Nachrichtensperre nach Tod von Kirsten Heisig: "Der Fall kann Presserechtsgeschichte schreiben"

Interview mit Dr. Joseph Fesenmair und Dr. Markus Körner

19.11.2010

Die Berliner Jugendrichterin war medial präsent. Ihr plötzlicher Tod wurde als Selbstmord deklariert und im Übrigen eine Nachrichtensperre verhängt. Das OVG Berlin sprach nun aber einem klagenden Journalisten einen Auskunftsanspruch zu. LTO sprach mit Dr. Joseph Fesenmair und Dr. Markus Körner über Pressefreiheit, Abschiedsbriefe und Persönlichkeitsrechte von Verstorbenen.

LTO: Jedenfalls für die Öffentlichkeit kam der Tod der Richterin äußerst überraschend. In den auf ihren Tod folgenden Tagen bestätigten Staatsanwaltschaft, weitere amtliche Stellen und die Ergebnisse der Obduktion den Suizid als Todesursache. Im Übrigen wurde eine Nachrichtensperre verhängt: Polizei und Staatsanwaltschaft weigerten sich, gegenüber Journalisten weitere Einzelheiten preiszugeben. Spekulationen über eine Fremdeinwirkung als Todesursache wurden dadurch nur angeheizt. Welches Recht hat die Presse, das heißt die Öffentlichkeit, grundsätzlich auf die Teilhabe an Informationen?

Körner: Natürlich kann die Presse die Pressefreiheit nutzen und muss im Rahmen des Informationsinteresses der Öffentlichkeit informiert werden. Die Pressefreiheit ist ein grundlegendes und daher auch in der Verfassung verankertes Recht.

Allerdings bewegt dieses sich in Grenzen: Bei Prominenten, so genannten Personen der Zeitgeschichte, hat die Presse zwar ein gesteigertes legitimes Interesse an Informationen, die für die Öffentlichkeit von Bedeutung sind. Aber auch hier ist die Grenze die Privat-, jedenfalls aber die Intimsphäre der prominenten Person, über die berichtet wird. Auch über Personen der Zeitgeschichte darf man nicht alles erfahren und nicht alles veröffentlichen, vor allem eben nicht allzu persönliche Dinge.

Bezüglich der Dinge, an denen ein öffentliches Interesse besteht, weil sie relevant sind für das gesellschaftliche und soziale Leben in Deutschland, hat die Presse aber selbstverständlich grundsätzlich das Recht, diese zu erfahren und zu verbreiten.

Die Grenzen der Pressefreiheit

LTO: Wann hat das öffentliche Interesse zurückzutreten?

Fesenmair: Der grundgesetzlich garantierte Informationsanspruch der Presse findet seinen Niederschlag in den Landespressegesetzen. Dort ist auch geregelt, dass Behörden und eben in einem solchen Fall die Staatsanwaltschaft Zugang zu den Informationen gewähren müssen.

Es sind dort jedoch auch die von Dr. Körner angesprochenen Grenzen geregelt. Es handelt sich vor allem um Fälle, in denen Geheimhaltungsbedürfnisse Dritter entgegen stehen, es um schwebende Verfahren geht oder wenn durch die Bekanntgabe und Veröffentlichung ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges Interesse einer Privatperson verletzt würde.

Die spannende Frage ist dann in der Regel, wann man konkret welche Informationen zurückhalten kann.

"Die Nachrichtensperre ist der absolute Ausnahmefall“

LTO: Diese spannende Frage dürfte sich dann doch aber in aller Regel eher in den Fällen stellen, in denen es um Einzelheiten, das heißt eher darum geht, welche Informationen man heraus gibt. Im Fall der Berliner Richterin wurde jedoch eine komplette Nachrichtensperre verhängt. Wann kann dies geschehen?

Körner: Die Nachrichtensperre ist natürlich das härteste Mittel. Eine solche kann verhängt werden aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Beispielsweise, wenn es um Leib und Leben geht oder etwa darum, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen nicht weiterführen kann, weil die Information dann allgemein bekannt ist oder eben gerade durch ihre Veröffentlichung der ein Risiko für Leib oder Leben von Beteiligten einträte. In solchen Fällen ist eine Nachrichtensperre natürlich möglich, dies aber nur im absoluten Ausnahmefall, das ist sicherlich nicht die Regel.

Fesenmair: Ein anderer Fall der Nachrichtensperre ist der der Einigung von Presse und Behörden darüber, dass man keine Nachrichten nach außen dringen lässt. Ein Beispiel hierfür sind dramatische Geiselnahmen, bei denen Presse und Polizei gemeinsam vereinbaren, dass man nichts verlautbaren lässt. Die Presse selbst veröffentlicht in solchen Situationen auch ihr vorliegende Informationen nicht.

Körner: Richtig, es handelt sich dabei eben um ein gentleman’s agreement. Wenn beide Parteien sich daran halten, funktioniert das. Schließlich hat die Presse ja auch ein Interesse daran, weiterhin mit Informationen versorgt zu werden – worauf sie sicherlich nicht mehr zählen könnte, wenn sie sich an die getroffene Vereinbarung nicht hielte. Aber ein solches agreement lag im Fall von Frau Heisig ja gerade nicht vor.

Fesenmair: In der Tat, die hier einseitig verhängte komplette Nachrichtensperre ist sicherlich keiner der drastischen Fälle, in denen normalerweise zu solchen Maßnahmen gegriffen werden kann.

Keine komplette Nachrichtensperre wegen Suizids bei öffentlichen Personen

LTO: Im Fall von Frau Heisig bestand auch gerade keine akute Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder ähnliches. Die Richterin war bereits verstorben, die Behörden beriefen sich zur Begründung der Nachrichtensperre auf "schutzwürdige Interessen der Verstorbenen oder ihrer Hinterbliebenen" gerade auch im Hinblick auf den Suizid. Gibt es eine Art von Sonderregelung für den Suizid? Kann ein Suizid eine so drastische Maßnahme wie die ultima ratio Nachrichtensperre rechtfertigen?

Fesenmair: Man müsste wohl unterscheiden, ob ein Suizid bevorsteht oder ob ein Todesfall aufzuklären ist, bei dem möglicherweise auch ein Suizid als Todesursache in Betracht kommt. Geht es um eine Situation, in der eine Person suizidgefährdet ist und eine nach außen dringende Information dazu führen kann, dass dieser Mensch sich das Leben nimmt, wird man das sicherlich anders beurteilen müssen als hier.

Hier setzt zum einen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ein, der ja auch über den Tod hinaus geschützt ist in seinen ideellen Persönlichkeitsrechten. Aber auch die nahen Angehörigen müssen gegebenenfalls in ihrem eigenen Persönlichkeitsrecht, also nicht nur als Wahrnehmungsberechtigte für den Verstorbenen, geschützt werden, wenn dieses betroffen sein sollte. Und dieser Schutz müsste auch für Informationen gelten, die für das öffentliche Interesse nicht relevant sind, sondern eher eine Sensationshascherei sind.

"Nicht Hinz und Kunz"

Insofern könnte man hier sicherlich eine erste Differenzierung vornehmen: Handelt es sich wie bei Frau Heisig um eine Person, die Gegenstand des öffentlichen Interesses ist, wird man eine Nachrichten- oder Informationssperre sicherlich auch bei einem im Raum stehenden Suizid nicht aufrechterhalten können. Wenn Hinz und Kunz gestorben ist, gibt es wohl keinen Anspruch darauf, zu erfahren, ob derjenige sich selbst getötet hat. Steht die Person dagegen im öffentlichen Interesse, gibt es dahingehend durchaus ein Informationsbedürfnis. Aber dort endet das Bedürfnis dann eben auch und der postmortale Persönlichkeitsschutz setzt ein.

Körner: Sicherlich gibt es kein spezielles Recht für Fälle von Suizid. Aber vielleicht gibt es hier in der Tat zwei mögliche Ansätze: Bei laufenden Ermittlungen gab es schon Fälle, in denen man den Täter in Sicherheit wiegen wollte, indem man einen Todesfall klein hielt, während in die andere Richtung ermittelt wurde. Ob hier ein solcher Fall vorliegt, weiß keiner von uns. Aber es wäre möglicherweise ein Ansatz.

Die andere Möglichkeit ist das schon angesprochene postmortale Persönlichkeitsrecht. Dabei stellt sich im Einzelfall die Frage, wie weit dieses Recht gehen kann. Und das Oberverwaltungsgericht Berlin hat sich bezüglich dieser Grenze ja auch ziemlich klar ausgedrückt, indem es eben unterschieden hat in die objektiven Begleitumstände des Todesfalles einerseits und die subjektiven Hintergründe und Motive andererseits.

"Es gibt einen Unterschied zwischen dem Hergang und den Beweggründen der Tat"

LTO:  Das OVG Berlin hat den Generalstaatsanwalt in Berlin auf die Klage eines Journalisten hin nun verpflichtet, ihm Auskunft zu erteilen über die Todesursache und den Todeszeitpunkt von Heisig, den Fundort und die Auffindesituation der Leiche, darüber, welche Fakten eine Fremdverursachung des Todes ausschließen und welche objektiven Anhaltspunkte für ein planvolles Vorgehen der Berliner Richterin in Bezug auf ihren eigenen Tod sprechen. Explizit nicht vom Auskunftsanspruch umfasst sind hingegen "etwaige Erkenntnisse über Hintergründe und Motive einer Selbsttötung". Ist denn eine solche Trennung faktisch überhaupt möglich?

Fesenmair: Eine solche Trennung ist natürlich gar nicht so einfach. Aber ich glaube schon, dass man jedenfalls versuchen kann, eine solche Unterscheidung zu machen. Zwar kann jeder subjektive Grund auch von objektivem Interesse sein, aber es gibt einen Unterschied zwischen einem objektiven Hergang, also der Frage, ob jemand sich selbst getötet hat oder getötet wurde, und den Beweggründen des Verstorbenen. An dem objektiven Hergang besteht sicherlich auch öffentliches Interesse, während man sich bei den subjektiven Beweggründen des Toten schon fragen muss, ob diese noch dem Informations- und Aufklärungsinteresse dienen würden oder man sich dann nicht nur noch im Bereich einer Sensationsberichterstattung bewegen würde.

Vielleicht hatte die Richterin eben auch Probleme, die nun, wie auch immer sie eventuell geartet sein mögen, wirklich niemanden etwas angehen mögen. Und die, und das ist wichtig,  mit ihrer Rolle, die sie in der Öffentlichkeit verkörperte und für die sie von öffentlichem Interesse ist, überhaupt nichts oder wenig zu tun haben. Das ist der entscheidende Punkt: Wie weit ist es für das öffentliche Interesse erforderlich, die Todesursache und die persönlichen Hintergründe zu kennen? Ich glaube, dass man dann insoweit schon zwischen objektiven Umständen und subjektiven Gründen unterschieden kann.

Gäbe es einen Abschiedsbrief, müsste das mitgeteilt werden – aber mehr auch nicht

Körner: Naheliegend ist natürlich an dieser Stelle die Frage beispielsweise nach einem Abschiedsbrief. Wir wissen nicht, ob es einen solchen gegeben hat. Einerseits wäre ein solcher Abschiedsbrief natürlich sehr persönlich und enthielte evident einen subjektiven Hintergrund. Andererseits wäre seine Existenz aber ein Faktum, der eine Fremdverursachung ausschließen oder jedenfalls sehr unwahrscheinlich machen würde. Genau an diesem fiktiven Beispiel eines denkbaren Abschiedsbriefs zeigt sich, wie schwer die Abgrenzung zwischen subjektiven und Umständen sein kann.

Fesenmair: Es gibt eine objektive und eine subjektive Nachrichtenlage. Die objektive: Es gab einen Abschiedsbrief, was darauf hindeutet, dass es einen Suizid gab. Die nächste Frage ist dann: Deutet der Abschiedsbrief darauf hin, dass dieser Suizid in irgendeinem Zusammenhang stand mit der erst kürzlich erworbenen Rolle von Frau Heisig in der Öffentlichkeit, war er vielleicht beruflich bedingt. Über eine Veröffentlichung dieser Informationen könnte man sicherlich streiten.

Betreffend den restlichen Inhalt des Abschiedsbriefs dürfte hingegen kein objektives Informationsbedürfnis mehr bestehen, alle anderen Informationen wären eindeutig subjektiver Natur.

Die Presse ist keine Ermittlungsbehörde

LTO: Beißt sich nicht die Katze in den Schwanz, wenn die Presse nicht recherchieren kann, ob eine Selbsttötung vorlag, weil die Behörden ihr Informationen vorenthalten, weil angeblich eine Selbsttötung vorlag?

Körner: Die eigentlichen Ermittlungen sollen ja von der Staatsanwaltschaft getätigt werden. Die Presse soll systematisch gesehen nicht herausfinden, wie Dinge abgelaufen sind, sondern eben die Staatsanwaltschaft, der ganz andere Mittel zur Verfügung stehen und deren Aufgabe Ermittlungen auch sind. Und wenn die Ermittlungsergebnisse gefährdet würden, sind der Pressefreiheit Grenzen gesetzt.

LTO: Die Entscheidung des OVG Berlin erging im einstweiligen Rechtsschutz, der klagende Journalist feiert sie als "ein Bekenntnis zur Pressefreiheit und den Rechten der Medien". Teilen Sie diese Einschätzung?

Körner: Das ist in der Tat ein sehr interessanter Aspekt. Ist die Auskunft an den Journalisten einmal erteilt, gibt es natürlich kein Zurück mehr. Die Hauptsache wird also eindeutig vorweggenommen und der Auskunftsanspruch, den das OVG zugesprochen hat, ist ja durchaus sehr weitgehend. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist natürlich das Kind damit in den Brunnen gefallen. Insofern kann der Journalist diesen sehr weiten Anspruch, den er hier durchsetzen konnte, schon feiern.

"Das sind die Fälle, mit denen Presserechtsgeschichte geschrieben werden kann."

LTO: Dann wäre die Durchführung eines Hauptsacheverfahren eigentlich überflüssig?

Fesenmair: Schaut man auf die Schnelllebigkeit des nachrichtlichen Geschehens, muss man sicherlich sagen, dass das Hauptsacheverfahren dann in der Tat keine große Bedeutung mehr hätte für diesen speziellen Sachverhalt, zumal eben die Hauptsache ja ohnehin vorweg genommen wurde.

Dennoch kann das Hauptsacheverfahren, wenn die Parteien es denn führen, von ganz erheblicher Bedeutung sein. In einer nicht nur summarischen, sondern dann eben sehr umfassenden Prüfung können zum Beispiel genau diejenigen Fragen, die Sie aufgeworfen haben, mit größerer Präzision und eventuell dann eben auch in einer abschließenden Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts erörtert werden. Und deshalb kann es sehr wichtig sein, dass das Hauptsacheverfahren durchgeführt würde.

Nicht für den hier diskutierten Fall der verstorbenen Berliner Richterin. Bis ein solches, gegebenenfalls höchstrichterliches Urteil gefällt würde, erinnern sich im Zweifel nur noch wenige an Frau Heisig. Vielleicht bliebe ihr Name als solcher der Entscheidung in den Lehrbüchern in Erinnerung.

Aber einmal rechtlich und inhaltlich gesehen: Das sind die Fälle, mit denen Presserechtsgeschichte geschrieben werden kann.

LTO: Herr Dr. Fesenmair, Herr Dr. Körner, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Dr. Joseph Fesenmair und Dr. Markus Körner sind Partner bei Bird & Bird LLP am Standort München und sind unter anderem medienrechtlich spezialisiert. Sie sind Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen im Medien- und Presserecht.

Das Interview führte Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Joseph Fesenmair und Markus Körner, Nachrichtensperre nach Tod von Kirsten Heisig: "Der Fall kann Presserechtsgeschichte schreiben" . In: Legal Tribune Online, 19.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1983/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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