Neue Sicherheitspläne der EU: Wie wollen wir uns ver­tei­digen?

von Stephan Koloßa

26.06.2017

Die Europäische Kommission hat ein Diskussionspapier zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorgestellt. Stephan Koloßa zum jetzigen Stand der Dinge und den Optionen, eher lose, moderat oder besonders eng zusammenzuarbeiten.

Die Kommission der Europäischen Union stellte jüngst ein Reflexionspapier über die Zukunft der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) vor. Die Vorschläge sind Teil einer umfassenden Strategie zur Neuausrichtung der EU. Im März 2017 anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge erklärten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, dass die Union "bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen und dazu beizutragen, eine stärker wettbewerbsfähige und integrierte Verteidigungsindustrie zu schaffen".

So stellte die Kommission nun drei Optionen vor, wie die Mitgliedstaaten künftig zur GSVP beitragen sollen. Die Szenarien sind dabei abgestuft nach der Reichweite der Kompetenzen, die sie der EU abträten. Das erklärte Idealziel: eine umfassende gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsunion mit europäischer Armee, einem eigenen Verteidigungsfonds und echtem Binnenmarkt für Verteidigungsgüter.

Der Wunsch nach einem selbstständigen europäischen Militärbündnis neben dem transatlantischen Bündnis der North Atlantic Treaty Organization (NATO) ist nicht neu. Bereits in den frühen fünfziger Jahren, also unmittelbar nach Gründung der NATO, gab es vor allem in Deutschland und Frankreich das Bestreben, eine europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu errichten, die über eine eigene Armee verfügen sollte. Der Vertrag scheiterte letztlich an der fehlenden Zustimmung des französischen Parlaments im Jahre 1954.

Ein eher unbekanntes Bündnis vorab

Stattdessen konnten sich einige europäische Staaten auf ein "kleines Bündnis" einigen: So wurde ebenfalls im Jahre 1954 der Bündnispakt der Westeuropäischen Union (WEU) gegründet, die nicht über eine Gemeinschaftsarmee verfügte, sondern sich in einem Versprechen der Mitgliedsstaaten zu gegenseitiger militärischer Unterstützung erschöpfte. Wirkliche Bedeutung erlangte die WEU jedoch vor allem als politisches Druckmittel bei dem Versuch, ein Gegengewicht vor allem zur Supermacht USA herzustellen.

Die Gründung der WEU sollte maßgeblich zum Beitritt Deutschlands zur NATO im Jahre 1955 beitragen. Sodann blieb sie für Jahrzehnte tatenlos. Erst in den achtziger Jahren wurde dieses Politikfeld erneut verstärkt in den Fokus gerückt, um es schließlich zu einem Teil europäischer Integration zu machen. Ausgehend von den sogenannten Petersberg-Aufgaben im Jahre 1992 sollte die WEU der militärpolitische Akteur der späteren Europäischen Union werden.

Zu den Hauptaufgaben zählten humanitäre Maßnahmen und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Maßnahmen und Kampfeinsätze bei der Bewältigung von Krisen und Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens. Inzwischen wurde die WEU aufgelöst und die Europäische Union hat den Bereich der GSVP vollständig übernommen. Geregelt in den Artikeln 42 bis 46 des Vertrags über die Europäische Union (EU-Vertrag) ist dieser Bereich integraler Bestandteil der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und sichert der Union auf zivile und militärische Mittel gestützte Handlungsoptionen.

Die komplizierte Verteidigung Europas

Dass dem Bereich der GSVP auch nach Abschluss des Lissabon-Vertrags ein besonderer Charakter zukommt, erkennt man nicht zuletzt daran, dass Entscheidungen zur GSVP weitestgehend einstimmig von den Mitgliedstaaten getroffen werden müssen. Anders als für andere Maßnahmen ist eine Mehrheit, sei sie auch qualifiziert, grundsätzlich nicht ausreichend. Konstruktive Enthaltungen sind hingegen möglich.

Diese Regelungen sind nicht nur Ausdruck innerstaatlicher Sensibilität des Sicherheits- und Verteidigungssektors, sondern auch Ausdruck der Zurückhaltung bei Interventionen in Drittstaaten. Des Weiteren ist streng zwischen der gemeinsamen Verteidigungspolitik einerseits und der gemeinsamen Verteidigung selbst zu unterscheiden. Für die Errichtung einer gemeinsamen Verteidigungsunion bedarf es der einstimmigen Entscheidung des Europäischen Rates, das heißt der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Dabei handelt es sich um ein erleichtertes Vertragsänderungsverfahren, bei dem es entgegen den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen keiner Änderung des EU-Vertrags selbst bedarf.

Die von der Kommission vorgestellten Szenarien sollen nun zur Diskussion beitragen und den politischen Diskurs fördern, sodass am Ende – jedenfalls nach Wunsch der Kommission – eine Verteidigungsunion entsteht.

Zitiervorschlag

Stephan Koloßa, Neue Sicherheitspläne der EU: Wie wollen wir uns verteidigen? . In: Legal Tribune Online, 26.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23279/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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