Deutsche Parlamentarische Gesellschaft: Tra­di­ti­ons­rei­cher Abge­ord­ne­ten­club unter­liegt AfD-Poli­ti­kern vor Gericht

von Hasso Suliak

15.09.2022

Die Vorstandswahlen des Parlamentariervereins DPG müssen nach einem Urteil des AG Berlin-Mitte wegen einer unzulässigen Blockabstimmung vermutlich wiederholt werden. Das Gericht erließ eine entsprechende einstweilige Verfügung.   

Hintergrund des Rechtsstreits zwischen zwei Mitgliedern der AfD-Bundestagsfraktion - dem früheren Rechtsausschussvorsitzenden Stephan Brandner sowie Dr. Malte Kaufmann - auf der einen und der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft e.V (DPG) auf der anderen Seite vor dem Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte sind die Vorstandswahlen des Vereins vom April dieses Jahres. Die 152 stimmberechtigten Mitglieder – darunter auch Brandner und Kaufmann – hatten über eine neue Vereinsvorstand abstimmen sollen. 

Doch nicht über einzelne Kandidaten sollte abgestimmt werden, sondern über eine bereits vorgefertigte Liste von Abgeordneten. Präsident des Vereins sollte SPD-MdB Stefan Zierke werden, seine Stellvertreter die MdB Prof. Dr. Edgar Franke (SPD), Prof. Monika Grütters (CDU), Claudia Roth (Grüne), Michael Georg Link (FDP) und Petra Pau (Linke). Ein AfD-Abgeordneter war für den neuen Vorstand nicht vorgesehen. Brandner hatte sich daher wenige Tage nach der Mitgliederversammlung per Pressemitteilung empört zu Wort gemeldet und kritisiert, "dass nicht einmal zugelassen wurde, dass ein Kandidat der AfD-Fraktion, namentlich Dr. Malte Kaufmann, sich vorstellen, geschweige denn kandidieren konnte." Gleichzeitig hatte er gerichtliche Schritte angekündigt.  

Am Montag konnten er und Kaufmann nun einen juristischen Erfolg verbuchen. Das AG Mitte erließ eine Einstweilige Verfügung gegen die DPG e.V. (Urt. v. 12.09.202, Az.12C59/22 eV). Nach Auffassung des Gerichts ist die am 27. April 2022 erfolgte Wahl des DPG-Vorstandes durch die Mitgliederversammlung ungültig. "Unstreitig ist, dass die Mitglieder, die die Mehrheit der Stimmen erhielten, auf einer Liste zusammengefasst, also en bloc zur Abstimmung gestellt worden waren. Die Satzung des Vereins indes sehe keine Abstimmung im Wege der Blockwahl vor“, so das AG.

"Blockwahl schränkt das Wahlrecht ein"

Weiter kritisierte es, dass durch eine solche das Wahlrecht der Mitglieder unzulässigerweise eingeschränkt werde: "Die Mitglieder haben nur die Möglichkeit, der Liste zuzustimmen oder diese abzulehnen; die Freiheit über die Personen der Liste einzeln zu entscheiden, besteht nicht." Unerheblich sei dabei auch, dass im konkreten Fall die Mehrheit der DPG-Mitgliederversammlung zuvor das Verfahren per Akklamation vor der Abstimmung gebilligt hatte. Eine Satzungsänderung für das Wahlverfahren hätte zuvor in der Einladung angekündigt werden müssen, mahnte das AG. 

Nach der Entscheidung des AG, die jedenfalls bis zu einer weiteren Gerichtsentscheidung in der Hauptsache Bestand hat, fühlten sich die beiden AfD-Parlamentarier bestätigt. Brandner erklärte: "Das Wahldesaster ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Schließlich handelt es sich hier um langgediente Abgeordnete und viele ausgebildete Juristen, die es nicht zustande brachten, eine ordnungsgemäße Wahl durchzuführen. Dass erst wir der Vereinsführung beibringen müssen, wie eine Wahl nicht stattzufinden hat, und dazu ein Verfahren vor dem AG Berlin-Mitte führen mussten, zeigt deutlich auf, dass die plumpe Ausgrenzungsstrategie der Anderen gegenüber der AfD-Fraktion nicht aufgeht."

Eine "Ausgrenzungsstrategie" gegenüber AfD-Kandidaten vermochte das AG Mitte in seiner Entscheidung jedoch nicht erkennen. Die der einstweiligen Verfügung zugrundeliegende Eilbedürftigkeit begründete das Gericht ausschließlich mit dem Umstand, dass die Eintragung des neuen Vorstandes das Vereinsregister "unrichtig" werden lassen würde. 

Vereinsrechtler: "AG hat richtig entschieden"

Von LTO befragte renommierte Vereinsrechtler, wie etwa der Münchner Rechtsanwalt Roland P. Weber, der seit 1988 auf die Beratung im Vereinsrecht spezialisiert ist, bewerten das Urteil des AG Mitte als richtig: "Blockwahl ist nach ganz herrschender Meinung in der Rechtsprechung und der juristischen Literatur nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände zulässig. Die sind hier nicht gegeben." Weber empfiehlt der DPG, "so bald wie möglich" eine Mitgliederversammlung einzuberufen und eine einwandfreie, satzungskonforme Vorstandswahl durchzuführen.

Wie der Verein auf die Niederlage im Eilverfahren reagieren wird und ob er z.B. gegen das Urteil in Berufung geht, war nicht In Erfahrung zu bringen. "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft keine Stellungnahme in dieser Angelegenheit abgibt", so der Geschäftsführer des Vereins, Bernd Wichterich, gegenüber LTO. Auch von den Abgeordneten des ungültig gewählten Vorstandes gab es keinen Kommentar. Möglicherweise ein Zeichen, dass den Parlamentariern die juristische Niederlage tatsächlich einigermaßen peinlich ist.

Verwunderlich wäre das nicht: Allein eine derartige gerichtliche Auseinandersetzung passt eigentlich nicht zu dem ehrwürdigen Abgeordnetenclub, in dessen vertrauter Atmosphäre nach Worten des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) der "Grundkonsens der Demokraten im Deutschen Bundestag" gestärkt werden soll.  

Die DPG residiert seit dem Regierungsumzug nach Berlin im ehemaligen, um 1900 erbauten Reichstagspräsidentenpalais am Friedrich-Ebert-Platz, gleich gegenüber dem Reichstagsplenargebäude. Es ist mit prachtvollen Salons und Kaminzimmern und auch einer Kneipe ausgestattet. Die Abgeordneten des Bundestages erreichen über einen unterirdischen Tunnel das Palais. Dort trifft man sich zum Austausch in Arbeitsgruppen, zu kulturellen Veranstaltungen oder Sommerfesten und manchmal auch zu Sondierungsgesprächen für eine neue Regierungskoalition. Der Öffentlichkeit bekannt sind daher v.a. die Bilder nach der Bundestagswahl 2017, als sich Spitzenvertreter einer (letztlich nie zustande gekommenen) Jamaika-Koalition regelmäßig auf dem DPG-Balkon des um 1900 erbauten Palais blicken ließen.

Zitiervorschlag

Deutsche Parlamentarische Gesellschaft: Traditionsreicher Abgeordnetenclub unterliegt AfD-Politikern vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 15.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49633/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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