Internationaler Tag gegen Homophobie: Juristen nicht immer an der Seite von Schwulen und Lesben

Gastbeitrag von Manfred Bruns

17.05.2018

Homophobie spukt noch in einigen Köpfen, immerhin aber ist die rechtliche Diskriminierung in Deutschland vorbei. Manfred Bruns erinnert an einen langen Kampf für gleiche Rechte und Pflichten – oftmals auch gegen den Widerstand von Juristen.

Heute lässt sich ohne Umschweife behaupten: Der Kampf der Schwulen und Lesben für ihre rechtliche Gleichstellung in Deutschland hat sich gelohnt. Doch bis zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle im vergangenen Jahr war der Weg äußerst mühsam. Juristen zählten dabei nicht immer zu den Unterstützern.

Schwule Männer sind in der Bundesrepublik bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein genauso wütend verfolgt worden wie in der Nazizeit. Die von den Nazis verschärften Strafvorschriften wurden beibehalten und ebenso exzessiv angewandt. Nicht wenige Homosexuelle, die die Verfolgung der Nazis überlebt hatten, sind in den fünfziger Jahren aus Verzweiflung über die fortdauernde Verfolgungspraxis freiwillig aus dem Leben geschieden.

Wegen der intensiven Strafverfolgung mussten sich die Schwulen so verstecken und tarnen, dass die Mehrheitsgesellschaft von ihnen nur dann etwas mitbekam, wenn sie entdeckt und in Strafverfahren verwickelt wurden. Die Lesben wurden zwar nicht bestraft, aber ihre soziale Lage war genauso aussichtslos. Sie mussten sich genauso verstecken und tarnen wie die schwulen Männer.

Verführungstheorie war Juristenkonstruktion

Sehr nachteilig wirkte sich das Vorurteil aus, dass Homosexualität ansteckend sei. Die sogenannte Verführungstheorie war eine Juristenkonstruktion. Wenn früher Homosexuelle in Strafverfahren den Tatvorwurf nicht mehr bestreiten konnten, mussten sie versuchen, Milderungsgründe zu sammeln. Sie machten dann geltend, dass sie ihrerseits verführt worden seien und deshalb ihre "abartige" Triebrichtung nicht verschuldet hätten, vielmehr selbst Opfer seien. Dadurch entstand bei den Juristen der Eindruck, dass Homosexualität die Folge von Verführung sei. In Wirklichkeit hatten die Betroffenen ihre "Verführung" meist regelrecht provoziert, weil sie es endlich wissen wollten.

Mit dieser Verführungstheorie ist der Fortbestand des § 175 Strafgesetzbuch (StGB) bis 1994 begründet worden. Danach wurden Männer bestraft, wenn sie einvernehmlichen Sex mit Jugendlichen unter 18 Jahren hatten, um die Jugendlichen vor Verführung durch Homosexuelle zu schützen. Bei einvernehmlichen Sex von Männern mit Mädchen lag das Schutzalter dagegen bei 14 Jahren.

Einen wesentlichen Fortschritt für Schwule brachte erst die AIDS-Debatte in den achtziger Jahren. Die Schwulen erkannten früh die mit AIDS verbundenen Gefahren und reagierten darauf in großer Solidarität. Sie schufen binnen kurzem ein breites Netz von Selbsthilfegruppen. Das führte bei vielen der Aktivisten zum öffentlichen Coming-out. Dadurch begannen die Behörden sich daran zu gewöhnen, mit Männern zu verhandeln, die offen als Schwule auftraten.

AIDS-Debatte befördert Einstellungswandel

Die allgemeine Furcht vor AIDS wurde damals von einem Teil der Ärzte-Funktionäre und von Scharfmachern aus Bayern so instrumentalisiert, dass die Debatte zeitweilig hysterische Züge annahm. Sie bewirkte aber auch, dass nun zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit und abends zur Hauptsendezeit darüber diskutiert wurde, wie Schwule leben und wie sie sexuell mit einander umgehen. Der Ausgang dieser AIDS-Debatte ist der erste große Erfolg der Schwulen im vergangenen Jahrhundert. Durch ihren engagierten, intelligenten und solidarischen Einsatz ist es gelungen, in der Bundesrepublik eine tolerante, menschliche und vernünftige AIDS-Politik zu etablieren.

Als Folge der AIDS-Debatte fiel in den achtziger Jahren endlich auch das Stigma der Unsittlichkeit. Der Bundesgerichtshof urteilte damals, es könne heute nicht mehr festgestellt werden, dass das Zusammenleben unverheirateter Personen gleichen oder verschiedenen Geschlechts als sittlich anstößig empfunden werde. Das Zusammenleben stehe deshalb als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit unter dem Schutz des Grundgesetzes.

Aufgrund dieses Einstellungswandels konnten Lesben und Schwule nun offen als Paar zusammenleben. Das führte natürlich zu der Frage, warum Lesben und Schwulen eine Heirat weiterhin verwehrt wird. Die Debatte wurde dadurch beflügelt, dass Dänemark 1989 als erstes Land die "Registrierte Partnerschaft" für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt hatte. Daraufhin haben einige schwule Aktivisten und ich 1989 zum ersten Mal gefordert, dass auch Lesben und Schwule heiraten dürfen.

Diskussion um "Homo-Ehe"

In der Öffentlichkeit kreiste die Diskussion um die "Homo-Ehe" später fast ausschließlich um die juristische Frage, ob und inwieweit Art 6 Abs. 1 GG die Schaffung eines neuen Rechtsinstituts für Lesben und Schwule zulässt. Die Gegner der "Homo-Ehe" beriefen sich auf das sogenannte "Abstandsgebot", das Juristen aus Art. 6 Abs. 1 GG ableiteten. Das BVerfG folgerte zunächst aus der Vorschrift, dass die Ehe gefördert werden müsse und die Ehefreudigkeit der Bevölkerung nicht beeinträchtigt werden dürfe. Deshalb dürften nichteheliche Lebensgemeinschaften verschiedengeschlechtlicher Partner nicht mit den gleichen Rechten ausgestattet werden wie Ehen, weil sonst die Leute nicht mehr heiraten würden. Zwischen den eheähnlichen Lebensgemeinschaften und den Ehen müsse rechtlich ein "Abstand" bestehen.

Die rechtliche Gleichstellung nahm erst 1998 an Fahrt auf, als SPD und Bündnis90/Die Grünen die Regierung übernahmen. Sie hatten den Lesben und Schwulen im Wahlkampf versprochen, nach einem Wahlsieg die Ehe für Lesben und Schwule zu öffnen. Dazu war aber die SPD nach der Regierungsübernahme nicht mehr bereit. Außerdem waren die rechtlichen Rahmenbedingen für ein Eheöffnungsgesetz nicht günstig.

Denn die Öffnung der Ehe hätte nach damaliger Rechtsauffassung eine Änderung des Grundgesetzes erfordert. Daran war jedoch nicht zu denken, weil die CDU/CSU und die FDP gegen die Öffnung der Ehe waren. Auch eine Regelung nach skandinavischem Vorbild war nicht möglich. Dort hatte man in den Gesetzen über die "Registrierte Partnerschaft" nur die Eingehung der Partnerschaft geregelt. Im Übrigen hatte man in einer Generalklausel festgelegt, dass auf die "Registrierte Partnerschaft" alle für die Ehe geltend Bestimmungen entsprechend anwendbar seien, ausgenommen die Adoptionsvorschriften. Einem solchem Gesetz hätte der Bundesrat zustimmen müssen. Dort hatten aber die Bundesländer mit CDU/CSU- und FDP-Koalitionen die Mehrheit.

Öffnung der Ehe für Juristen zu abseitig

Es blieb deshalb nichts Anderes übrig, als in einem Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) alle für Ehegatten geltenden Vorschriften einzeln aufzuführen, die auch für Lebenspartner gelten sollten. Wir plädierten natürlich für eine weitgehende Angleichung des LPartG an die Ehe. Dazu war aber die damalige SPD-Justizministerin Däubler-Gmelin nicht bereit. Sie hatte große Angst, dass das BVerfG das LPartG wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für verfassungswidrig erklären würde. Diese Angst gründete auf dem juristischen Schrifttum.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck und ich hatten Anfang der neunziger Jahre in einer juristischen Fachzeitschrift einen Aufsatz über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare veröffentlicht. Wir hatten gehofft, damit eine Debatte der Juristen über dieses Thema lostreten zu können, auf die wir uns hätten berufen können. Aber tatsächlich geschah nichts. Das Thema war den Juristen zu abseitig. Erst als die Juristen mitbekamen, dass die rot-grüne Koalition ein solches Gesetz plante, meldeten sich immer mehr Juristen zu Wort und vertraten die Meinung, dass ein solches Gesetz verfassungswidrig sei. Zuletzt war fast die ganze Juristenzunft gegen uns.

Deshalb wollte Ministerin Däubler-Gmelin nur ein Mini-Partnerschaftsgesetz vorlegen. Die volle rechtliche Gleichstellung sollten wir beim BVerfG einklagen. Darüber debattierte sie mit uns bei mehreren Treffen, zu dem sie die Gruppen der Lesben und Schwulen eingeladen hatte. Alle Gruppen lehnten indes den Mini-Entwurf geschlossen ab.

Die Angst der SPD-Minister vor dem BVerfG

Die Angst von Frau Däubler-Gmelin vor dem BVerfG war so groß, dass sie auch die Vorlage des Mini-Entwurfs entgegen ihren Ankündigungen immer wieder hinausschob. Volker Beck setzte dann schließlich durch, dass dem BMJ die Fertigung des Entwurfs entzogen und einer Arbeitsgruppe von Abgeordneten beider Fraktionen übertragen wurde. Aber auch in der Arbeitsgruppe gab es weiter Diskussionen über einzelne Punkte. Zuletzt weigerte sich der damalige SPD-Innenminister Schily, einer Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten beim Familiennachzug zuzustimmen. Der Konflikt wurde dann so gelöst, dass das Innenministerium zu der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe nicht mehr erschien und diese daraufhin die Gleichstellung in den Gesetzentwurf hineinschrieb.

Dafür hat sich Schily mit einem offenen Brief gerächt, in dem er behauptete, dass der Entwurf des LPartG verfassungswidrig sei. Das war natürlich eine Steilvorlage für die CDU/CSU. Sie berief sich nun auch darauf, dass selbst der Verfassungsminister das LPartG für verfassungswidrig halte.

Das LPartG wurde schließlich am 10.11.2000 vom Bundestag verabschiedet und trat am 01.08.2001 in Kraft. Allerdings war das Gesetz nur ein Torso. Da CDU/CSU und  FDP während des Gesetzgebungsverfahrens ankündigten, dass sie das Gesetz mit ihrer Mehrheit im Bundesrat ablehnen würden, wurde der Gesetzentwurf in einen zustimmungsfreien und einen zustimmungsbedürftigen Teil aufgeteilt. Der zustimmungsfreie Teil trat als LPartG in Kraft, der zustimmungsbedürftige scheiterte im Bundesrat. Das hatte zur Folge, dass die Lebenspartner zwar von Anfang an dieselben Verpflichtungen wie Ehegatten hatten, aber zunächst kaum Rechte.

Wegweisendes BVerfG-Urteil von 2002

Obwohl es der Regierungskoalition nur gelungen war, ein Torso zu verabschieden, riefen die Bundesländer Bayern, Sachsen und Thüringen das BVerfG an und machten geltend, dass das LPartG verfassungswidrig sei. Außerdem hatten die Länder Bayern und Sachsen das BVerfG aufgefordert, das Inkrafttreten des Gesetzes vorerst durch eine einstweilige Anordnung zu stoppen.

Wir hatten natürlich große Angst, dass das BVerfG das LPartG für verfassungswidrig erklären und das Inkrafttreten des Gesetzes bis dahin stoppen würde. Doch es kam anders: Zu unserer großen Freude wies das BVerfG den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 17.07.2002 als unbegründet zurück und schloss sich in seinem Urteil nicht der fast einhelligen Meinung der Juristen an.

Vielmehr entschied das BVerfG, dass der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeber nicht hindere, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen. Dem Institut der Ehe drohten keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können.

Leider hatte das BVerfG in seinem Urteil von 2002 nur entschieden, dass der Gesetzgeber Lebenspartner mit Ehegatten gleichstellen darf, aber nicht, ob er das auch muss. Darum ging dann der Streit bis 2013. Die deutschen Gerichte vertraten lange Zeit die Auffassung, dass Art. 6 Abs. 1 GG der Ehe eine Sonderstellung verleihe, die es dem Gesetzgeber erlaube, die Ehe entgegen dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu bevorzugen.

EuGH-Entscheidung sorgte für Durchbruch

Der Durchbruch kam erst 2008 durch eine Entscheidung des EuGH in Luxemburg: Danach verstieß der Ausschluss der Lebenspartner von der Hinterbliebenenversorgung in Deutschland gegen die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie für den Bereich Beschäftigung und Beruf. Das BVerfG änderte daraufhin seine Rechtsprechung: 2009 der Erste Senat und nach langem Zögern 2012 auch der Zweite Senat. Mit insgesamt sechs Entscheidungen vollendete das Gericht die Gleichstellung der Lebenspartner.

Lebenspartner hatten damit seit 2013 dieselben Rechte und Pflichten wie Ehegatten. Lebenspartnerschaft und Ehe unterschieden sich praktisch nur noch im Namen. Rechtliche Unterschiede gab es noch bei der Adoption. Ehegatten konnten ein Kind gemeinschaftlich adoptieren und waren dann rechtlich gemeinschaftliche Eltern des Kindes (§ 1754 Abs. 1 BGB). Lebenspartner konnten ein Kind nur nacheinander adoptieren, waren dann aber ebenfalls gemeinschaftliche Eltern des Kindes (§ 9 Abs. 7 LPartG i.V.m. § 1754 Abs. 1 BGB).

Doch auch diese rechtliche Ungleichbehandlung ist seit 2017 vom Tisch: Am 1. Oktober 2017 ist das Eheöffnungsgesetz in Kraft getreten und die rechtliche Gleichstellung für homosexuelle Paare in Deutschland damit geschafft. Und was nicht unbedingt zu erwarten war: Mittlerweile sind sogar einige, die unmittelbar nach Verabschiedung der Eheöffnung den Gang nach Karlsruhe angekündigt hatten, zurückgerudert.

Der Autor Manfred Bruns war bis zu seiner Pensionierung im Sommer 1994 Bundesanwalt am BGH. Er war Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD). Bruns hatte maßgeblichen Anteil an der Abschaffung von § 175 StGB und der späteren rechtlichen Gleichstellung von Lesben und Schwulen.

Zitiervorschlag

Manfred Bruns, Internationaler Tag gegen Homophobie: Juristen nicht immer an der Seite von Schwulen und Lesben . In: Legal Tribune Online, 17.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28669/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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