse Verletzungen von EU-Recht, namentlich der Verfahrens-, der Aufnahme- und der Rückführungsrichtlinie. In diesen sind für alle EU-Länder prozessuale und materiell-rechtliche Standards festgelegt, nach denen Menschen Schutz in der EU beantragen können. Ungarn aber habe den Zugang zum Verfahren des internationalen Schutzes eingeschränkt, ein System der allgemeinen Inhaftierung von Personen, die diesen Schutz beantragen, geschaffen und illegal aufhältige Drittstaatsangehörige zwangsweise zu einem Landstreifen an der Grenze gebracht, ohne die in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Garantien zu beachten, so die Kommission.

Sie erhob Vertragsverletzungsklage mit dem Ziel der Feststellung, dass ein erheblicher Teil der einschlägigen ungarischen Regelung gegen Bestimmungen der genannten Richtlinien verstößt.

Keine Rechtfertigung für diese Maßnahmen

Die Große Kammer des EuGH hat der Vertragsverletzungsklage der Kommission nun im Wesentlichen stattgegeben.

Ungarn habe es den Menschen an der ungarisch-serbischen Grenze quasi unmöglich gemacht, einen Schutzantrag zu stellen, indem es den Zugang zu den Transitzonen drastisch beschränkt hat. Damit habe das Land gegen die Richtline zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes verstoßen. 

Der erzwungene Verbleib in diesen Zonen bis zur Entscheidung über den Schutzantrag stelle außerdem eine “Haft” im Sinne der Aufnahmerichtline dar. Solche Inhaftierungen können zwar erlaubt sein, in Ungarns Fall aber gingen sie nach Auffassung der Luxemburger Richter über die im Unionsrecht vorgesehenen Fälle hinaus und hätten die erforderlichen rechtsstaatlichen Garantien nicht vorgesehen. 

Diese Feststellung ist nicht überraschend: Dass derartiger erzwungener Verbleib in den Transitzonen eine Haft darstellt, hatte der EuGH bereits im Mai entschieden (Urt. v. 14.05.2020 Az. C-924/19 PPU und C-925/19 PPU). Selbst die starken Fluchtbewegungen der Menschen könnten ein derartiges Vorgehen Ungarns nicht rechtfertigen, auch nicht mit Blick auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder den Schutz der inneren Sicherheit, auf die Ungarn als Gegenargument verwiesen hatte. 

Ungarn hat viele Rechte missachtet 

Auch mit den Abschiebungen hat Ungarn gegen EU-Recht verstoßen, befand der EuGH. Regelmäßig habe die ungarische Polizei Schutzsuchenden hinter einen Zaun wenige Meter vor der Grenze zu Serbien in einen Landstreifen ohne jegliche Infrastruktur verbracht, also ein Niemandsland, wenn man so will. Einmal dort angekommen, hatten sie keine Alternative mehr dazu, als sich weiter nach Serbien zu begeben. Das EU-Recht sieht aber vor Abschiebungen, wie sie diese Praxis faktisch darstellt, ein rechtsstaatliches Verfahren vor, das Ungarn bei diesem Vorgehen nicht eingehalten habe, wie der EuGH monierte.

Es ist EU-weite Regelung, dass schutzsuchende Menschen Anträge stellen, das Verfahren durchlaufen und ggf. einen Rechtsbehelf gegen die später getroffene Entscheidung einlegen können. Bis zur Entscheidung über diesen und das Rückführungsverfahren dürfen sie im Mitgliedstaat verbleiben. Dieses Recht gem. Art. 46 Abs. 5 der Verfahrensrichtlinie habe Ungarn missachtet, urteilte der EuGH außerdem.

Der Gerichtshof betonte in der Entscheidung zwar, dass Ungarn die beiden Transitzonen auf ein Vorabentscheidungsersuchen eines ungarischen Gerichts inzwischen geschlossen habe. Abstellen musste der EuGH für die Beurteilung der Rechtslage jedoch auf den Zeitpunkt, zu dem nach der Stellungnahme der Kommission die festgestellten Mängel hätten beseitigt worden sein müssen - und das war bereits der 8. Februar 2018.

Zitiervorschlag

EuGH rügt Ungarns Umgang mit Flüchtlingen: Das ist kein EU-Standard . In: Legal Tribune Online, 17.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43768/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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