ARD-Doku "Stammheim – Die RAF vor Gericht": Die Justiz als Übel­täter

von Kay Nehm

25.04.2017

Am Montagabend zeigte die ARD die Dokumentation "Stammheim – Die RAF vor Gericht". Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm hat von dem Prozess ein anderes Bild in Erinnerung und für den Geschichtsrevisionismus mancher Zeitzeugen wenig übrig.



Am 7. April 2017 gedachten Angehörige, ehemalige und aktive Kollegen der Bundesanwaltschaft der vor vierzig Jahren von der RAF ermordeten Siegfried Buback, Wolfgang Göbel und Georg Wurster. Ein Gedenken, das die Ereignisse des Jahres 1977 erneut bedrückend lebendig werden ließ.

17 Tage später ein anderes Gedenken. Aus Anlass der Urteilsverkündung am 28. April 1977 gegen die Mitglieder der ersten RAF-Generation sendete das Erste am Montagabend zu später Stunde "Stammheim - Die RAF vor Gericht" - nicht minder bedrückend, allerdings vor allem wegen der Subjektivität der Darstellung. In dem Dokumentarfilm treten sie noch einmal auf: Richter, Anwälte, Wissenschaftler und Beobachter – erstaunlicherweise kein Exponent der Bundesanwaltschaft. Wie wirkt der Film auf einen damaligen aktiven Angehörigen der Behörde?

Ein Dokument des Wandels mit allen Beschönigungen

Zunächst verstörend, denn in seinem Mittelpunkt stehen nicht etwa die Opfer der RAF, sondern kritische Geister, die seinerzeit wenig Mühe hatten, ihre 68-er Widerständigkeit über die Vietnam-Auseinandersetzung hinaus auf das Geschehen der Siebziger Jahre zu übertragen. So gerät der Film zu einem Dokument des Wandels mit allen Beschönigungen, denen heutzutage schon aus biologischen Gründen kaum noch etwas entgegengesetzt werden kann.

Wer sich angesichts der Monstrosität des Vietnam-Krieges den Protagonisten der ersten Generation der RAF verbunden fühlte, hätte sich doch bereits 1972 beim Sprengstoffanschlag auf den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Frage stellen sollen, wie ein Rechtsstaat, der sich qua Verfassung von den Verbrechen des Nationalsozialismus abgegrenzt hatte, auf politisch motivierte Kapitaldelikte hätte reagieren sollen. Wie in Weimar mit klammheimlicher Genugtuung oder mit dem im Film aufscheinenden tätlichen Volkszorn? Spätestens mit Beginn des Stammheim-Prozesses, in dem sich die Anführer der RAF u.a. wegen versuchten und vollendeten Mordes und Sprengstoffverbrechen zu verantworten hatten, hätte auch anfänglichen Sympathisanten einleuchten müssen, dass über Schuld und Strafe in einem ordentlichen Gerichtsverfahren geurteilt werden musste. Ist denn wirklich niemandem aufgefallen, dass der politische Impetus von Baader & Co. im Laufe der Zeit der Selbstvergewisserung und Überlebensstrategie einer Mörderbande gewichen war?

Verteidigung wollte Prozess zum internationalen Tribunal machen

Der Prozess war unabweisbar. Seinen Kritikern fällt es heute leicht, ihr eigenes Verhalten mit Ungeschicklichkeiten staatlicher Organe und dem eklatanten Rechtsbruch des Abhörens von Verteidigergesprächen durch den Verfassungsschutz zu relativieren. Der Rechtsstaat hätte jedoch auch damals Mittel und Wege gehabt, derartige Mängel zu beanstanden und zu korrigieren. Stattdessen wurde der Welt ein skurriles Schauspiel geboten: Während Anklage, gerichtliche Voruntersuchung und Hauptverhandlung vom Bestreben getragen waren, ein "normales" rechtsstaatliches Strafverfahren zu führen, unternahmen es die Angeklagten und ihre Helfer, den Prozess nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.

An die Stelle von Verteidigung – an der Tatschuld konnte nach der Beweislage kein ernsthafter Zweifel bestehen – trat der Versuch, die Hauptverhandlung zum internationalen politischen Tribunal umzufunktionieren und einen Abschluss des Verfahrens zu verhindern. Dazu war von der Ermordung des Generalbundesanwalts ("der General muss weg") über "big raushole" in Stockholm und Köln (Schleyer-Entführung) bis zum Einsatz des eigenen Lebens jedes Mittel recht. Der latente Psychoterror der in Stammheim Inhaftierten, der selbst vor der erbärmlichen Ausgrenzung Einzelner nicht zurückschreckte, belegt, welche zerstörerische Kraft hier wirksam war.

Rechtsstaatliches Procedere setzt, ungeachtet unterschiedlicher Verfahrens-Strategien, die Bereitschaft voraus, grundlegende prozessuale Spielregeln zu akzeptieren. Zwar nahmen die Verteidiger ihre Aufgabe ernst, als Sachwalter der juristischen Interessen auch abseitige Vorstellungen der Beschuldigten offensiv zu vertreten. Aus persönlicher Verbundenheit genährte Hilfsbereitschaft ließ jedoch die Grenzen zwischen Organ der Rechtspflege, Freund und Helfer zunehmend verschwimmen. Das Anwaltsbüro als legale Residenz der RAF.

Zitiervorschlag

Kay Nehm, ARD-Doku "Stammheim – Die RAF vor Gericht": Die Justiz als Übeltäter . In: Legal Tribune Online, 25.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22733/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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