Sicherheitsrechtler zum Gesetzentwurf über Auslesen von Handys bei Asylsuchenden: "Kann nicht schaden, die Daten zu haben"

Interview von Tanja Podolski

22.02.2017

Künftig soll ihr Handy Herkunft und Identität von Asylbewerbern verraten, die keine Papiere haben. Das Bundeskabinett hat die Neuregelung heute beschlossen. Für Nikolaos Gazeas ist das verfassungswidrig.

LTO: Unter dem Eindruck des Anschlags von Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat das Kabinett heute den Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzbarkeit der Ausreisepflicht beschlossen. Darin ist auch eine Regelung zu Asylbewerbern enthalten. Was wissen Sei über die Neufassung?

Dr. Nikolaos Gazeas: Mit dem Gesetzentwurf soll dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in § 15a Asylgesetz (AsylG) die Befugnis eingeräumt werden, Datenträger von Asylbewerbern auszuwerten. Darunter fallen das Handy, aber auch Tablets, Laptops und anderen Computer, der USB-Stick oder eine externe Festplatte. Betroffen ist also der gesamte digitale Hausstand eines Asylbewerbers. Die geplante Regelung erlaubt, dass all diese Speichermedien vollständig gespiegelt, also auf eigene Server des BAMF kopiert und ausgewertet werden dürfen. Dafür soll eine neue Norm ins Asylgesetz eingefügt werden.

LTO: Eine ähnliche Regelung gibt es doch bereits in § 48 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Danach müssen Ausländer an der Feststellung ihrer Identität mitwirken und im Zweifel der Behörde auch Datenträger überlassen. Woher kommt die Aufregung?

Gazeas: Das ist richtig, die Regelungen in §§ 48, 48a AufenthG wurden 2015 eingeführt. Die geplante Neuregelung im AsylG ist inhaltsgleich. Im AufenthG geht es um Ausländer, die Deutschland verlassen müssen. Damals gab es tatsächlich, was mich wundert, kaum Wirbel um diese Befugnis. Der Bundesrat hat als einer von wenigen jedoch schon damals im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Bedenken angemeldet, datenschutzrechtliche Nachjustierungen gefordert und einen Richtervorbehalt verlangt. Alles Bedenken, die ich teile. Die Bundesregierung hat sich nahezu vollständig hierüber hinweggesetzt.

Die nun geplanten Maßnahmen hingegen sollen am Anfang des Asylverfahrens greifen. Die Menschen, deren Handys ausgelesen werden sollen, sind frisch in Deutschland angekommen und haben sich nichts zuschulden kommen lassen, außer, dass sie geflüchtet sind. Diesen Unterschied dürfen wir nicht außer Acht lassen.

"Auswertung von Handydaten würde zum Standard werden"

LTO: Wo sehen Sie denn die konkreten Schwierigkeiten in dem Gesetzentwurf?

Gazeas: Ich bin nicht per se gegen Maßnahmen, um die Identität von Flüchtlingen festzustellen. Denn natürlich ist es wichtig, Mehrfachregistrierungen vorzubeugen und damit Sozialbetrug entgegenzuwirken und Ausreisepflicht sowie eine effektive Gefahrenabwehr sicherzustellen.

Aber hier geht es nicht darum, dass ein BAMF-Mitarbeiter mal in Anwesenheit des betroffenen Flüchtlings einen Blick auf sein Handy werfen und die Ländervorwahlen der Anrufliste durchsehen darf. Der gesamte digitale Hausstand soll gesichert werden dürfen, ganze E-Mail- Chat- und SMS-Verläufe sollen ausgewertet, Fotos und Videos durchgesehen und anhand von Geodaten Bewegungsprofile erstellt werden. Das ist ein ganz gravierender Eingriff für den Betroffenen, der in der praktischen Umsetzung zu einer Standardmaßnahme werden würde.

Einzelfall oder Standardmaßnahme?

LTO: Eben das ist offenbar zwischen SPD und Union umstritten. Die SPD hat auf den Ausnahmecharakter der Maßnahme verwiesen, die Union geht hingegen davon aus, dass diese in sehr vielen Verfahren zur Anwendung kommen könnte, weil so viele Menschen ohne Papiere Asyl beantragten. Wieso gehen auch Sie davon aus, dass sie zum Regelfall würde?

Gazeas: Das ist aus den genannten Zahlen ablesbar. Zwar sagt die SPD, das Auslesen der Daten käme nur in Einzelfällen und als letztes Mittel in Betracht. Das CDU-geführte Bundesinnenministerium hingegen gab eine Schätzung ab, dass im Jahr 2016 für eine solche Maßnahme 50 bis 60 Prozent der Asylbewerber in Betracht gekommen wären. Das wären etwa 150.000 Menschen. Das BAMF soll technisch so ausgestattet werden, dass täglich bis zu 2.400 Datenträger ausgewertet werden können. Der Bund lässt sich die IT-Infrastruktur 3,2 Millionen Euro kosten.

Diese Zahlen klingen für mich nicht nach einer Befugnis, die als letztes Mittel in wenigen Einzelfällen angewendet werden soll. Außerdem ist die Nachrangigkeit der Maßnahme recht weich formuliert. Es soll genügen, wenn sie zur Identitätsfeststellung erforderlich ist und dieser Zweck nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Diese Maßnahme soll letztlich jeder Sachbearbeiter im BAMF anordnen dürfen.

Ich wäre daher nicht überrascht, wenn die Sicherung von Datenträgern – sollte der Entwurf unverändert Gesetz werden – wegen der weichen Subsidiaritätsklausel gleichsam als Standardmaßnahme bei einem Großteil, wenn nicht sogar bei dem überwiegenden Teil der Asylsuchenden Anwendung fände. Getreu dem Motto: Schaden kann’s nicht, die Daten zu haben.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Sicherheitsrechtler zum Gesetzentwurf über Auslesen von Handys bei Asylsuchenden: "Kann nicht schaden, die Daten zu haben" . In: Legal Tribune Online, 22.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22173/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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