Interview zu Eigenrechten der Natur: Sollten Wälder und Flüsse selber klagen dürfen?

Interview von Hasso Suliak

09.07.2021

Um der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten, mehren sich die Forderungen, der Natur eigene, durchsetzbare Rechte zu verleihen. Ein Gespräch mit Jula Zenetti, die zu diesem Thema forscht und einen Paradigmenwechsel fordert.

LTO: Frau Zenetti, die sog. herrschende Meinung ist befremdet von Forderungen, dass Flüsse, Moore, Wälder oder auch Tiere eine eigene Rechtspersönlichkeit bekommen sollten, um gegen ihre Vergiftung, Abholzung oder Quälerei aus eigenem Recht gerichtlich vorgehen zu können. Manche halten das für abwegig. Was würden Sie diesen Jurist:innen entgegnen?

Jula Zenetti, LL.M.: Zunächst, dass die Umweltzerstörung mittlerweile ein derart desaströses Ausmaß angenommen hat, dass alle, auch die Kolleg:innen der eigenen Zunft über den Tellerrand schauen und offen für eine Diskussion sein sollten, die zunehmend an Fahrt gewinnt.

Seit den 70er Jahren gibt es übrigens Forderungen, Rechte von Ökosystemen anzuerkennen. Inzwischen haben Gerichte, z.B. in Kolumbien und Indien, oder Rechtsordnungen, etwa in Neuseeland und Ecuador, Rechte auf Existenz und Regeneration der Natur anerkannt. In Ecuador sind diese Rechte sogar verfassungsrechtlich verankert. In Orange County, Florida, haben gerade mehrere Gewässer Klage gegen ein Bauvorhaben eingereicht, um eine Beschädigung oder Zerstörung der Gewässer zu verhindern. Das kolumbianische Verfassungsgericht sprach erstmals im Jahre 2016 dem drittgrößten Fluss des Landes subjektive Rechte zu.

Das oberste Zivilgericht des Landes verlieh in einem Verfahren zu illegalen Waldrodungen im kolumbianischen Amazonasgebiet dem gesamten Gebiet Rechtspersönlichkeit. Es ist also nicht so, als reden wir über etwas, was juristisch unmöglich ist.

Julia Zenetti

"Rechtlich die Wertigkeit der Natur anerkennen"

Eingewandt wird gerne, dass eigentlich nur der Mensch mit Rechten ausgestattet und prozessbefugt sein könne.

Ein Einwand, der zu kurz greift. Wie die Figur der juristischen Person zeigt, ist auch der deutschen Rechtstradition die Anerkennung von Rechten zugunsten anderer als natürlicher Personen nicht fremd. Es wurde auch eine juristische Konstruktion gefunden, damit Eltern oder ein Vormund die Rechte eines Säuglings oder einer betreuungsbedürftigen Person wahrnehmen können. Und selbst ein Embryo im Mutterleib hat eigene Rechte.

Warum also nicht auch Ökosysteme, die den Artenschutz gewährleisten, den Klimawandel bremsen und damit auch dem Menschen letztlich die Existenz sichern?

Wir müssen jedenfalls aufhören, die Natur als Diener des Menschen zu sehen. Stattdessen sollten wir ihr mit Respekt begegnen und ihre Wertigkeit anerkennen. Auch rechtlich.  

Wie sollte man denn Ihrer Meinung nach das Recht der Natur konkret ausgestalten? Soll jeder Fluss, jeder Baum klagen können? Und wer soll die Rechte geltend machen? Umweltverbände? Oder jede und jeder Einzelne?

Zurzeit wird vor allem die Rechtspersönlichkeit von Ökosystemen, also etwa Flüssen oder Wälder, diskutiert. Vorstellbar sind aber durchaus auch Rechte für einzelne Bäume. Natürlich bedarf es bestimmter Erheblichkeitsschwellen, die überschritten sein müssen, damit ein Eingriff in die Rechte eines Flusses oder eines Waldgebietes bejaht werden kann. Das müsste man gesetzlich näher definieren.

Über eine Art Vormund oder Treuhänder könnten dann die Rechte des jeweiligen Ökosystems geltend gemacht werden. Umweltverbände könnten diese Rolle einnehmen. Denkbar ist aber auch eine Regelung, wonach alle klagen können.

Beispielsweise im erwähnten Fall in Florida können die Gewässer u.a. von jedem/jeder Bürger:in aus Orange County vor Gericht vertreten werden. Konkret war es dann aber der Präsident einer Umweltbewegung, die sich schon für die Anerkennung der Rechte der Gewässer eingesetzt hat.

"Bislang geht es immer um die Perspektive des Menschen"

Im Umweltrecht hat sich in Deutschland im Vergleich zu den 80ern einiges getan: Im Grundgesetz (GG) findet sich in Art. 20a das Staatsziel, "in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten". Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Aufsehen erregenden Klimabeschluss vom 24. März 2021 besonders betont. Und es gibt Verbandsklagen, die es Verbänden ermöglichen, stellvertretend für Natur und Umwelt die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen. Das reicht an Instrumentarien nicht?

Die Entscheidung des BVerfG war natürlich sehr erfreulich, Art. 20a GG hat erstmals in einem bedeutenden Verfahren eine Hauptrolle gespielt. Allerdings stets in Verbindung mit der Frage, ob Grundrechte von Menschen verletzt sind.

Und daher wird an dieser Stelle auch wieder klar: Es geht bisher immer um die Perspektive des Menschen, ein Staatsziel im GG verschafft einem Ökosystem keine durchsetzbare Rechtsposition.

Was die Verbandsklagen anbelangt: Ja, Umweltverbänden können unter bestimmten Umständen die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen dahingehend überprüfen lassen, ob Umweltbelange ausreichend berücksichtigt wurden. Häufigster Anlass für solche Klagen sind Bauvorhaben, bei deren Umsetzung es zu negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt kommt. Das ist bereits ein Fortschritt, aber alle umweltrechtlichen Normen können dadurch nicht gerichtlich durchgesetzt werden. Wie gesagt kann niemand eine Verletzung von Art. 20a GG gerichtlich geltend machen, wenn sie nicht mit einer Verletzung menschlicher Rechte einhergeht.

EU-Umfrage: 60-Prozent für Eigenrechte von Ökosystemen

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Politik eines Tages eine Initiative für die Eigenrechte der Natur ergreift? Noch nicht einmal im Grundsatzprogramm der Ökopartei Bündnis 90/Die Grünen wurde die Forderung aufgegriffen.

Ja, das ist bedauerlich. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie der Partei hatte noch den Vorschlag gemacht, die Eigenrechte der Natur in das Programm aufzunehmen. Das ist leider gescheitert. Aber gleichwohl bin ich optimistisch, dass das Thema zunehmend in den Fokus rücken wird.

Erst kürzlich hat z.B. eine Gruppe von fünf Nationalrätinnen und Nationalräten aus allen politischen Lagern in der Schweiz eine Änderung der Schweizer Bundesverfassung verlangt und eine entsprechenden parlamentarischen Antrag auf den Weg gebracht. Danach soll die Schweizer Verfassung künftig nicht nur das Recht des Menschen auf eine gesunde Umwelt garantieren, die Natur soll auch die Stellung einer Rechtsperson erhalten. Wer am Ende die gesetzliche Vertretung der Natur übernimmt, überlässt die Initiative der weiteren politischen Diskussion.

Schließlich lässt auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IPSOS in der Europäischen Union (EU) vom April aufhorchen: Danach sprechen sich über 60 Prozent der EU-Bürger:innen für eine Anerkennung von Eigenrechten aus.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jula Zenetti (33) ist Volljuristin und Doktorandin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Beim Umweltrechtler Prof. Dr. Köck promoviert sie zum Thema "Eigenrechte der Natur":  Gefördert wird ihre Arbeit im Rahmen des Verbundprojekts „Kompetenznetzwerk Zukunftsherausforderungen des Umweltrechts“ (KomUR) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Zitiervorschlag

Interview zu Eigenrechten der Natur: Sollten Wälder und Flüsse selber klagen dürfen? . In: Legal Tribune Online, 09.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45427/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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