LTO liegt unveröffentlichtes Dokument vor: So begründet das BMI das Com­pact-Verbot

Das Magazin Compact werde gezielt als Sprachrohr für verfassungsfeindliche Ziele verwendet. So fasst es die LTO vorliegende, bislang unveröffentlichte Begründung des BMI zusammen. Die Auseinandersetzung mit der Pressefreiheit fällt knapp aus.

Nachdem das Bundesinnenministerium (BMI) am Dienstag das als rechtsextremistisch eingestufte Compact-Magazin verboten hat, ist eine Diskussion um diesen Schritt entbrannt. Absehbar wird das Verbot wohl auch ein Fall für das Bundesverwaltungsgericht. Bislang hat das BMI sein Verbot nur mit einer Pressemitteilung und auf Presseanfragen näher erläutert. Die amtliche Begründung blieb unter Verschluss. Erste Reaktionen von Verfassungsrechtlern – auch gegenüber LTO – melden Zweifel an, ob das Verbot vor dem Hintergrund der Pressefreiheit tragfähig ist.

LTO liegt das 79-seitige interne Dokument mit der Begründung vor. Es war bis zum Vollzug des Verbot als "VS-nur für den Dienstgebrauch" als vertraulich eingestuft. Aus dem Dokument ergibt sich, dass Informationen aus geheimdienstlicher Arbeit des Verfassungsschutzes eingeflossen sind.

Das BMI stützt das Verbot darauf, dass sich das Magazin mit seinen Publikationen gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte, was nach Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 Vereinsgesetz (VereinsG) ein Vereinsverbot ermöglicht. Das Vereinsgesetz sei auf Compact anwendbar, auch wenn es sich um eine GmbH handele, da sich Compact gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. § 17 VereinsG Nr. 1 sieht die Anwendung des VereinsG auf GmbH für diesen Fall auch ausdrücklich vor.

 

Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung 

Verbotsbegründung des BMIAls Beleg für die Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung legt das BMI anhand von zahlreichen Zitaten aus Compact-Beiträgen dar, dass das Magazin ein "völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept" vertritt, indem zwischen in den Beiträgen anhaltend zwischen nur "Passdeutschen" mit Migrationshintergrund und "Biodeutschen" unterschieden werde. Als einen von vielen Belegen führt das BMI eine Aussage des Compact-Chefredakteurs Jürgen Elsässer in einer November-Ausgabe der Sendung "COMPACT.Der Tag" an. Über Grünen-Chef Omid Nouripour sagte er, dieser sei "auch kein Sachse oder kein Schwabe, sondern ich glaub ist Pakistani oder irgendwas".

Compact stelle damit Menschen, die nicht dem rechtsextremen Bild "echter Deutscher" entsprechen, als "Gefähr für die autochthone deutsche Bevölkerung" dar. Damit nähre das Magazin die international verbreitete rechte Verschwörungserzählung eines "Großen Austausches" (Great Exchange). Zu dem Umstand, dass auch nicht-weiße oder aus anderen Gründen als undeutsch angesehene Deutsche das Wahlrecht besitzen, habe das Magazin kommentiert: "Statt zu versuchen, [die "biodeutschen" Wähler] wieder zu überzeugen, greift man zu einem beliebten Mittel von Diktatoren: Sie importieren sich ein neues Volk und neue Wähler."

Schließlich führt das BMI zahlreiche Belege dafür an, dass Compact die antisemitische Erzählung einer globalen jüdischen Finanzelite ("Finanzjudentum") verbreite.

Die Organisation nehme auch "eine aggressiv-kämpferische Haltung" ein, wie es die Rechtsprechung zusätzlich für ein Verbot erfordert. Diese Grundhaltung präge auch der Charakter von Compact, es handele sich also nicht nur um einzelne Entgleisungen. Für die Bejahung einer kämpferisch-aggressiven Haltung genüge es, dass der Verein seine verfassungsfeindlichen Ziele in die Tat umsetzen will, Tätigkeiten mit dem Ziel einer Verwirklichung seiner verfassungsfeindlichen Ziele entfaltet oder die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will. 

Mit Martin Sellner aktiv für "Remigration"

Maßgebend für das BMI ist insofern vor allem, dass Compact auch eine Lösung für das selbsterklärte Problem des "Bevölkerungsaustausches" vorschlage, für den Compact auch den NS-Begriff der "Umvolkung" verwende: die von dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner propagierte "Remigration". Sellner durfte dieses Konzept in einer Videoserie sowie in verschiedenen Textbeiträgen vorstellen. Dieses hat erklärtermaßen auch "nicht assimilierte Staatsbürger im Fokus, die in unserem Land ein großes Problem darstellen".

Compact schreibe von "Deislamisierung", "Dominanz der eigenen Kultur" und deutscher "Leitkultur". Im Übrigen setze das Magazin auf eine "patriotische Massenbewegung" und wünsche sich die AfD an die Macht. Geschehen soll dies durch eine "Abwahl der Herrschenden". Die neue Regierung möge dann "massenhaft abschieben" und dafür ein "Remigrationsministerium" schaffen.

Um zu belegen, dass Compact dies nur verwirklichen kann, indem es aggressiv die verfassungsmäßige Ordnung bekämpft, zieht das BMI zahlreiche Aussagen heran, in denen Compact-Verantwortliche angeben, die aktuelle Regierung "stürzen" zu wollen. Das Verbot wird insofern nicht nur mit Aussagen in Beiträgen und Reden begründet, sondern auch mit "zahlreichen Verbindungen" zu rechtsextremistischen Einzelpersonen und Organisationen. Die Begründung hebt vor allem die enge Verbindung zur Identitären Bewegung und Sellner hervor.

Maßgebend ist für das BMI auch die Interaktion des Magazins mit seinen Lesern. So wird anhand von Leserbriefen argumentiert, dass Compact seine Leser erfolgreich von den verbreiteten rassisch-völkischen und verschwörungstheoretische Ideologien überzeugt. Nachweise dafür, dass der gewünschte Umsturz auf undemokratischem Wege, etwa mit Gewalt, erfolgen soll, enthält die Verbotsverfügung nicht. Darauf soll es nach Auffassung des BMI aufgrund der propagandistischen Zwecke des Vereins aber auch nicht ankommen.

Keine eigenständige Prüfung der Pressefreiheit

Weil die verbotenen Gesellschaften, die das Magazin und den TV-Kanal betreiben, nach Auffassung des BMI aggressiv die verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen, verbietet es diese insgesamt als Vereine nach § 3 VereinsG.

Dass das Verbot einer Medienpublikation nicht nur in die Vereinigungsfreiheit (Art. 9) eingreift, sondern auch in die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1) und hierfür besondere Schranken gelten, behandelt das BMI in dem 79-seitigen Papier eher knapp unter Berufung auf Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts.

"Soweit Betätigungen den Schutzbereich weiterer Grundrechte tangieren, gilt üblicherweise der Grundsatz, dass die Eingriffe auch an diesen Grundrechten zu messen sind. Etwas anderes gilt jedoch für Vereinsverbote: Denn auch wenn weitere Grundrechte betroffen sind, muss sich ein Vereinsverbot in erster Linie an der nach Artikel 9 Absatz 1 GG speziell geschützten Vereinigungsfreiheit messen."

Die anderen Grundrechte müssten zwar "Berücksichtigung finden" und dürfen nicht unterlaufen werden, werden laut BMI "jedoch nicht zum selbständigen  Prüfungsmaßstab".

Mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit stellt das BMI fest, dass § 3 Abs. 1 VereinsG ein allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG sei. Nur ein solches darf die in Art. 5 genannten Grundrechte einschränken. Unter einem allgemeinen Gesetz versteht man jedes Gesetz, das eine Meinung nicht als solche - also wegen ihres Inhalts - verbietet, sondern dem Schutz anderer Rechtsgüter dient.

BMI sieht Missbrauch der Pressefreiheit 

Zudem scheint das BMI daran zu zweifeln, dass sich Compact überhaupt auf die Pressefreiheit berufen kann. Es "missbrauche" diese vielmehr:

"Die COMPACT-Magazin GmbH missbraucht ihre Medienerzeugnisse gezielt als Sprachrohr, um ihre verfassungsfeindlichen Zielsetzungen reichweitenstark zu verbreiten."

Belegt wird dies mit einem Zitat Elsässers:

"Und auch noch ein wichtiger Unterschied zu anderen Medien: Wir wollen dieses Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, indem wir uns hinter dem warmen Ofen oder den Computer verziehen und irgendwelche Texte wie eine Laubsägearbeit auf den Markt bringen. Sondern das Ziel ist der Sturz des Regimes. Und nur wenn man das Ziel vor Augen hat, kann man auch entsprechende Texte schreiben. [...] Ich lade Sie ein, den Weg, den wir gehen werden, zu begleiten und zu unterstützen."

Ferner meint das BMI, Compact eröffnete durch seine Publikationen keinen freien "Meinungsmarkt". Dies sei aber Aufgabe der Medien, wobei es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausreiche, ein bestimmtes "politisches Spektrum" zu adressieren. Compact jedoch veröffentliche ausschließlich Beiträge, die der vor allem von Elsässer "inhaltlich vorgegeben Linie" folgen.

Im Übrigen nimmt die Begründung des Verbots vor allem auf Belege Bezug, die das BMI schon im Rahmen der verfassungsfeindlichen Gesinnung und der kämpferisch-aggressiven Grundhaltung angeführt hat. Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit hätten dort zurückzutreten, "wo sie ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen", so das Resümee. 

Das BMI stützt sich hierbei auf ein Urteil des BVerwG vom 26. Januar 2022 (Az. 6 A 7.19). Hier hielten die Leipziger Richter ein Verbot einer auch mit Medieninhalten auftretenden Teilorganisation der in Deutschland seit 1993 verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK aufrecht.

Knappe Ausführungen zur EMRK

Diese Ausführungen macht das BMI unter der Überschrift "Verhältnismäßigkeit". Eine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung nimmt das Papier aber nicht vor. Stattdessen hält das BMI fest, dass eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der Rechtsprechung des BVerwG bei Vereinsverboten nach § 3 VereinsG nicht erforderlich ist. Vielmehr werden die hohen Anforderungen im Rahmen der tatbestandsmäßigen Prüfung bereits berücksichtigt.

Wohl aber hält das BMI fest, dass grundsätzlich das mildeste Mittel zu ergreifen ist. Mildere Mittel gegenüber einem Totalverbot von Compact seien vorliegend aber "nicht ersichtlich", stellt das Papier fest. Auf die Möglichkeit der Medienaufsicht, ggf. nur gegen die Veröffentlichung einzelner Beiträge vorzugehen, geht das BMI nicht ein.

Sehr knapp fällt die Auseinandersetzung mit den betroffenen Rechten des Magazins aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) aus. Gegenüber LTO hatte Rechtsanwalt David Werdermann am Dienstag auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2010 hingewiesen, wonach auch ein zeitlich begrenztes Totalverbot mehrerer türkischer Medien unverhältnismäßig in die Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 10 EMRK eingreift. Ausführungen zu dieser Entscheidung finden sich in der Verbotsverfügung nicht.

Dieser Beitrag wurde am Tag der Veröffentlichung laufend aktualisiert. Version vom 18.07.2024, 18:25 Uhr. In einer früheren Version hieß es, das BMI habe die Möglichkeit milderer Mittel gar nicht angesprochen. Tatsächlich aber geht die Verbotsverfügung mit wenigen Sätzen auf diese Frage ein.  

Zitiervorschlag

LTO liegt unveröffentlichtes Dokument vor: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55026 (abgerufen am: 10.12.2024 )

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