Verfassungsrechtliches Gutachten zur Vermögenssteuer: "Soziale Ung­leich­heit könnte demo­k­ra­ti­sche Ord­nung gefährden"

von Hasso Suliak

07.03.2023

Hohe Ungleichheit bei der Vermögensverteilung sowie wachsender Finanzierungsbedarf seitens des Staates: Der DGB fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer – und sieht sich durch ein verfassungsrechtliches Gutachten bestätigt.   

Der Anteil der Armen in Deutschland wächst, gleichzeitig setzt die Schuldenbremse des Grundgesetzes dem Staat Grenzen bei der Finanzierung: Sei es bei der Bekämpfung der Folgen des Ukraine-Krieges, der Klimakrise oder sozialen Vorhaben, wie der aktuelle Streit um die Kindergrundsicherung zeigt. Vor diesem Hintergrund unternehmen die Gewerkschaften jetzt einen neuen Versuch, die Politik von der Einführung einer Abgabe für Vermögende zu überzeugen. 

Bestätigt sehen sie sich durch ein vom Berliner Staatsrechtler Prof Dr. Alexander Thiele ausgearbeitetes verfassungsrechtliches Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Das 44-seitige Elaborat, das LTO vorliegt, kommt zum Ergebnis, dass jedenfalls das Grundgesetz (GG) der Einführung einer Vermögenssteuer nicht im Wege steht. "Im Gegenteil", so Thiele. Das GG nenne in Art. 106 Abs. 2 Nr.1 die Vermögenssteuer explizit als zulässige Steuer und stehe dieser insofern nicht prinzipiell entgegen. Ab welcher Höhe des Vermögens die Steuer greifen soll, sagt Thiele jedoch nicht.

Im Kern, so der Verfassungsrechtler, seien es zwei Gründe, die für eine Einführung sprächen: "Erstens manifestiert sich steuerliche Leistungsfähigkeit nicht nur im Erwerb und der Verwendung von Vermögen, sondern auch im Vermögen selbst. Bisher werden über die Einkommen- und Körperschaft- sowie die Mehrwertsteuer im Kern indes nur die ersten beiden Formen besteuert. Zweitens wäre die Vermögensteuer auch ein Weg, um das Ausmaß sozialer Ungleichheit (wenigstens partiell) zu begrenzen, was auch aus demokratietheoretischer Sicht bedeutend wäre." Denn, so der Staatsrechtler: Eine zu große soziale Ungleichheit könnte zur Gefahr für die demokratische Ordnung darstellen. Thiele konstatiert eine bedenkliche Entwicklung: Nicht nur weltweit, sondern auch in der Bundesrepublik sei im Hinblick auf die Verteilung des Vermögens seit einigen Jahrzehnten eine wachsenden Vermögensungleichheit zu beobachten, die nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie noch einmal beschleunigt worden sei. Belegt werde dies etwa durch Zahlen, die die Nothilfe- und Entwicklungsorganisationen OXFAM Anfang 2023 vorgelegt habe.

BVerfG-Beschluss kein Hindernis

Gegen die Einführung einer Vermögenssteuer spricht laut Thiele auch nicht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1995. Der Zweite Senat des BVerfG hatte seinerzeit festgestellt, dass Bestimmungen des Vermögensteuerrechts, die einheitsbewertetes Vermögen, insbesondere Grundvermögen, steuerlich geringer belasten als das sonstige Vermögen, mit dem Grundgesetz unvereinbar sind (Beschl. v. 22.6.1995, Az. 2 BvL 37/91). Das bis Ende 1996 noch geltende Vermögensteuergesetz verstieß daher gegen den Gleichheitssatz. Eigentlich war der Gesetzgeber auch verpflichtet worden, spätestens bis zum 31. Dezember 1996 eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen – das geschah jedoch nie. Nach überwiegender Ansicht entfalte das verfassungswidrige, aber nicht für nichtig erklärte Gesetz auch heute noch eine Sperrwirkung für die Bundesländer.

Thiele sieht darin kein Problem: "Der Bund könnte jederzeit ein neues Vermögensteuergesetz einführen oder er könnte – als erster Schritt – das bestehende Vermögensteuergesetz formal aufheben, um dadurch den Ländern die Möglichkeit geben, über deren Einführung nachzudenken", erläutert Thiele gegenüber LTO. Die Erträge aus der Vermögensteuer stünden aber in jedem Fall nach der grundgesetzlichen Regelung allein den Ländern zu.

Dem Verfassungsrechtler zufolge geht es gegenwärtig vor allem darum, eine allgemeine politische Debatte zu initiieren und dabei sicherzustellen, dass diese nicht umgehend auf die Verfassungsebene gehoben und dadurch effektiv verhindert wird.

Böckler-Stiftung: "Verfassungsprinzipien verwirklichen"

Thieles Auftraggeber, die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, begrüßte Thieles Ausführungen in einer Presseerklärung am Dienstag. Die Einführung einer Vermögenssteuer sei demnach nicht nur gut begründbar, sie trüge auch zur Verwirklichung grundlegender verfassungsrechtlicher Prinzipien, wie etwa dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 GG, bei.  Dieses liefere nach Thieles Analyse verfassungsrechtlich jedenfalls dann Argumente für eine Besteuerung von Vermögen, wenn die Ungleichheit ein nicht mehr zu rechtfertigendes Ausmaß erreicht habe. Dieser Zeitpunkt sei gegeben:

"In Deutschland ist der Anteil der Armen in der letzten Dekade deutlich gewachsen, gleichzeitig sind die privaten Vermögen im Vergleich zu anderen EU- und OECD-Ländern mit ähnlicher Einkommenssituation besonders ungleich verteilt. Die untere Hälfte der Bevölkerung hat nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung keine nennenswerten Vermögen. Dagegen besitzen die reichsten zehn Prozent rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens, das reichste Prozent der Bevölkerung bis zu 35 Prozent und allein die reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung verfügen über bis zu 20 Prozent. Zudem halten vor allem Reiche jene Vermögensarten, die in den vergangenen Jahren die höchsten Renditen abgeworfen haben, etwa Aktien, Immobilien und Betriebsvermögen."

DGB sieht "keine Doppelbesteuerung"

Laut Böckler-Stiftung würde eine Vermögensteuer zudem dazu beitragen, das Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung, das Prinzip der Leistungsfähigkeit, besser zu verwirklichen. "Gleich Leistungsfähige müssen danach gleich, unterschiedlich Leistungsfähige unterschiedlich besteuert werden." Es liege auf der Hand, dass eine Person, die beispielsweise monatlich 5.000 Euro verdiene, zusätzlich aber ein Vermögen von einer Million Euro besitze, leistungsfähiger sei als jemand, der "nur" 5.000 Euro im Monat verdiene. "Die Einkommensteuer allein bildet diese unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten insofern nicht angemessen ab. Mit Blick auf das Fundamentalprinzip der Leistungsfähigkeit sei es daher auch kein Widerspruch, wenn der Staat sowohl eine progressive Einkommenssteuer als auch eine Vermögenssteuer erhebt."

Dass darin keine unzulässige Doppelbesteuerung liege, meint auch Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB: "Mit der Akkumulation von Gewinnen und Einkommen als Vermögen ist ab einer gewissen Quantität auch eine andere Qualität der wirtschaftlichen Macht und Einflussnahme verbunden. Es wird damit eine eigene maßgebliche ökonomische Stellgröße geschaffen, deren Besteuerung in jeder Hinsicht gerechtfertigt ist. Mit der gleichen Begründung könnte man sonst auch die Umsatzsteuer als grundgesetzwidrig bezeichnen, deren Aufkommen ebenfalls überwiegend aus bereits versteuertem Einkommen erbracht wird", so Körzell gegenüber LTO.

FDP und CDU/CSU: Für Vermögenssteuer kein Anlass

Indes: Auch wenn die (Wieder)Einführung einer Vermögenssteuer rechtlich wohl möglich wäre, eine politische Mehrheit gibt es dafür nicht. Dass SPD, Grüne und Linke dafür sind, reicht nicht. Ampel-Partner FDP stellt sich quer: "Als FDP-Fraktion sind wir vehement gegen die Einführung einer Vermögensteuer oder Vermögensabgabe, da diese mittelständische Unternehmen und den Wohlstand Deutschlands gefährdet sowie schlichtweg unnötig ist", erklärte des stellv. FDP-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Christoph Meyer, gegenüber LTO. Der Staat habe durch erhebliche Steuermehreinnahmen zudem keine Einnahmeproblem, sondern vielmehr ein strukturelles Ausgabenproblem. Bereits jetzt machten die Sozialausgaben über 50 Prozent der Bundesausgaben aus, so der FDP-MdB. "Das schränkt unsere Spielräume für Infrastruktur, Sicherheit, Bildung und Forschung ein."

CDU: "Rekord-Steuereinnahmen reichen"

Ein Einnahmeproblem des Staates sieht auch die finanzpolitische Sprecherin der Union im Bundestag, Antje Tillmann, nicht: "Der Staat verzeichnet wiederholt Rekord-Steuereinnahmen. Im Jahr 2021 nahm Deutschland 833,2 Mrd. EUR ein. Eigentlich müsste es möglich sein, mit diesen Einnahmen auszukommen", so Tillmann. 

Im Übrigen bezweifele auch niemand, dass die Vermögensbesteuerung wieder in Kraft gesetzt werden könnte. Die Länder hätten aber selbst eine Einführung bisher jedoch stets abgelehnt. Nach Auffassung der gelernten Steuerberaterin auch aus guten Gründen: 

"Die Vermögensteuer ist eine besonders bürokratische Steuer. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, haben allein beim Fiskus die Erhebungskosten der Vermögensteuer knapp ein Drittel des Aufkommens verschlungen. Daneben sind die Kosten für Unternehmen und Bürger gewaltig. Zum Beispiel müssten alle Grundstücke zum Erhebungszeitpunkt jeweils neu bewertet werden. Wie aufwändig das ist, sehen wir aktuell bei der Grundsteuer." Außerdem, so die CDU-Politikerin, sei es ein Trugschluss, dass nur Reiche die Vermögensteuer zahlen würden. Schließlich wäre nach allen bekannten Modellen zur Vermögensbesteuerung (z.B. Freibetrag eine Mio. Euro oder fünf Mio. Euro) auch Altersvorsorgevermögen in Form von z.B. Aktien erfasst. "Auch Mietshäuser würden der Vermögensbesteuerung unterliegen. Ziemlich sicher würden Vermieter versuchen, die Mehrbelastung auf die Mieter umzulegen. Damit würden Mieten noch weiter steigen", warnt Tillmann

Für Verfassungsrechtler Thiele ändern diese Vorbehalte allerdings nichts an seiner verfassungsrechtlichen Diagnose: "Die Frage, wie wir mit einer wachsenden Vermögensungleichheit und steuerrechtlicher Belastungsgleichheit angesichts enormer finanzieller Herausforderungen umgehen, ist allerdings auch keine, die umgehend beantwortet werden müsste. Entscheidend ist vor allem, dass diese Frage wieder öffentlich adressiert und damit Gegenstand ernsthafter politischer Debatten wird. Dazu will das Gutachten einen Beitrag leisten."

Das Gutachten "Der grundgesetzliche Rahmen für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer" von Prof. Dr. Alexander Thiele, Professur für Staatstheorie und Öffentliches Recht, insb. Staats- und Europarecht an der Berliner Business & Law School, findet sich hier.
 

Zitiervorschlag

Verfassungsrechtliches Gutachten zur Vermögenssteuer: "Soziale Ungleichheit könnte demokratische Ordnung gefährden" . In: Legal Tribune Online, 07.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51231/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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