Kein Heizungsgesetz vor der Sommerpause: Das BVerfG wird über­griffig

Kommentar von Hasso Suliak

06.07.2023

Karlsruhe hat per einstweiliger Anordnung eine Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes noch vor der Sommerpause gestoppt. Eine bemerkenswerte Respektlosigkeit gegenüber dem Verfassungsorgan Deutscher Bundestag.

Als sich am Mittwoch* gegen 21.30 Uhr die Eilmeldung aus Karlsruhe wie ein Lauffeuer verbreitete, war es mit der ausgelassenen Stimmung auf dem Sommerfest der SPD-Bundestagsfraktion, bei dem auch die Spitzen der FDP und Grünen Bundestagsfraktionen zugegen waren, dem Vernehmen nach erst einmal vorbei. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte soeben zu ungewohnt später Stunde einem Eilantrag des ehemaligen Berliner Justizsenators und CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann stattgeben und der geplanten Verabschiedung des seit Monaten heiß diskutierten Heizungsgesetzes (offiziell: "Gebäudeenergiegesetz") noch an diesem Freitag im Bundestag einen Riegel vorgeschoben (Beschl. V. 05. 07. 2023, Az. 2 BvE 4/23). Das Gericht ließ sich von der Argumentation des CDU-MdB überzeugen, dem die zackigen Beratungen eines seit Monaten diskutierten und beratenen Gesetzes zu schnell gingen: "Hunderte Seiten Änderungstexte, die eventuell am Freitagabend gemailt, am Mittwoch im Ausschuss und am Donnerstag abschließend im Plenum beraten werden, haben mit parlamentarischer Demokratie nichts mehr zu tun", klagte Heilmann. 

Die Union, die AfD und wohl auch Teile der FDP reiben sich seit Donnerstagabend nun die Hände. Das BVerfG habe die einzig richtige Entscheidung getroffen, frohlockten die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla, die ansonsten auf das BVerfG eher weniger gut zu sprechen sind. "Der Versuch der Koalitionsfraktionen, ihr unausgegorenes, stümperhaftes und für die Bürger katastrophales Gesetz mit der Brechstange durchzupeitschen, stellt eine grobe Missachtung des Parlaments und seiner Rechte dar. Das ideologisch motivierte Verarmungsgesetz der Koalition müsse jetzt komplett vom Tisch." Unionspolitiker reagierten ähnlich. Der mittlerweile hauptsächlich in den sozialen Medien äußerst aktive frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz fiel in den Duktus mit ein und behauptete auf Twitter, das BVerfG habe festgestellt, die Ampel habe die Beratungsrechte des Bundestags verletzt.  

Gestaltungsspielraum der Parlamentsmehrheit war dem BVerfG einmal mehr wert 

Richtig ist das nicht. Das BVerfG hat in seinem Beschluss mitnichten eine Verletzung der Beteiligungsrechte des Bundestagsabgeordneten aus Art.38 I Grundgesetz (GG) festgestellt. Es hält sie lediglich für nicht ausgeschlossen. Im Übrigen bedürfe es einer näheren - "im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht leistbaren Prüfung" -, ob (!) die Beteiligungsrechte des Antragstellers ohne ausreichenden sachlichen Grund in substantiellem Umfang beeinträchtigt wurden und die durch die Parlamentsmehrheit gewählte Verfahrensgestaltung eine "rechtsmissbräuchliche Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens darstellt". Und auch wenn die behauptete Verletzung der Beteiligungsrechte des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht offensichtlich unbegründet sei, stellte das BVerfG klar: "Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist offen."  

Dass das Gericht nun dennoch im Rahmen seiner Abwägung der Argumentation der Opposition auf den Leim gegangen ist, verwundert stark. Indem es die Beratungen im Bundestag stoppt, greift das Gericht in den Spielraum der Parlamentsmehrheit ein, den es in der Vergangenheit immer gerne als "weiten verfassungsrechtlich garantierten Gestaltungspielraum" besonders geschützt hat. 

Der übergriffige Beschluss vom Donnerstag könnte nun weitreichende Folgen haben: "Will man künftig eine Formel für die verfassungsrechtlich angemessene Beratungszeit vorschreiben? Je nach Zeitpunkt des Inkrafttretens und nach Komplexität? Der Bundestag ist ein Verfassungsorgan", twitterte der Kollege Wolfgang Janisch von der Süddeutschen Zeitung irritiert. 

Hohe Arbeitsbelastung Bundestagsabgeordneten zuzumuten 

In der Tat. Bei ihrer Entscheidung haben fünf der sieben Richterinnen und Richter des Zweiten Senates ihre roten Roben des Respekts gegenüber dem Verfassungsorgan Deutscher Bundestag offenbar an der Garderobe vor dem Beratungszimmer abgegeben. Sie haben sich von der aufgeladenen, von FDP, Union und AfD seit Monaten gegen das Gesetz geschürten Stimmung anstecken lassen. Dass das Gesetz seit Monaten diskutiert wird, es zwei Anhörungen im Bundestag dazu gab und – wenn auch etliche - Änderungsanträge in den beteiligten Ausschüssen behandelt und am Mittwoch ordnungsgemäß von der Mehrheit beschlossen wurden, interessierte sie nicht. Auch nicht, dass all dies – wie das Gericht sogar selbst in seiner Erklärung einräumt – auf Basis der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) geschah. 

A.A. BVerfG stärkt DemokratieDass Bundestagsabgeordnete auch mal in kurzer Zeit umfassende Änderungsanträge prüfen müssen, kommt häufig vor - und ist ihnen auch zuzumuten. Der Steuerzahler hat sie nicht nur mit einer ordentlichen Diät ausgestattet, sondern stellt ihnen auch mehr als 23.000 Euro monatlich für eine Unterstützung durch qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung. Diese sind nicht nur dazu da, Drucksachen in der Ausschussmappe ihres MdB zu sortieren, sondern könnten auch mal Gesetzesvorschläge für den Chef oder die Chefin prüfen. Zu viel verlangt ist das sicher nicht.  

Es bleibt nun zu hoffen, dass das BVerfG im Rahmen seiner Hauptsacheentscheidung zu einer respektvollen Haltung gegenüber dem Verfassungsorgan Deutscher Bundestag zurückfindet und klarstellt, dass auch ein beschleunigtes Gesetzgebungsverfahren – zumal auf Grundlage der GO-BT durchgeführt – legitim ist. Und noch schöner wäre es, wenn das BVerfG ebenfalls deutlich macht, dass Arbeit im Bundestag auch mal mit gehöriger Arbeitsbelastung verbunden sein kann - ohne dass damit gleich eine Verletzung verfassungsrechtlich garantierter Beteiligungsrechte einhergeht.

*Korrigiert am 06.07.2023, 14:15 (Red.) Ursprünglich hieß es hier Donnerstag.

 

Zitiervorschlag

Kein Heizungsgesetz vor der Sommerpause: Das BVerfG wird übergriffig . In: Legal Tribune Online, 06.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52168/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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