Künftig soll ihr Handy Herkunft und Identität von Asylbewerbern verraten, die keine Papiere haben. Das Bundeskabinett hat die Neuregelung heute beschlossen. Für Nikolaos Gazeas ist das verfassungswidrig.
LTO: Unter dem Eindruck des Anschlags von Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat das Kabinett heute den Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzbarkeit der Ausreisepflicht beschlossen. Darin ist auch eine Regelung zu Asylbewerbern enthalten. Was wissen Sei über die Neufassung?
Dr. Nikolaos Gazeas: Mit dem Gesetzentwurf soll dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in § 15a Asylgesetz (AsylG) die Befugnis eingeräumt werden, Datenträger von Asylbewerbern auszuwerten. Darunter fallen das Handy, aber auch Tablets, Laptops und anderen Computer, der USB-Stick oder eine externe Festplatte. Betroffen ist also der gesamte digitale Hausstand eines Asylbewerbers. Die geplante Regelung erlaubt, dass all diese Speichermedien vollständig gespiegelt, also auf eigene Server des BAMF kopiert und ausgewertet werden dürfen. Dafür soll eine neue Norm ins Asylgesetz eingefügt werden.
LTO: Eine ähnliche Regelung gibt es doch bereits in § 48 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Danach müssen Ausländer an der Feststellung ihrer Identität mitwirken und im Zweifel der Behörde auch Datenträger überlassen. Woher kommt die Aufregung?
Gazeas: Das ist richtig, die Regelungen in §§ 48, 48a AufenthG wurden 2015 eingeführt. Die geplante Neuregelung im AsylG ist inhaltsgleich. Im AufenthG geht es um Ausländer, die Deutschland verlassen müssen. Damals gab es tatsächlich, was mich wundert, kaum Wirbel um diese Befugnis. Der Bundesrat hat als einer von wenigen jedoch schon damals im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Bedenken angemeldet, datenschutzrechtliche Nachjustierungen gefordert und einen Richtervorbehalt verlangt. Alles Bedenken, die ich teile. Die Bundesregierung hat sich nahezu vollständig hierüber hinweggesetzt.
Die nun geplanten Maßnahmen hingegen sollen am Anfang des Asylverfahrens greifen. Die Menschen, deren Handys ausgelesen werden sollen, sind frisch in Deutschland angekommen und haben sich nichts zuschulden kommen lassen, außer, dass sie geflüchtet sind. Diesen Unterschied dürfen wir nicht außer Acht lassen.
"Auswertung von Handydaten würde zum Standard werden"
LTO: Wo sehen Sie denn die konkreten Schwierigkeiten in dem Gesetzentwurf?
Gazeas: Ich bin nicht per se gegen Maßnahmen, um die Identität von Flüchtlingen festzustellen. Denn natürlich ist es wichtig, Mehrfachregistrierungen vorzubeugen und damit Sozialbetrug entgegenzuwirken und Ausreisepflicht sowie eine effektive Gefahrenabwehr sicherzustellen.
Aber hier geht es nicht darum, dass ein BAMF-Mitarbeiter mal in Anwesenheit des betroffenen Flüchtlings einen Blick auf sein Handy werfen und die Ländervorwahlen der Anrufliste durchsehen darf. Der gesamte digitale Hausstand soll gesichert werden dürfen, ganze E-Mail- Chat- und SMS-Verläufe sollen ausgewertet, Fotos und Videos durchgesehen und anhand von Geodaten Bewegungsprofile erstellt werden. Das ist ein ganz gravierender Eingriff für den Betroffenen, der in der praktischen Umsetzung zu einer Standardmaßnahme werden würde.
Einzelfall oder Standardmaßnahme?
LTO: Eben das ist offenbar zwischen SPD und Union umstritten. Die SPD hat auf den Ausnahmecharakter der Maßnahme verwiesen, die Union geht hingegen davon aus, dass diese in sehr vielen Verfahren zur Anwendung kommen könnte, weil so viele Menschen ohne Papiere Asyl beantragten. Wieso gehen auch Sie davon aus, dass sie zum Regelfall würde?
Gazeas: Das ist aus den genannten Zahlen ablesbar. Zwar sagt die SPD, das Auslesen der Daten käme nur in Einzelfällen und als letztes Mittel in Betracht. Das CDU-geführte Bundesinnenministerium hingegen gab eine Schätzung ab, dass im Jahr 2016 für eine solche Maßnahme 50 bis 60 Prozent der Asylbewerber in Betracht gekommen wären. Das wären etwa 150.000 Menschen. Das BAMF soll technisch so ausgestattet werden, dass täglich bis zu 2.400 Datenträger ausgewertet werden können. Der Bund lässt sich die IT-Infrastruktur 3,2 Millionen Euro kosten.
Diese Zahlen klingen für mich nicht nach einer Befugnis, die als letztes Mittel in wenigen Einzelfällen angewendet werden soll. Außerdem ist die Nachrangigkeit der Maßnahme recht weich formuliert. Es soll genügen, wenn sie zur Identitätsfeststellung erforderlich ist und dieser Zweck nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Diese Maßnahme soll letztlich jeder Sachbearbeiter im BAMF anordnen dürfen.
Ich wäre daher nicht überrascht, wenn die Sicherung von Datenträgern – sollte der Entwurf unverändert Gesetz werden – wegen der weichen Subsidiaritätsklausel gleichsam als Standardmaßnahme bei einem Großteil, wenn nicht sogar bei dem überwiegenden Teil der Asylsuchenden Anwendung fände. Getreu dem Motto: Schaden kann’s nicht, die Daten zu haben.
2/2: "Wir reden hier nicht von unmittelbarer Terrorabwehr"
LTO: Es stünde den Flüchtlingen doch frei, an der Feststellung ihrer Identität auf andere Weise mitzuwirken.
Gazeas: Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass das Grundgesetz dem Staat in seinem Handeln Grenzen setzt. Unsere Verfassung gewährt jedem Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringt. Danach darf grundsätzlich jeder selbst bestimmen, welche Daten er von sich preisgibt. Dieses Recht ist ein Jedermann-Grundrecht, es gilt für Deutsche ebenso wie für Ausländer. Abgeleitet wird es aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Menschenwürde. Das sind elementare Menschenrechte.
LTO: Nun müssen wir nicht darüber diskutieren, dass auch in Grundrechte eingegriffen werden darf, wenn es dafür eine Rechtfertigung gibt.
Gazeas: Völlig richtig. Die Neuregelung wäre ein solches Gesetz, das einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht erlaubt. Aber Gesetze, die in Grundrechte eingreifen, müssen neben anderen Voraussetzungen vor allem verhältnismäßig sein. Das ist die Neuregelung in der geplanten Form nicht. Sie greift zu früh, geht zu weit und erlaubt zu viel.
Stellenwert der falschen Identität
LTO: Sie gehen von einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus, der nicht gerechtfertigt ist, weil die Maßnahme unverhältnismäßig ist?
Gazea: Genau. Zwar verfolgt die Maßnahme den völlig legitimen Zweck, sicherzustellen, dass Asylsuchende ihre richtige Identität und Staatsangehörigkeit angeben. Doch es geht hier nicht in erster Linie um den Kampf gegen den Terror, sondern gegen Mehrfachregistrierungen und Sozialhilfebetrug und darum, Tatsachen für die Prüfung des Asylantrags zu sammeln.
Den Stellenwert einer falschen Identitätsangabe kann man auf der anderen Seite an § 111 OWiG erkennen, eine Ordnungswidrigkeit im niedrigschwelligen Bereich, also nicht einmal eine leichte Straftat. Und wir wissen alle, dass ein Handy nicht nur ein Telefon ist. Man hat Fotos, Videos und jede Menge, vielleicht intime Kommunikationsdaten darauf gespeichert. Für Computer gilt dies ebenso.
"Flüchtlinge schlechter gestellt als ein Beschuldigter im Strafverfahren"
LTO: Ein Richtervorbehalt ist für die Entscheidung über die Auswertung der Datenträger derzeit offenbar nicht geplant. Die Auswertung sollen aber nur Bedienstete vornehmen dürfen, die die Befähigung zum Richteramt haben. Wie bewerten Sie diese Regelung, die wiederum aus dem Aufenthaltsgesetz übernommen werden soll?
Gazeas: Meines Wissens soll die Entscheidung, ob Datenträger ausgewertet werden sollen, von jedem zuständigen Mitarbeiter des BAMF angeordnet werden können. Nur die Auswertung ist einem Volljuristen vorbehalten. Ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen.
Verfassungsrechtlich ist ein Richtervorbehalt für diese Maßnahme nicht zwingend. Sollten die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßnahme angehoben und der Umfang der auswertbaren Daten beschränkt werden, so wie von mir angeregt, wäre ein Richtervorbehalt in meinen Augen auch nicht unbedingt notwendig, um das Schutzniveau hoch zu halten.
Bleibt man hingegen bei der geplanten Regelung, muss man sich vor Augen führen, dass ein Asylsuchender, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, im Hinblick auf den Richtervorbehalt schlechter gestellt wird als ein Beschuldigter im Strafverfahren, dessen Handy beschlagnahmt wird. – Letzteres muss grundsätzlich immer ein Richter anordnen - und hier besteht immerhin ein Anfangsverdacht einer Straftat.
LTO: Glauben Sie, dass noch nachjustiert wird.
Gazeas: Nachdem das Kabinett den Entwurf beschlossen hat, glaube ich das nicht mehr. Den Oppositionsparteien fehlt die Mehrheit, um Änderungen durchzusetzen. Ich rechne eher damit, dass das Bundesverfassungsgericht hier hoffentlich nachjustieren wird. Auch wenn es aufwändig ist, eine enge Norm zu verfassen, ist das für den Erhalt unserer rechtsstaatlichen Grundsätze jedoch notwendig. Wenn wir denen nicht mehr nachkommen, können wir gleich einpacken.
LTO: Herr Dr. Gazeas, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Nikolaos Gazeas ist Rechtsanwalt in Köln und Lehrbeauftragter der Universität zu Köln. Er ist als Rechtsanwalt und Strafverteidiger im deutschen und internationalen Strafrecht tätig. In Forschung und Lehre befasst er sich insbesondere mit dem Terrorismusstrafrecht, dem Nachrichtendienstrecht und dem Recht der inneren Sicherheit. Er ist zudem Mitglied im Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht des DAV.
Das Interview führte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Sicherheitsrechtler zum Gesetzentwurf über Auslesen von Handys bei Asylsuchenden: "Kann nicht schaden, die Daten zu haben" . In: Legal Tribune Online, 22.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22173/ (abgerufen am: 06.06.2023 )
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