BayVerfGH stoppt unverbindliche Volksbefragungen: Demo­k­ratie wagen oder Demo­k­ratie-Watschn?

von Robert Hotstegs, LL.M.

22.11.2016

2/2: Verfassungsänderung geboten, aber unwahrscheinlich

Dies sei auch noch zukünftig möglich, macht der VerfGH deutlich. Denn so politisch umstritten Volksbefragungen seien, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe schon früh anhand verschiedener Landesbefragungsgesetze deutlich gemacht, dass der Kreativität in der Demokratie jedenfalls dort keine Grenzen gesetzt sind. Seinerzeit waren Gesetze aus Hamburg und Bremen über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr daran gescheitert, dass das Thema nicht den Länderkompetenzen entstammte. Die Befragung als solche aber hielt auch Karlsruhe für möglich.

So verhält es sich nun auch in Bayern. Durch ein Änderung und Ergänzung des Art. 7 BV könnte die unverbindliche Volksbefragung eingeführt werden. Dabei wird es nicht zwingend erforderlich sein, Minderheitenrechte oder auch eine Volksbefragung "von unten" vorzusehen. Die Selbstbeweihräucherung von Landtagsmehrheit und Regierung ist denkbar, auch für die Verfassungsrichter.

Dass sie dabei nicht schrankenlos bleiben muss, macht die Entscheidung des VerfGH ebenfalls deutlich, denn schon im Vorfeld einer unverbindlichen Volksbefragung wäre es denkbar, dass über einen Organstreit zwischen Landtagsfraktionen und Landtag geklärt würde, ob eine konkrete Fragestellung zulässig wäre. Ein solches Verfahren könnte sogar schon weit vor der eigentlichen Beschlussfassung des Plenums angestrengt werden und es wäre wohl auch noch über eine Legislaturperiode hinaus denkbar.

Denn auch hierzu äußern sich die Bayerischen Verfassungshüter: Ausdrücklich erklären sie auch den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für zulässig, der noch vor Inkrafttreten des Gesetzes und vor der abschließenden Befassung des Landtags gestellt worden war. Hiergegen sprächen keine Bedenken. Meinungsverschiedenheiten zwischen Verfassungsorganen und Organteilen könnten demnach schon frühzeitig ausgefochten und geklärt werden.

Zeit zum Nachdenken

Das ist begrüßenswert. Denn so ist der verfassungswidrige Art. 88a LWG keine neun Monate alt geworden. Es hat bislang keine unverbindliche Volksbefragung stattgefunden und ein Eingriff in die Verfassungswirklichkeit hat sich in dieser Gestalt also noch nicht realisiert. (Den Antrag auf eine kritische Volksbefragung zu den Handesabkommen TTIP und CETA hatte die Landtagsmehrheit im Februar 2016 abgelehnt). Auch bei zukünftigen Gesetzgebungsverfahren und erst recht bei der Einführung der Volksbefragungen wäre eine vorherige Klärung erstrebenswert.

Doch ist damit nicht zu rechnen. Eine verfassungsändernde Mehrheit ist in absehbarer Zeit im Hinblick auf die unverbindlichen Volksbefragungen nicht zu erwarten. Das gibt der Politik Zeit, über das Gesamtkonstrukt nachzudenken. Denn ohne Frage kann Bayern weitere direktdemokratische Impulse vertragen, sie haben das Land schon mehrfach vorangebracht. Aber diese könnten anderer Gestalt sein und besser in das Gefüge von Volksbegehren und Volksentscheid eingepasst werden.

Der Autor Robert Hotstegs, LL.M. ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf, vornehmlich in verfassungsrechtlichen und beamtenrechtlichen Fragen mandatiert.

Zitiervorschlag

Robert Hotstegs, BayVerfGH stoppt unverbindliche Volksbefragungen: Demokratie wagen oder Demokratie-Watschn? . In: Legal Tribune Online, 22.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21226/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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