BVerfG zu Umgangsrecht eines rechtsradikalen Vaters: Eine Gefahr für die eigenen Kinder

von Jutta Wagner

25.01.2013

Die Mutter ist aus der nationalsozialistischen Szene ausgestiegen. Der Vater ist weiter aktiv. Dazwischen stehen die Kinder. Im Streit um seine Umgangsrechte verlor der Mann vor dem BVerfG, wie nun bekannt wurde. Er wird seine Söhne wohl nicht so bald wiedersehen. Zeit das Wohl des Kindes im Streit zwischen den Eltern in den Mittelpunkt zu rücken, meint Jutta Wagner.

Ein der rechtsradikalen Szene angehörender Mann hat keinen Anspruch darauf, seine Kinder zu sehen, wenn dadurch die Mutter ernsthaft gefährdet werden könnte. Denn das Wohl der Kinder hängt untrennbar mit dem Wohlbefinden der Mutter zusammen. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem nun öffentlich gewordenen Beschluss vom 13. Dezember 2012 (Az. 1 BvR 1766/12).

Die Entscheidung setzt über die Bedeutung für den Einzelfall hinaus ein wichtiges Signal in der nicht enden wollenden Diskussion über die Maßstäbe für gerichtliche Umgangsregelungen.

Mutter distanziert sich von rechtsradikaler Szene

Die Verfassungsbeschwerde hatte eine Frau angestrengt, die sich 2004 von ihrem Mann getrennt hatte. Damals waren beide noch gleichermaßen rechtsradikal aktiv. Die gemeinsamen Kinder leben seither bei ihr, da ihr die elterliche Sorge übertragen wurde. Seit Dezember 2004 hat der Vater die Kinder nicht mehr gesehen. Eine zunächst getroffene Umgangsvereinbarung wurde nicht umgesetzt.

Im Januar 2005 distanzierte sich die Mutter von der rechtsradikalen Szene. Sie nahm an einem Aussteigerprogramm teil, ihr eigener sowie die Namen der Kinder wurden geändert. Aus Sicherheitsgründen wechselte die Frau mehrfach mit den Kindern den Wohnsitz.

Die drei Söhne leiden an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung aus dem autistischen Formenkreis und sind wenig belastbar, wie ein im Rahmen des Verfahrens eingeholtes Sachverständigengutachten feststellte.

OLG ignoriert Warnungen des Verfassungsschutzes

Das Amtsgericht hatte dem Vater im Rahmen des Scheidungsverfahrens noch den Umgang mit seinen Kindern bis Ende 2009 verboten. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden beschloss jedoch, dass er seine Söhne ab Oktober 2012 jeden ersten Samstag im Monat für die Dauer von zwei Stunden begleitet von einem Umgangspfleger an einem von diesem zu bestimmenden Ort sehen sollte (Beschl. v. 23.07.2012, Az. 20 UF 770/08).

Diese Entscheidung nimmt nicht nur keine Rücksicht auf die tiefgreifende Entwicklungsstörung und geringe Belastbarkeit der Kinder, sondern versäumt jegliche Berücksichtigung der Gefahr, der die Mutter bei Bekanntwerden ihrer neuen Identität und ihres aktuellen Wohnsitzes ausgesetzt wäre.

Die Mutter war eine so genannte szeneprominente Person mit einer langjährigen Biografie als Rechtsextremistin. Sie ist nicht still ausgestiegen, sondern hat sich öffentlich zu ihren Ausstiegsmotiven und den Gefahren des Rechtsextremismus geäußert. Ein Bekanntwerden ihres Aufenthalts hätte, wie das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen dem OLG vergeblich nahezubringen versuchte, die Gefahr erheblich erhöht, körperlichem oder seelischem Druck ausgesetzt zu werden. Vor allem spontane Einzelaktionen von Rechtsextremisten, die ein Exempel statuieren wollen, wären zu befürchten gewesen. Die Dresdner Richter ignorierten diese Warnungen genauso wie einen Bericht der Aussteigerorganisation EXIT, der auf entsprechende Einzelfälle verwies.

Das BVerfG rügt diese Missachtung und stellt ebenso prägnant wie zutreffend fest: "Das Wohl der in der Obhut der Mutter aufwachsenden Kinder ist von der körperlichen Unversehrtheit ihrer Mutter abhängig, hinter deren Schutz das Umgangsrecht des Vaters hier zurücktreten muss."

Kindeswohl muss im Mittelpunkt stehen

In den letzten Jahren ist in der rechtspolitischen Diskussion und der Rechtsprechung zum Umgangsrecht vermehrt der Eindruck entstanden, dass bei der Abwägung zwischen dem Recht des nichtbetreuenden Elternteils auf Umgang mit den Kindern und dem Recht der Kinder auf ein Leben ohne Dauerkonflikte und Belastungen stets zu Gunsten des Umgangsrechts zu entscheiden sei.

Es findet kaum eine Auseinandersetzung damit statt, was sich über Jahre hinweg ziehende Rechtsstreitigkeiten einschließlich der inzwischen anscheinend obligatorischen Sachverständigengutachten für Kinder im Alltagsleben bedeuten. Dem BVerfG ist dafür zu danken, dass es klar und deutlich in Erinnerung ruft, wie sehr das Wohl der Kinder vom Wohlbefinden des Elternteils abhängt, bei dem sie leben.

Die Karlsruher Richter gaben dem Dresdner Senat, an den sie die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen, denn auch deutlich auf, weitere kindbezogene Aspekte des Sachverhalts zu berücksichtigen. So sei zu prüfen, ob ein Umgangskontakt nicht möglicherweise das Kindeswohl gefährde, weil die Söhne inzwischen den Umgang mit dem Vater wegen früher erlebter Gewalttätigkeit ablehnten und ihn für böse hielten.

Es ist dringend zu hoffen, dass die Entscheidung des BVerfG dazu beiträgt, Kinder und ihr Recht auf eine unbelastete Kindheit in der rechtspolitischen Diskussion um das Umgangsrecht und vor allem auch in den gerichtlichen Entscheidungen streitiger Fälle wieder dahin zu rücken, wo sie hingehören: in den Mittelpunkt.

Die Autorin Jutta Wagner ist Fachanwältin für Familienrecht und Notarin in Berlin.

Zitiervorschlag

Jutta Wagner, BVerfG zu Umgangsrecht eines rechtsradikalen Vaters: Eine Gefahr für die eigenen Kinder . In: Legal Tribune Online, 25.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8042/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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